Der fremde Text. 3.8. 2007. montgelas

Linos

Sind die Worte nicht zahllos, und was Du im Haupte

getragen,

war es nicht eine Welt die du gerühmt und beklagt?
Nur was du wirklich gemeint hast, hast du nicht sagen
können! Und nichts ist gesagt.

Tust du nicht zahllose Dinge? Nur was du am meisten,
was du jeher gewollt, denn es hätte daran
alles gehangen, den wirklichen Auftrag hast du nicht

leisten

können! Und nichts ist getan.

(Alexander Lernet-Holenia)

Ich will hier keinen Scheit mehr an das verglimmende Feuer der Häme vergangener Tage anlegen. Nur soviel muss ich doch noch sagen: Das eigene Leben liest sich in vielen Passagen oft, nimmt man seinen Text zur Hand, als sei ein fremder Autor am Werk gewesen. Das zu erkennen ist Rosenfingrigen nicht gegeben. Es sind ältere Herren zwischen 50 und 60, „säftelnd“ wurden sie genannt, die den Mut haben Pounds Vers – Ich habe meine Mitte verloren…– laut zu denken. Da schreibt einer darüber, Bruno, fast ein Jahr lang schon, welche Schmerzen es macht den eigenen Text, früh begann er ihn zu konzipieren, längst schien er verloren, Fremde und Nahe tippten ihn zur Unkenntlichkeit, wieder in die eigenen Hände, weg von der Außenleitung, zu nehmen. Der andere, Paul, auch er nicht der alleinige Schreiber seines langen Textes, selbstverschuldet geriet er hinein, bemüht sich, nicht ganz so konsequent wie Lampe, eine Datenbahn hin zur Innenleitung zu installieren. Wir sind unsere Vergangenheit ! Und der Zukunft fast entwöhnt. Sind Manuskripte, die korrigiert und ergänzt werden müssen, ohne Fremdes dabei zu streichen. Dass es dazu Kraft und Saft bedarf versteht jeder, der sich schon einmal mit prägenden Mustern und eigener Trägheit auseinandergesetzt hat. Eingesperrt in ein autoerotisches Zeitalter versuchen beide, Bruno und Paul, zu sich selbst zu kommen, in dem sie es fliehen. Macht über den Text, über das eigene Leben, wieder zu gewinnen ist das Ziel. So scheint es mir jedenfalls. Dass andere meinen, dies sei ohne literarische Qualität, mag für sie stimmen. Ich lese stattdessen im TB eine Vielzahl von Geschichten, die in ihrem Kern weit über Individuell – Biographisches hinausweisen. Nur die mit Vorurteilen behafteten sind unfähig die Fülle des Materials, das hier angeboten wird, zu begreifen. Ein Tagebuch ist kein Roman. Alltäglichkeiten, Banalitäten, wer nur anderes erwartet lebt im Wolkenkuckucksheim, gehören ebenso in ein solches Journal, wie innere Konflikte, die die Suche nach sich selbst erneut möglich machen. Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen… so beginnt, nun munter, Proust seine „Suche“. Bruno und Paul sind aufgewacht und wollen nicht enden wie Polgars „Zerstreuter Professor“. Seinem krassen Fall von Zerfahrenheit versuchen sie zu entgehen. Polgar schreibt: „Unser Erdenwandel ist ein verwickeltes System von zwangsläufigen Ablenkungen. Ohne zu wissen, in Zerstreutheit des Gemüts und der Nerven, sagen wir B, nur weil wir A gesagt haben… und merken zum Ende erschüttert, dass ein ganz anderer Text gültig dasteht als der, den wir leben wollten.

Dies, so lese ich beider Tagebuch, und empfinde es chorisch, ist das Thema!

Quelle: Alfred Polgar: Der zerstreute Professor. Das große Lesebuch. Rororo 23806.

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