Body Modification oder Die Seele formen. Aus dem Briefwechsel mit einer Leserin.

…Ihre Argumentation ist einleuchtend, auch wenn sie mir wiederstrebt, weil ich, wenn ich von “Körper” spreche, die Seele nahezu immer mitmeine – das heißt, ich beuge mich bewußt nicht der ideologischen Trennung. “Body Modification” ist im übrigen heftiger, das reicht bis zu bewußten Verstümmelungen. Auch deshalb zucke ich vor einem solchen Begriff zurück. Schauen Sie sich die entsprechenden Sites einmal an, man findet sie ziemlich einfach unter dem Schlag-Wort.
Eine der spannendsten, auch traumatisierendsten Bearbeitungen des Themas bietet Cronenbergs Verfilmung “Crash” nach dem Roman von Ballard. Holen Sie sich den Film aus der Videothek. Er hat, weit stärker als der Roman selber, viele meiner >>>> Überlegungen zum Thema in Gang gesetzt.

[Poetologie.
Perversion. ]

5 thoughts on “Body Modification oder Die Seele formen. Aus dem Briefwechsel mit einer Leserin.

  1. Da finde ich jetzt für mich zwei getrennte Themenkreise:

    Die allgemeine Definition von Body Modification betreffend: wird irgendwann zu lesen sein, dass im 21. Jahrhundert begonnen wurde, die Begrifflichkeit „Seele“ nicht mehr mit der Ich-Bildung zu belegen, sondern mit der Ich-Erfindung?. Warum empfinden so viele Jugendliche heute ihren Körper (wenn denn Seele) als so sinnlos?. Spüren sie sich erst dann, wenn sie eben in die existentielle Gefährdung dieser gehen?, wiewohl ich davon überzeugt bin, dass der Mensch grundsätzlich seinen Körper erst dann wirklich spürt, wenn er einer Situation ausgesetzt wird, die ihm diese Grenze zur existentiellen Gefährdung aufzeigt und ihn diese Grenze auch spüren läßt.

    Viele Urvölker praktizierten und praktizieren auch heute noch ihre Initiationsriten, dazu gehören auch z.B. Tätowierungen, die mit in Tinte getauchten superscharfen Steinspitzen durchgeführt werden, was sehr schmerzhaft ist. Gaben/geben die Urvölker ihren Menschen damit dem Körper eine Seele und somit ein Gefühl von Körper? Diese Initiationsriten führen den, der sich diesem Ritus unterwirft, immer in die existentiellen Fragen – und setzen einen Prozeß in Gang, der ihm hilft, in seiner Körperlichkeit (Seele-Ich-Sein) seine eigene Definition zu finden. Es ist wie eine Positionierung der eigenen Seele im eigenen Selbst.

    Wenn es um die Begrifflichkeit „Seele formen“ im Rahmen der Inhalte Ihrer Verlinkungen geht, existiert da ja ein noch ganz anderer Hintergrund, aus dem sich wieder ganz andere Fragestellungen ergeben. Ich reagierte damals ziemlich vehement… weiß aber inzwischen um meine Entwicklung im Rahmen meines Prozesses.

    Heute weiß ich, daß auch hier das „Seele formen“ bedeutet, sich im eigenen Selbst eine neue Positionierung zu geben und deswegen ein eigenes Initiationsritual durchzuziehen. Dazu ist man aber erst in der Lage, wenn man gelernt hat, sich den eigenen Ängsten zu stellen.

    Ich bin heute der Meinung, daß Angst zu haben nichts anderes bedeutet, als sich seinen eigenen Gefühlen nicht stellen zu wollen. Angst ist sicherlich auch ein Schutzmechanismus… aber er ist eigentlich (das ist meine subjektive Meinung) sinnlos. Ich mußte ja eine Situation erfahren, die mich absolut an den Rand meines existentiellen Lebens brachte… da passierte etwas Unglaubliches: die Angst war plötzlich nicht mehr da. Nirgends ist man in einem so klaren Zustand, wie in einer die Existenz gefährdenden Situation – da gibt es weder eine Vorstellung von Angst noch ein Angstgefühl, man hat keine Zeit für so etwas, deshalb gibt es auch kein Zeitgefühl mehr, man ist einfach in dieser seiner nackten Existenz und aus dieser heraus reagiert man. Nie spürte ich meine Existenz an sich deutlicher.

    Durch Mißbrauch hat diese Angst noch eine ganz andere Qualität, denn sie hat keinen Grund, ihr fehlt der Grund und Boden der eigenen Vorstellung. Ein mißbrauchter Mensch hat keine Vorstellung von sich selbst, er schaut in einen Spiegel und sieht nicht sich, sondern die Fremdbestimmtheit. Es fehlt über einen ganz langen Zeitraum nicht nur die eigene Definitionsmöglichkeit des eigenen Selbst, sondern auch der nötige Inhalt für diese Definitionsmöglichkeit. Ich konnte mir über einen ganz langen Zeitraum mir selbst meine eigene Position im eigenen Selbst nicht verschaffen. Und es dauerte Jahre, bis ich genau das erkannte und es mir bewußt machte.

    Der Prozeß der dann möglichen Eigendefinition kann auf verschiedene Art und Weise stattfinden. Obwohl ich damals ziemlich laut Veto einlegte, weil ich mich diesem Vorstellungsvermögen an sich schon verweigerte, weiß ich heute, daß es Menschen gibt, die sich in der Art und Weise, „so“ in die Situation zurückkehren und sich dem bewußt aussetzen zu wollen, in BDSM-Szenarien begeben. Oder man wählt den Weg des „Seele formens“… indem man es den Körper tragen läßt, diesen Weg wähle ich für mich. Aber wie bei den Jugendlichen ist es für mich die ritualisierte Positionierung meiner Seele in meinem eigenen Selbst, eben in meinem eigenen Körper. Wobei ich hier dann wieder zur Frage zurückkehre: Körper = Seele?, Seele = Körper?

    Das Unzeigbare zeigbar machen… kommt eigentlich einer Kulturrevolution gleich…

    Grundsätzlich stelle ich mir eine verbindende Frage: Ist alles, was über die existentiellen Fragen hinausgeht, sinnlos?… ist Kultur auch deswegen pervers?.

  2. … zum Thema Body Modification: vielleicht wollen die Jugendlichen dem normierten Modus ihrer Existenz entfliehen, vielleicht fühlen sie sich auch fremdbestimmt und bekommen dadurch kein Gefühl von und für sich selbst, eben durch den normierten Rahmen. Es scheint der Eindruck eines Seelentaubheitsgefühls… und somit auch ein Taubheitsgefühl des eigenen Körpers?, oder umgekehrt?.

    Es gab Jahrhunderte, in denen waren die Jugendlichen damit beschäftigt, von ihren Eltern zu lernen, wie man überlebt. Hier ging es lediglich um existentielle Fragen… sowie die Kultur einer normierten Entwicklung dazu kommt, die über diese Fragen hinausgeht, fängt an der fühlbare Sinn zu fehlen.

    1. es gibt niemand der dir das lehrt, mir wurde auch immer nur vermittelt “schau das du was wirst, sei brav und lerne viel”, hätte ich mich nicht selbst an die schwelle des todes gebracht hätte ich heute keine so gute beziehung zu mir und meinem körper!

  3. … meine Bewunderung, daß es hier Menschen wagen, zu diesem Thema Stellung zu beziehen. „Normierter Weise“ wird doch solch Thematik aus (und jetzt bin ich ganz fies) „kulturtechnischen“ Gründen totgeschwiegen. Hinter jeder Technik steht eine Norm.

    Auch ich bin mitten in dieser Thematik, die eigentlich niemand sehen, hören oder lesen will, komischer Weise sprechen die Leserzahlen meines Blogs eine andere Sprache… (die habe ich Ihnen zu verdanken Herr Herbst).

    Nachtrag: … ich wollte vor kurzem doch auch reagieren, als ich Ihren Eintrag meinen Blog betreffend in Ihrem Arbeitsjournal las, kam dann aber, weil ich im Augenblick sehr in der Arbeit stecke, darüber hinweg. Es stimmt Herr Herbst, bei der Namensfindung für meinen Blog wurde ich in Ihrem Buch „Thetis Anderswelt“ fündig. Es gefällt mir sehr, daß Lykomedite Zollstein ihrem Schänder im Augenblick der Schändung den Kehlkopf durchbeißt, daß Blut floß regelrecht auch durch meine Kehle. Für mich gibt es immer nur existentielle Fragen… das ist auch in Ihrer Thetis Anderswelt nicht anders…

    Die Menschen wissen nicht mehr, wie es ist, sich durch Kampf ein Stückchen Brot zu ersiegen (metaphorisch gemeint), zumindest nicht in der kultivierten Zivilisation. Und wenn Kämpfe dieser Art heute noch stattfinden, dann schweigt die Kultur tot. Nur dem, der darum weiß, geht die kulturtechnische Normierung am Arsch vorbei, denn er definiert sich nicht über diese, sondern definiert sich selbst, weil er sich in seinem eigenen Kampf selbst kennengelernt hat und sich mit der Zeit immer besser einzuschätzen weiß. Manchmal frage ich mich, ob solche Menschen es schaffen, sich selbst zu determinieren, denn aus solch einem Prozeß erwachsen die psychisch stärksten Menschen.

    In Bezug auf die Jugendlichen frage ich mich inzwischen, ob wir es unsere Kinder nicht mehr lehren, perspektivisch im eigenen Sein zu denken und somit auf Grund der sich entwickelnden Determinierung ein Gefühl nicht nur für die eigene Perspektive sondern auch für die Unterschiedlichkeiten der Art der Dichte vom eigenen Gefühl zu entwickeln, Ihnen die Möglichkeit verschaffen, sich selbst fühlen zu können.

    Vielleicht schaffen die Jugendlichen sich mit der Body Modification ihren eigenen Kampf. Denn sie brauchen ja eindeutig grenzwertige Erfahrungen, um für sich überhaupt das Gefühl von verbuchbaren Erfahrungswerten zu haben und sich so selbst zu bemerken.

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