Gestern Mittag.

Es ist fast enttäuschend, obwohl ich alles andere verweigert haben würde, es wäre sowieso keine Gelegenheit gewesen, außer diesen Kaffee zu trinken. Der Treffpunkt ist nahe an meinem Büro, wo die Gefahr ist, dass mich jeder erkennt. Das weiss er natürlich, das hat mich nervös gemacht, seit ich gestern seine Nachricht gelesen habe. Ich habe schlecht geschlafen, ich war unaufmerksam und gereizt den Morgen über. Als ich ging, habe ich den Kollegen gesagt, dass ich was besorgen muss und es wird vielleicht zehn Minuten später. Ich bin sogar etwas früher los, um mich auf dem Weg in einem anderen Café etwas zurecht zu machen. Um 5 vor halb 2 bin ich dann dagewesen, er las ein Magazin und sah kaum auf, als ich vor ihn getreten bin. Setz dich, sagt, willst du etwas essen. Dazu war keine Zeit, das wusste er. Er bestellt zwei Milchkaffee, dann erst legt er die Zeitung zur Seite. Ich will nur genießen, dass du da bist, sagt er, das war bestimmt nicht leicht, du fängst an mir Achtung zu machen. Dann spricht er mich auf seine Beschreibung an, ich weiss nicht, ob ich mich irre, aber in einem Ton, der den Eindruck macht, dass er ein bisschen verstimmt ist. Wogegen wehrst du dich eigentlich, ich tue doch nichts, was du nicht selbst gewollt hast, sagt er. Du kannst jederzeit aufhören, ich bin dir dann nicht böse. Aber es wäre schade, sagt er. Und er lächelt. Dieses Lächeln macht mich hilflos. Du willst dich doch setzen, sagt er, du willst dich doch nicht schon hier vor allen Leuten ausziehen.Ich habe gemerkt, dass ich anfing zu zittern, aber das habe wahrscheinlich nur ich gemerkt. Er bestimmt nicht, er hat auf meine Stiefel gesehen. Zieh sie aus, sagt er, nur die Stiefel, sonst nichts. Und sitze dann einfach da und erzähl mir was. Was ich erzählen soll? Was hast du für Hobbys? Hast du mal geritten? Auf Pferden? Ja, als ich ein Mädchen war, mit zehn und elf. Da steht er schon auf. Bleib noch fünf Minuten bitte, bleib noch ohne die Stiefel hier sitzen, nur fünf Minuten, konzentriere dich darauf, wie sich das anfühlt. Ich melde mich im Laufe der Woche wieder, mit einer Email, einverstanden?

Ich kam erst eben dazu, das, was ich gestern gleich danach am Nachmittag im Büro aufgeschrieben habe, hier in das Tagebuch zu veröffentlichen. Ich veröffentliche mich, und fange an, das zu wollen.

2 thoughts on “Gestern Mittag.

  1. Eine interessante Entscheidung, dieses Spiel um Dominanz und Unterwerfung abzubilden, während es noch im Gange ist. Sind wir, die Joker, die unsichtbar Beteiligten, aufgefordert, über unsere Reaktionen Einfluss auf den Verlauf der Handlung zu nehmen? Lässt sich das überhaupt vermeiden? In der von den Akteuren dargebotenen Form erfüllt sich für mich eines der Versprechen des ANH-Konstrukts: Das der Vermischung und der Anreicherung. Welche Kette von intuitiven Klicks im Kopf der Spieler musste sich bilden, um zu erkennen, dass die Dschungel ihnen eine zusätzliche Aufladung ihrer Situation bieten? Ohne die sie vielleicht bereits aus dem psychologischen Setting herausgefallen wären, das Grundvoraussetzung ihres Spiels ist.

    Ich mag L’s Unterwelten; ich mag den Namen. Wie gebannt sie von ihrem Spiel sein muss, hier weiter unerschrocken Präsenz zu zeigen: In diesem Becken tummeln sich ein paar Haifische. Bestimmt nicht ganz leicht, auch solche Bisse wiederum in Erregung, in Energie für die Fortführung des Spiels umzuwandeln. Doch sie gehören dazu, um das Spiel nicht zu einer therapeutischen Versuchsanordnung verkommen zu lassen.
    Ich mag die Art, wie L. bei sich bleibt, ohne auf die Ebenenwechsel einzugehen, die manche der Kommentare eröffnen.
    Was wird Er tun, um sie weiterhin in Spannung zu halten, um seine eigene nicht zu verlieren? „Tu einfach, was ich Dir sage“: Solch einen Satz kann man nicht einfach ins Niemandsland stellen; er muss sorgfältig vorbereitet werden, erfordert genaues Timing. Seine Genugtuung über die Reaktionen, die er nicht nur bei L. mit seinen Manövern, Provokationen, auslöst, sollte ihm genug Zündstoff geben, weiter Phantasie zu beweisen. Er hat eine komplexe Situation geschaffen, die nach seinen Entscheidungen verlangt. Nach guten Bildern. Nicht nur L., auch ich, unsichtbar, erwarte, dass er die Zügel nicht aus der Hand gibt. Erfinde Er.
    Erweise Er sich kundig.
    Sonst wird L. ihn, und uns, verlassen.

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