Arbeitsjournal. Sonnabend, der 15. September 2007.

5.12 Uhr:
[Arbeitswohnung. Hindemith, For Those we Love, Requiem.]
Ich pausiere gewissermaßen, jedenfalls komme ich nicht recht mit der Arbeit voran. So daß sich, >>>> ein Dts zu notieren, imgrunde erübrigt. Administratives Zeug, Schulden„bearbeitung“ (in der Tat: wenn ich alle Rechnungen, Mahnungen, Vollstreckungsankündigungen usw. zugeordnet und eingeheftet habe, so daß ich relativ vollständig die Übersicht gewann, kommt es mir immer so vor, als wäre die Bedrohung schon halb abgewendet), der Kongreß gestern, der mich im Nachhinein beschäftigt, und dann, daß ich heute früh nur bis etwa halb acht arbeiten kann, weil es danach mit dem Jungen zum >>>> Familienfest der Komischen Oper geht… all das bringt ein Stocken in die Abläufe. Nur, anders als früher, beunruhigt mich das (noch) nicht. Auch nicht, daß ich mit der >>>> Henze-Besprechung so sonderlich noch nicht weitergekommen bin. Heute morgen werd ich etwas am Henze weiterstricken, aber erst einmal einen weiteren Gedanken zur moralischen, nämlich eigentlich nicht-moralischen Verfaßtheit von Menschen niederschreiben, den ich nicht aus dem Kopf bekomme und der Tragik von wieder einer anderen Seite aus zu erfassen versuchen will. Ich formuliere schon seit dem Aufstehn um halb fünf in mir daran herum. Die Kinder, die gestern gezeigt wurden, ihre völlig determinierte Chancenlosigkeit und daß man also weiß: greift niemand ein, werden sie zu Kriminellen werden, über die sich später einmal Mitbürger, die Sozialität und das Recht strafend und abfällig hermachen werden, zu Recht freilich, wenn man Notwehr und Schutzbedürfnis anderer ins Auge faßt – das sitzt einfach zu tief, um es ignorieren zu können.
Für die Begründung einer Moral ist das – wie der empirisch begründbare Determinismus überhaupt – tödlich. Es bedeutet aber für mich selbst, daß moralische Fragen, wie die BAMBERGER ELEGIEN sie vorführen, letztlich rein kulturelle und kulturnormierte sind, die mit den tatsächlich wirkenden Existenzbedingungen und -notwendigkeiten kaum etwas zu tun haben, ja wie ein Ritual, dessen erste lebenspraktische Wurzel verlorenging und auch schon lange nicht mehr irgend ein Wasser erreicht, das sie ziehen könnte, hängt das moralische Bewußtsein in restlos ausgelaugtem, fruchtlosen Boden. Bitter, ja furchtbar ist das, wenn einem klarwird, daß es hier nicht nur um, sagen wir, Einbrecher und Straßenvandalen geht, sondern eben auch um Mörder, Kindesschänder, Terroristen usw. Auch deren furchtbarstes Handeln stellt sich als ein Ergebnis von greifenden Programmen (Kodierungen) dar, die bereits frühkindlich, ja vor der Sprache, angelegt werden, die moralische Kategorien überhaupt erst in die Welt setzen kann, und die nach einer mehr oder minder bestimmbaren Zeit nicht mehr oder kaum noch re-programmiert werden können.
(Auffällig übrigens, wie sich hier Ergebnisse der empirischen Hirnforschung mit Theoremen decken, die aus der angeblichen und als solche befeindeten spekulativen Theorie der Psychoanalyse stammen; man kann den Eindruck gewinnen, daß es sich bei beiden Disziplinen um Scheingegner handelt, die aus welchen Gründen auch immer Scheinkämpfe führen, anstelle sich zusammenzutun.)

>>>> Dielmann ist mal wieder nicht erreichbar. Aber auch diesbezüglich habe ich eine eigenartige Stoik entwickelt, ebenso wie gegenüber den schlechten Nachrichten, die Prunier aus Frankreich herüberschickt (weitere Ablehnungen meiner Romane).

6.09 Uhr:
Upps… ich sehe gerade, daß das Familienfest der Komischen Oper erst morgen stattfindet. Na, da hab ich was angerichtet (auch die Freundin meines Jungen und ihr Vater wollten mitkommen, und die Geliebte, mit den Zwillingen, sowieso). Da muß ich um acht gleich drüben anrufen und „Entwarnung“ geben. Die Armen… die stehen jetzt früh auf, ohne zu müssen.

9.03 Uhr:
[Beethoven, 3. Cellosonate (Rostropovitsch/Richter.]
Bis eben am Henze gesessen. Das läuft auch ganz gut. Aber ich brech jetzt ab und fahr zum Frühstück zur Familie. Und tu für meine Terminverdusslung lächelnd Buße.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, der 15. September 2007.

  1. Terminverdusslung Was für ein schönes Wort! Es hat was von “duseln”, also: “noch nicht ganz wach sein”. Weshalb – um diese Spur zu legen – ein ß bei der Verdusslung ausnahmesweise (laut nichtneuer Rechtschreibung) mal fehl am Platz wär, es machte sich auch optisch nicht gut. Denn sonst wär der Dussel zu dominierend. Ein ostdeutscher Kinderliedermacher (Lakomy) auf einer (im übrigen hervorragenden) Kinderliederplatte mal den hier gebracht: “Was bin ich Dussel schusselig, was bin ich Schussel dusselig.”

    Wird – da von der Sache her kein Problem bei mir – ab sofort zweckdienlich verwendet!

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