Arbeitsjournal. Sonnabend, der 31. Mai 2008.

5.30 Uhr:
[Arbeitswohnung. Schostakovitch, Cellosonate.]
Zäh nur geht die Arbeit momentan von den Fingern; es ist so eine Art Lustlosigkeit, Einfallslosigkeit; allerdings sind die wenigen Zeilen, die ich dann immer d o c h hinbekomme, sehr schön, so daß es zwar vorangeht, aber eben nicht in dem gebotenen Tempo. Gestern vormittag zumal dauerte der Einbau des neuen Boilers an die drei Stunden, dann rief mein Freund Leukert an, der auf dem Weg nach Berlin war und mich mittags gern sehen wollte. Was zu zwei Bieren führte, die ich in der prallen Sonne trank, und sowas ist für inspirierte Arbeit nie gut.
Immerhin habe ich gut Cello geübt, den ganzen Vormittag über und dann nachmittags noch mal und abends mit meinem Sohn. Auch Leukert klagte ein wenig über eine Finanzmisere, nicht gar so dramatisch wie dauernd bei mir, aber auch seiner Frau werden Sendungen gestrichen; Funkanstalten gehen jetzt sogar schon dazu über, sich vorzubehalten, bereits getroffene Vereinbarungen kurzfristig wieder zurückzunehmen; ihnen geht einfach das Geld aus. Und es ist nicht üblich, daß Autoren und Funkanstalten Verträge vor den Sendungen schließen, sondern diese Verträge werden immer erst zur Unterschrift geschickt, wenn die Sendung schon produziert ist und ein Sendetermin feststeht. Ausnahmen sind solche, die bevorschußt werden; aber Vorschüsse sind bei Rundfunkanstalten an sich Ausnahmen, anders als bei Verlagen.

Jedenfalls bleibe ich heute mal den Tag über am Schreibtisch sitzen; mit Ausnahme eines kurzen Postweges, der zu gehen, bzw. zu radeln ist. Ich muß unbedingt die BAMBERGER ELEGIEN vorantreiben, und ich muß mindestens ebenso unbedingt die Fahnen für das >>>> Manutius-Buch der HEIDELBERGER VORLESUNGEN korrigieren.

Bernd Lunkewitz hat >>>> für seine AUFBAU-Verlagsgruppe die Insolvenz beantragt; geschickt – und begründet -, wie er sich seine investierten Gelder möglicherweise wieder zurückholt; er hätte dann, gelingt das, in großem Stil Literaturgeschichte mit einem finanziellen Einsatz von Null geschrieben, nämlich einige große Autoren, darunter den von mir hoch geschätzten >>>> Thomas Lehr, auf den Weg gebracht. >>>> Hier das pdf seiner Erklärung der Hintergründe; es liest sich wie eine hübsche Kriminalgeschichte des Wirtschaftslebens. Zumindest in Finanzdingen ist Lunkewitz Genie nicht abzusprechen.

Also mittags im Prater mit Leukert. Er gab mir Wolf Singers neues Suhrkamp-Bücherl: >>>> Hirnforschung und Meditation. „Das hat mich sehr viel weitergebracht. Hast du die Zeit zu lesen?“ Ich log: „Ja.“ Sagen wir: ich schwindelte. Denn tatsächlich will ich ja immer lesen, finde aber dann die Zeit nicht, oder, abends, zapp ich mich müde durchs Fernsehprogramm auf der Suche nicht nach Meditation, sondern nach vitaler Aufregung. Momentan ist das so. Bringen sie Werbung, nehm ich das Cello und lerne leise, angedeutet streichend, Stücke auswendig. Also Am Terrarium nach 22 Uhr, weil es schon Beschwerden gab wegen der Ruhezeiten; hier, in der Arbeitswohnung, gab es noch nie eine, hier kann ich auch nachts um halb drei in Konzertsaals-Lautstärke die Salomé hören.

Ich werde ganz streng bei den Elegien; alles, was mich auch nur umgefähr stört, wird bearbeitet; ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob der Überdruß, den ich bisweilen bei manchem an ihnen empfinde, nicht einfach nur aus zu großer Nähe rührt und daher, daß ich nun ununterbrochen seit fast zwei Jahren daran sitze.

Auch mit Leukert besprochen, der sich ja als ehemaliger Neuer-Musik-Chef des Hessischen Rundfunks gut auskennt: die mich immer wieder verblüffende Unkenntnis von Musikern, was Musikliteratur anbelangt; was sie alles nicht kennen; so auch meine Lehrerin; sie kannte die Britten-Suiten tatsächlich nicht, nicht die Dallapiccola-Ciaconna, nicht Stockhausens „In Freundschaft“; man kann sagen, daß für die meisten (ausführenden) Musiker, soweit sie nicht als Orchestermusiker beruflich damit zu tun bekommen, die Partien nach, sagen wir, 1900, nicht nur böhmische Dörfer, sondern weiße Flecken auf der Landkarte sind. „Sie kommen ja aber auch mit ihren zehn/zwölf Stücken in aller Regel gut aus; mehr will der Markt von ihnen nicht haben. Es gibt auch bei Hörern kaum ein Bedürfnis danach.“

[Prokofiev, Cellosonate.]

.Wir plauderten um die Idee der Gründung einer eigenen Produktionsgesellschaft für Hörkunst herum, an der aber dringend ein Tonstudio beteiligt sein müßte; man müßte einen „Pool“ kreativer Köpfe zusammennehmen, die ihre Produktionen dann selbst realisieren und sie fix und fertig an die Rundfunkanstalten weiterverkaufen oder als Hörbücher in den Markt geben. Damit sich so etwas trägt, brauchte es einen Mäzen. Nein, keinen Sponsor, weil das Sponsoring-Modell von falschen Voraussetzungen ausgeht; sondern es brauchte einen, der quasi ein eigenes Theater für Kopf-Hörer gründen will. „Vielleicht sollte man mal, wie ich das in meinen Börsenzeiten fürs brokerage business tat, einen Monat lang nichts anderes tun, als zu telefonieren: eine Liste der reichsten Leute im deutschen Sprachraum abtelefonieren und mit derselben Kälte sofort zum nächsten übergehen, wenn man im Gespräch abgewürgt wurde. Einfach lachen und den nächsten anrufen: ‘Haben Sie Lust, für große Kunst eine halbe Million zu verlieren? Wir versprechen Ihnen, daß sich das finanziell ganz bestimmt nicht lohnt, aber daß Sie viel Lust erfüllen wird.’“ – Paradox intervenieren nannte die kluge Do das früher immer.

8.39 Uhr:
[Bei der Zweiten Elegie.]
Schweinegut! S a u gut!: >>>> Iannis Xenakis, Kottos für Cello solo (1977). Ich werd gleich mal selbst mit dem Üben anfangen. Aber hätt gern noch diese Elegie-Passage zuendegebracht, für die ich mich auf >>>> Seiten der VOGUE herumtreibe.

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