Paul Reichenbachs Freitag, der 24. August 2007. Akte.

Wenn wir unsre Seelen retten wollen,
müssen wir unsere Haut riskieren.
Nur dann werden wir uns erkennen.
( R…aus Vilnius)

P. war kein Freund des Fabulierens. Geschichten erzählt man sich doch nur, bemerkte er einmal, weil der Mensch, ohne Licht am Ende des Tunnels, das Leben nicht aushält. Für mich sind sie nur dann interessant, wenn sie kategorisiert und archiviert zu einem abgeschlossenen Vorgang mutieren.
Nur im privaten Fall Wilna machte er eine Ausnahme, hier fand er keinen Abschluss, der mit dem Kürzel z. d. A. versehen werden konnte. Diese Geschichte, dieser hoffnungslose Vorgang, wir werden bei Gelegenheit noch mehr davon hören, er bezeichnete ihn als Sonderakte Rita B., das passt gut zu ihm, verbringt P. doch 8 – 10 Stunden eines Tages zwischen Akten, deren sonderbare Abkürzungen, Nummern und Stichworte er, abweichend von den landesüblichen Aktenplänen, in 20 Jahren Berufstätigkeit selbst erfunden hatte; und ist damit, bis auf den heutigen Tag, diese Illusion hält ihn aufrecht, Herr über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mancher Ereignisse, und Personen, deren Fortlauf, so scheint es beinahe, einzig von ihm abhängt. Es würde die Erzählung arg strapazieren einzelne Beispiele anzuführen, wo er schreddernd oder durch bewusstes falsches Abheften Einfluss auf Entscheidungen und Geschehnisse nahm, deren Ausgang, von ihm lässig und mit Hochmut redigiert, hätten wir davon gewusst, sicher ein anderer gewesen wäre, als er es tatsächlich dann war. Die Aktenlage, niemand ahnte etwas davon, und damit die Hoheit über streitiges Recht, lag ganz allein bei ihm.
Er träumte selten, eigentlich nie. Dies von ihm zu glauben wäre ein fataler Irrtum, der uns zu einer krassen Fehleinschätzung seiner Persönlichkeit verleiten würde. Nein, er nahm die Wirklichkeit immer sehr genau wahr, und “träumen“ war ein Verb, das er aus seinem Sprachgebrauch ausgeschlossen hatte. Es existierte für ihn einfach nicht. Nie gab er sich irgendwelchen Phantasien hin. Träumen, darauf angesprochen, meinte er, das ist etwas für Neurotiker, die auf der Flucht vor sich selbst sind.

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