Brotkorb & Kunst? 07.05.2008. Paul Reichenbach betrachtet Felix Valloton.

Das instinktlose, elende Geschöpf, was so verlassen aus den Händen der Natur kam, war auch vom ersten Augenblick an das freitätige, vernünftige Geschöpf, dass sich selbst helfen sollte und nichts als konnte. Alle Mängel und Bedürfnisse als Tier waren dringende Anlässe, sich mit allen Kräften als Mensch zu zeigen ….
( Johann Gottfried Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache.),

… und so schafften sich die Menschen, immer unter der Knute der Natur, ihrer Natur, ihre jeweiligen Sphären in denen sie sich spiegeln konnten. Ein Ergebnis dieses Prozesses nennen wir heute Kunstgeschichte. Eine Unzahl von Abbildungen, Skulpturen und Bauwerken von Tasmanien bis zum Kap, entstanden in Jahrtausenden, geben Zeugnis, sind Spiegel der oft elenden, und manchmal doch glückhaften Sucht der Menschen nach Selbstvergewisserung. Da werden Götter und Herrscher gefeiert, in deren Eigenschaften die Menschheit sich träumt und wiedergeboren wähnt. Da wird in und mit Bildern, in Artefakten jeder Art gelogen, dass sich die Balken biegen. Denn Kunst geht auch nach Brot. Und Brechts Brotkorb in seinem Stück „Die Tuis oder der Kongress der Weißwäscher“, hängt nicht nur für Intellektuelle hoch. Auch Künstlerinnen und Künstler müssen essen und brauchen Werkzeug. Das Leben ist teuer und trotz dieser Tatsache, wurde, wird es doch meist unterm Preis verkauft. Die Unbestechlichen sind selten geworden, heuer in diesen Zeiten. Dass dieses Lamento auch für frühere Jahrhunderte gilt, ist anzunehmen, auch wenn es da quantitative Unterschiede gibt. Ich wage zu behaupten, dass im Hochmittelalter ein Botticelli weniger korrupt als ein Renoir im Zeitalter des florierenden Kapitalismus gewesen ist. Heute, wo Marxens Voraussage, dass der Markt alles und alle gleich macht, ihre Wiederbelebung erfährt, unabhängig davon wie wir uns im Gleichen unterschiedlich, illusorisch inszenieren, ist Unbestechlichkeit in der Kunst rar. Produziert wird was profitabel erscheint. Und doch gibt es Künstler, nehmen wir z.B. ANH, die mit großer Verve, die einen nennen es verbohrt, ich nenne es künstlerklug und elegant, die Marktbedürfnisse, wie Slalomläufer die Tore, umfahren. Ihre Teilhabe an Kunst- und Literaturgeschichte muss in keiner Enzyklopädie vermerkt werden. Sie ist.


In Hamburg kann man gegenwärtig Bilder von >>>Felix Valloton bewundern. Auch er ein Unbestechlicher. Einer, der das Fien de siècle sezierte und die ganze Verlogenheit bürgerlicher Existenz in der Belle Epoque in vielen Bildern uns vor Augen führt. Dabei ist er nie anklagend, keine Käthe Kollwitz, deren Werk ich hier um Gottes Willen nicht schmälern möchte. Vallotons Bilder verraten uns einen distanzierten Blick auf Existenzen und Dinge, die wir einige Jahre später in den Werken von Ernst Jünger, Oskar Schlemmer, Walter Serner und Bertolt Brecht finden. Bei Felix Valloton, meine ich, ist alles wahr und nix hinzugefügt. Erschöpfung, Orangenhaut und Falten, Spiegel der Endlichkeit, selten sieht man solches ohne jammernden oder revolutionären Zeigefinger. Wo andere verzaubern, beraubt er uns aller Illusionen. Ist Maler und Aufklärer zugleich. Herweghs, Partei, Partei, wer sollte sie nicht nehmen brauchte er nicht. Sein Auge, ein Pinsel, ein Stift, eine Palette und eine Staffelei genügten ihm sich mit allen Kräften als Mensch zu zeigen: Als nicht korrumpierbarer Künstler.

>>>>Bildquelle: Felix Valloton, Akt in einem roten Lehnstuhl.

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