Arbeitsjournal. Montag, der 5. November 2007.

5.26 Uhr:
[Arbeitswohnung, latte macchiato.]
Wenn’s schnell geht, brauche ich morgens jetzt immer eine halbe Stunde, bevor ich hierher aufbrechen kann; vor allem vor der Babyübergabe nahezu immer ein tastendes, fahriges Fahnden nach dem Schnuller, damit das Kind nicht wach wird, dann die Übergabe selbst, nun so, daß das andere Kind nicht auch wachwird; danach Zusammenräumen usw.; immer auch noch ein sorgsamer Blick ins Zimmer des Großen (ja, so fühlt sich das bei einem Siebenjährigen an, wenn Säuglinge dazugekommen sind), der gestern wieder Besuch von seiner Freundin bekam. Hübsch war das: „Papa, darf ich nackt schlafen?“ „Weshalb nicht? Ich schlaf ja auch meistens nackt.“ Und dann schlupft das hübsche Mädel bei ihm mit unter die Decke und grinst. Noch um elf, wie kleine Staffelläufer, durchrauschten die beiden das Wohnzimmer in Richtung Bad. „Kinder, jetzt ist’s aber mal gut, bitte schlaft jetzt.“ Was sie dann wohl auch taten.
An Nachmittag waren wir auf dem Wannsee segeln, >>>> da (Nachtrag) sieht man ganz gut, w i e groß mein Junge geworden ist; U. hat sich ein Boot gekauft; die ganze Familie fuhr darauf mit; man kann gar nicht hoch genug einschätzen, wie wichtig die eigenen Freunde auch für die eigenen Kinder sind; mein Junge bekommt jetzt das Segeln beigebracht; U. und er verstehn sich ja prächtig. Ich: „Irgendwann ruft der dich an und sagt, fahrn wir raus? Der Papa arbeitet eh, Mama ist dortunddort, und wie ich deinen Liebsten kenne, ist der grad auch nicht aus dem Büro wegzukriegen.“ Und dann segeln die beiden ab und scheren sich ein liebes Nichts um die Lieben. Besser kann das gar nicht gehen. U. lachte nur und nickte.
Sowie die Sonne weg ist und die Dämmerung steigt, wird’s allerdings s e h r kühl auf dem Wasser.

Ich wollte noch von dem Treffen mit Kühlmann erzählen. Eine ihm bekannte Lyrikerin war noch dabei. Beide sahen sich, im >>>> Prater, meine Scelsi-Variationen an. Von zweien der Gedichte abgesehen, u.a. von dem Haiku, war da aber mehr Skepsis als Begeisterung; Formulierungen wie „Ich als Verdichtung“, die ich rein physikalisch, laplacesch sozusagen, meine, stießen sogar auf Ablehnung. Das hat mich dann unterschwellig noch ziemlich weiterbeschäftigt.
Wir besprachen vor allem meine nun bald anstehenden Heidelberger Vorlesungen; Kühlmann sieht sie sehr viel pädagogischer als ich. Zudem hat er ja deutliche Vorbehalte gegen das Netz; ein Professor der im guten Sinn alten philologischen Schule halt. Typisch für unsere freundschaftlichen Dissense ist etwa das Verhältnis zum Fetisch Buch: Er legt für seine Publikationen sehr viel Wert auf den Einband, daß er haltbar ist, daß er auch schön ist; ich hingegen möchte eigentlich alles nur noch aufs einfachste gelumbackt haben, überhaupt kein hardcover mehr, nur noch die pure Anmutung eines readers, in den man hineinkritzeln kann und der gern auch schnell auseinanderfällt; wer davon bewahren will, kann gerne, wie ich früher immer um die Fischer-Taschenbücher tat, ein festes Gummiband drumherumziehn. Auch unsere Einschätzung über die Zukunft der Belletristik-als-Kunst differiert; daß ich so ohne große Trauer meine, ihre Zeit sei letztlich schon vorbei, führt zu Irritation. Es ist in der Tat auch zu fragen, weshalb ich dann immer noch weitermache. Andererseits versuche ich ja, von den Errungenschaften der Dichtung ins Netz hinüberzuretten, was nur geht; bzw. sie aufs Netz irgendwie zu übertragen. Kühlmann etwa findet es eine eher gräßliche Vorstellung, daß Studenten während der Vorlesung ihre Laptops aufgeklappt hätten, um meinen Vortrag aus dem Netz mitzulesen; ich wiederum finde das eine reizvolle, ja höchst auratische Vorstellung, die selbst nicht fetischfrei ist.

Widerstandsresistent, wie ich bisweilen auch gegenüber sehr sehr berechtigten Einwänden bin, werd ich mich jetzt mal wieder an die Scelsi-Variationen machen; Nr. XVII ist jetzt dran.

Guten Morgen.

8.29 Uhr:
Zweiter latte macchiato. Ich komm und komm nicht in die Arbeit, finde keinen Ansatz. Nervig. Also surf ich etwas herum, will dann die BAMBERGER ELEGIEN wieder vornehmen, find das aber wieder zu früh… und hab mich statt all dessen entschlossen, dieses Jahr im Winter n i c h t zu frieren und meinen Kachelofen anzuwerfen. Hat gedauert, bis ich den Kellerschlüssel fand, aber fand ihn. Unten sind noch Kohlen, von vor vier Jahren, sogar Kohlenanzünder gab es ein paar. Nun hab ich das Zeug hochgeschleppt, die Klappen des Ofens geöffnet, alles vorbereitet und angezündet – und warte nun, ob die alten Kohlen auch noch anbrennen. Sollten sie, haben ja auch Ewigkeiten davor unter der Erde gewartet…

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