… mein kind ist nach hause gefahren. sie will allein sein, aber in einem eigenen sinne. „du weißt, ich brauch die nacht und die stadt.“ ja… das weiß ich. die entsprechenden vorbereitungen, wie duschen, rasieren, schminken und sich eine stunde lang das haar zu stylen, nennt sie „kampfkleidung“ anlegen. das anlegen dieser kampfkleidung beginnt nicht vor 22.00 uhr, man fährt sowieso nicht vor 24.00 uhr los. ein gemeinsames treffen in irgendeiner bar, bevor man sich für eine location entscheidet. sie ist nie allein, sondern immer mit einer gruppe von freunden unterwegs. schon als baby schlief sie nachts nicht viel, sie schrie nie… lag einfach in ihrem bettchen und war wach, und als die phase des lernens der ausformung von worten begann, brabbelte sie die halbe nacht vor sich hin. wenn sie dann schlief, schlief sie in der nacht mindestens 8 mal um sich herum, schmiß immer alles das, was sich in ihrem bettchen befand, raus, es lag am morgen immer alles auf dem boden, und sie auf der matratze. meistens mit ihrem köpfchen am fußende. ich fragte mich immer: „wie kriegt sie das zeug durch die gitterstäbe?“ auch als sie später in die schule kam, regulierte sich das nicht. in der pubertät wurde es noch schlimmer. jeden abend bereitete sich mein kind ein „nachtmahl“, nahm das mit in ihr zimmer. sie nahm aber nicht nur das nachtmahl mit in ihr zimmer, sondern auch noch jede menge süßigkeiten. „mein hirn braucht nachts süßes.“ und schloss die tür. am nächsten morgen war alles aufgegessen, der stapel der gelesenen bücher vor ihrem bett wurde immer höher. und obwohl sie ja heute ihren job hat, der meistens einen 10 – 12 stundentag erfordert, geht sie nie vor 02.00 uhr oder 03.00 uhr wirklich ins bett. „ich kann vorher einfach nicht schlafen.“ sie kommt mit abenteuerlich wenig schlaf aus, diese tatsache mache ich allerdings dafür verantwortlich, dass ihr immunsystem nicht so funktioniert, wie es funktionieren sollte. ob ich damit richtig liege, weiß ich nicht. ich glaube heute, ein job mit nachtarbeit wäre für sie gut gewesen. als sie 18 jahre alt war, arbeitete sie vier jahre nachts am wochenende in einer disco nebenbei. sie blühte richtig auf in dieser zeit. morgens um 05.00 uhr war der job beendet, dann fuhr man noch frühstücken… in einer einschlägig bekannten bar, die auch heute noch speziell für die menschen, die in dieser branche arbeiten, warme küche bis morgens um 08.00 uhr und zeitgleich ab 06.00 uhr das frühstück anbietet. auch verkehren dort die von der gesellschaft benannten „randgruppen“. häufig brachte sie, wenn sie erst um 09.00 uhr oder 10.00 uhr morgens nach hause kam, brötchen mit, kochte kaffee… kam mit dem tablett in mein zimmer. das gemeinsame frühstück im bett dauerte dann bis mittags, erst dann ging sie schlafen. das ging freilich nur am wochenende, weil ich ja meinen normalen job hatte, und sie in die schule und später in ihren job musste. für „randgruppen“ setzte sie sich schon sehr früh ein. viele jahre arbeitete sie ehrenamtlich in einer institution, die sich für junge frauen einsetzt, die sich in der situation befinden, in die prostitution zu geraten. „ich verurteile diesen job nicht, aber man muss diesen jungen frauen klar machen, auf was sie sich da einlassen.“ sie unterstützte immer nur, half, wo sie konnte, ein verhindern wollen war nie ihre intention. auch in der schule schon half sie, wenn sie sah, dass da jemand ausgegrenzt wurde, sie vermittelte immer, schlug allerdings auch mal zu, wenn sie sah, dass jemand klassenkeile bekommen sollte. meine damalige haftpflichtversicherung musste insgesamt 5 gebrochene nasenbeine und auch sonstige ärztliche behandlung bezahlen. wenn sie wütend ist, entwickelt sie eine ungemeine kraft. mit einer glatten zwei im schnitt entschied sie sich ein jahr vor dem abi, dieses zu schmeißen und ihren eigenen weg gehen zu wollen. ich ließ sie gehen, es war zwar eine sehr schwierige zeit, in der sie nur durch eigene erfahrungswerte lernte, aber das letztendlich schulte… brachte sie eben auf ihren weg. ich mischte mich nur sehr selten ein, immer wenn sie fragte, riet ich, mehr nicht. heute ist sie sehr dankbar dafür: „mama, du hast genau das richtig getan, anders hätte ich nicht gelernt.“ manchmal klingelt mitten in der nacht das telefon, mein kind ist dran und stellt einfach eine frage, meistens zu einem thema… eine passage, die sie gerade in einem buch liest. ich hatte mir vor einigen tagen vier bücher von aragon bestellt, die mir noch fehlten. die bücher hat sie jetzt in ihrem gepäck, ich möchte wetten, sie sitzt jetzt im zug und liest.
einen >>>> film brachte sie mir mit. „das zum thema religion.“ sagte sie, und drückte ihn mir in die hand. „er hinterläßt spuren, in mir haben sie lange gewirkt.“
ich muss jetzt erst einmal meine wohnung aufräumen. mein kind schafft es, eine wohnung innerhalb von einer stunde so aussehen zu lassen, als ob 24 stunden lang bomben eingeschlagen hätten. und… ich brauch’ne mütze voll schlaf.