“Raoul”, Oper von Gershon Kingsley/Michael Kunze, UA 21.2.2008, Theater Bremen

Er wollte sie alle retten. Doch als die Juden leibhaftig vor ihm standen, ihm die Hände entgegenstreckten, damit er sie, nur sie, mitnähme, war er am Ende. Nun musste er auswählen, zurücklassen. Das ließ ihn verzweifeln.
Golden glitzernde Paar Schuhe, am vorderen Bühnenrand aufgereiht, die Darsteller auf der offenen Bühne mit schrägen hellen Flächen, bereit zum Spiel, barfuß. Eine der beiden Erzählerinnen richtet die Handy-Cam auf die Zuschauer – die Bilder werden auf das Bühnenbild projiziert. Die Titelfigur sitzt im Publikum (am 9. Mai großartig besetzt mit dem sowohl stimmlich als auch darstellerisch überzeugend gestaltenden Alexej Kosarev), greift nur zögernd ins Geschehen ein. Hinter der Bühne: Orchester, weitere Choristen. Das Leben des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg (*1912, seit 1947 verschollen) wird nacherzählt: seine Richtungslosigkeit in anfänglicher Berufswahl, die schnell empfundene Notwendigkeit, seinen Einfluss qua Amt geltend zu machen und Menschen vor dem sicheren Tod zu bewahren, indem er ihnen in Budapest zu so genannten schwedischen Schutzpässen verhilft. Er begegnet Adolf Eichmann, der den “Judenhund Wallenberg” erschießen lassen wollte, Stalin, Churchill. Trotzdem schafft er es, den Kontakt zu Juden aufrecht zu erhalten, ihnen Schutzwohnungen zu verschaffen.
Am rechten Bühnenrand ein Liebespaar auf einem hohen Podest. Wallenberg sorgt sich auch um sie, vermählt sie, – für die anderen Grund zum Feiern, traditionelle jüdische Weisen anzustimmen, zu tanzen. Doch nur die Braut überlebt, ihr Mann verlässt das Versteck, begibt sich in Gefahr. Auch er muss seine Schuhe an den Bühnenrand stellen, sterben. Für sich genommen Stoff mit eingängiger Musical-Musik.
Dann wieder hämmerndes Staccato des Schlagwerks, tosende Crescendi der Bläser und Streicher, wild wogende Disharmonien treiben auf den Höhepunkt des Stückes zu, als Wallenberg Aug in Auge steht mit den Menschen, die er für die Rettnung auswählen, und denen, die er zurückweisen muss. Er geht von der Bühne, zurück in die Anonymität. Wie er tatsächlich umkam – bis heute ungeklärt.
Gershon Kingsleys neues Werk (Textbuch Michael Kunze) ist nicht eindeutig klassifizierbar, enthält Elemente aus Oper, Sprechtheater und Musical. Die Bremer Philharmoniker, Chor und Kinderchor, Mitglieder des Internationalen Opernstudios des Theaters Bremen und alle Solisten unter Leitung von Tarmo Vaask leisteten Hochkarätiges. Regisseurin Julia Haebler illustrierte die Inhalte geschickt, überließ kein Detail dem Zufall, gab dem Stück den nötigen Drive.
Ob diese Biografie tatsächlich so gut geeignet ist, um eine Oper daraus zu machen, sei dahingestellt. Auf jeden Fall schließt sie Bildungslücken für jugendliches Publikum, das hier in erster Linie angesprochen scheint.

Die Biografie von “Wallenberg” inspirierte den estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür zu seiner gleichnamigen Oper (Libretto Lutz Hübner). Sie wurde 2001 von der Oper Dortmund in Auftrag gegeben, hatte am 1. Juni 2007 Premiere an der estnischen Nationaloper in Tallinn und wurde dort bis Ende Mai 2008 aufgeführt. Es gibt eine hervorragende DVD (http://www.erpmusic.com/Wallenberg), die das Werk der breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht – sehr empfehlenswert. Gesungen wird im Original-Text deutsch, Untertitelung estnisch. Das Booklet bietet Infos in estnischer und englischer Sprache.

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