Paul Reichenbachs Freitag, der 12. Oktober 2007. Dynamische Bilder.

Man muss abwesend sein,
um anwesend sein zu können.

12.10.2007 | 21.00 Uhr
Orsolya Kalász | ALLES, WAS WIRD, WILL SEINEN STRAUCH
Reiner Matysik | ÜBER DIE PRODUKTION NEUER HAUPTGRUPPEN

Lesung und Performance in der Ausstellung ERRATA
im gutleut 15 ausstellungsraum | musikalisch unterlegt von Orban
Gutleutstrasse 15 Frankfurt/Main

Hier werde ich anwesend sein !!
Auf eine besondere Weise abwesend sind manchmal Tage, Bücher und Dinge. Wer Abwesenheit verorten will muss sie zwischen Zeit und Raum ansiedeln. Ich war gestern abwesend und wusste nicht mehr in welcher Zeit und in welchem Raum ich lebte. Statt auf die Buchmesse zu gehen, wie ich es vorhatte, packte mich die Erzählerwut. Anlass war ein Krankenhausbesuch. R. war in Bad V. am Mittwoch dieser Woche als sie die Strassenseite wechseln wollte von einem Auto erfasst worden, . Ihr Anruf erreichte mich , ich war gerade auf den Weg zur Buchmesse, in der S-Bahn. Die Konstabler hatte der Zug gerade verlassen und die Hauptwache sollte gleich erreicht werden. Ich konnte ihr Deutsch, das sie normalerweise perfekt beherrscht, ganz schlecht verstehen und bat sie Russisch zu sprechen. Sie sei angefahren worden, läge im Krankenhaus, kann von ihren Freunden keinen erreichen, und brauchte dies und das aus ihrer Wohnung. Ob ich nicht kommen könne, sie würde mir den Schlüssel ihres Appartments geben. Da, da, ja ja – selbst verständlich, sagte ich. Und mein eigenes Russisch klang mir fremder als es eh schon klingt. Fiel mir doch ein, dass ich vor Wochen Stunden mit ihrer Wohnungsauflösung verbracht hatte. Ich wollte, aus mir noch unklaren Gründen, die Wahrheit nicht wissen und fragte also nicht nach. Die Wohnung war bis auf ein Bett neben dem zwei geöffnete Koffer lagen, leer. Auf einem kleinen Bord: Doriano Grėjaus portretas. Oskar Wilde „Das Bildnis des Dorian Gray“ Daneben ein Foto, das mich unklar an jemand erinnerte. Die abgebildete Person war allerdings wesentlich jünger als ich. Ein leichter Stich ging mir durchs Herz. Dann suchte ich ihre Sachen zusammen, die für eine Woche Krankenhausaufenthalt benötigt werden und fuhr ins Spital. Sie lag, Hände und Gesicht in dicken Mull verpackt, im Bett. Völlig weiß, wie das ganze Zimmer. Wir sprachen wenig. Erst beim Gehen, ich hatte die Hand schon an der Klinke, fragte ich, nicht ohne innere Unruhe, wer denn der Typ auf dem Foto an ihrem Bett sei? Aber Paul, du willst mich auf den Arm nehmen, das bist Du. Das Foto haben wir vor kurz vor meinem Heimflug gemacht. Der Mann auf dem Foto sah ganz anders aus als ich, wendete ich ein. Viel jünger. Mindestens 30 Jahre. Wieso jünger, fragte sie. Auf der Heimfahrt, ich bin wie in Trance, also ganz abwesend, gefahren, dachte ich, dass ein Bild doch statisch ist und im Gegensatz zur Realität sich eigentlich nicht verändert. Oder doch. . Kann es dynamische Bilder geben? Ich muss da noch mal hin, sagte ich zu mir, fuhr die nächste Abfahrt ab, wendete und machte mich noch ein einmal nach Bad V. auf. .. Stunden später, saß ich an meinem Schreibtisch und traktierte die Tastatur. Und wer aufmerksam zuhörte, konnte sie stöhnen und ächzen hören. Ich war anwesend.

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