Paul Reichenbachs Montag, der 17. März 2008. Knochen versiebt.

„Die Hoffnung muss wieder eintreten,
und dann kommt sogleich die Tätigkeit wieder.“

Goethe an Reinhardt 1807

Das ganze Wochenende verbrachte Paul damit seine Sachen zu ordnen, denn morgen wird er unterm Messer liegen. Der Termin steht schon lange fest. Zwei entzündliche Herde am Oberkiefer sollen entfernt werden. Mag sein, dass Pauls Kommunikationsunlust und die Vernachlässigung seines TB in den letzten 2 Monaten in der drohenden Operation gründen. Es beschäftigte ihn, obwohl er sich in den vergangenen Wochen alle Mühe gegeben hat eine Furcht zu verdrängen, deren Ursache nicht hypochondrischer Natur ist. Sie hat reale Gründe, denn eine Panorama-Aufnahme seiner Schädel- und Kieferknochen vor Jahren zeigte ein labiles durchlöchertes Knochensystem, das keine guten Aussichten auf Geschlossenheit bot. Knochenfraß. Das Wort wollte Paul nicht hören und ergo spielt er den Vogel Strauß. Der Satz Peter Kiens, der Canettis Figur ins Unglück stürzt, Blindheit ist eine Waffe gegen Raum und Zeit, wird auch Paul in die Malaise bringen. Hilfe zum Blindstellen gewährte eine trügerische Hoffnung, die er als Wurzelresektion zu respektieren bereit war und für die es keinen begründeten Fingerzeig gab. Alle Wurzeln sind okay, sonst würde er doch Schmerzen haben, sagte er sich. Und täuscht sich auf diese Weise über das Verhältnis von Schmerz und Erkrankung. Schmerzlosigkeit heißt nicht automatisch Gesundheit…
Eine wirkliche Hoffnung hat immer einen realen Kern bzw. huldigt einem entwickelten Möglichkeitssinn, der nach Tätigkeit ruft. Paul aber ist seit langer Zeit untätig.

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