Druckknopf mit Passloch und gebördeltem Rand. 15. 06. 2008. Paul Reichenbach findet Arno Schmidts „Mormonen“ aus „Julianischen Tagen“.

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“…Wohl will ich gern gedenken/ an Freund’ und Jugendland;
doch ist’s mein Volk im Westen, / wo ich die Heimat fand.“
(aus einem Berliner Mormonengesangbuch)

Natürlich meint das Lied Amerika, und aus den ersten Strophen, wo es heißt: „Es liegt im fernen Westen/ ein Land so lieb und wert…, geht das klar hervor. Die Verse sind mir gerade eben in die Hände gefallen, als wir einen Schrank aufräumen, in dem meine Klamotten hängen. Anzüge, Hemden, Hosen, Schlipse und Gürtel en masse.
Das Aussortieren ist notwendig geworden, weil ich mich am Vormittag in der Nähe Aschaffenburgs wieder einmal neu eingekleidet habe. Und da wird natürlich, bei solch einem Zuwachs, im Kleiderschrank Platz gebraucht. In einem Jackett, dass mindestens 20 Jahre nicht beachtet wurde, und dass neben 6 Hosen, einem Nähkästchen, einer transportablen Nähmaschine mit dazugehöriger Tasche und einer Menge kleiner Dinge, alle längst bereit für den Weg zum Müll, fand ich die Mormonenverse in einem kleinen Taschenbuch „ Aus julianischen Tagen“ von Arno Schmidt, mit Ausrufezeichen versehen. Völlig vergessen steckte es in der Seitentasche. Das Ausrufezeichen signalisierte Hoffnung. Blinde Hoffnung, naive..? Heute, mit den Erfahrungen und jetzigen Erkenntnissen, würde ich wohl eher ein Fragezeichen hinter das schmidtsche Mormonenzitat setzen. Denn Heimat habe ich nicht gefunden. Man kann nicht finden, was es nicht gibt. Das liest sich bitterer als es wirklich ist. Ex oriente lux ein Lebensprogramm, ein ideologisches Hic rhodus, hic salta, ein Versprechen auf Änderbarkeit von Welt. Vorher schon, lange vor dem Heimatverlust, mit Schierling vermischt, hatte „Aurora“ ausgedient, und die Abendsonne wurde Substitut. Der Schönberg-Schüler Eisler muss wohl, was Schönberg betrifft, ähnlich wie ich, was den Westen betrifft, empfunden haben. So sagte er einmal voller Respekt über seinen Lehrer Arnold Schönberg: „Seine Schwächen sind mir lieber als die Vorzüge mancher anderer. Verfall und Niedergang des Bürgertums: Gewiss. Aber welch eine Abendröte!“

SONNENUNTERGANG

Die Rötung des Himmels
weckt Oasen
für den Nomaden der Liebe
(Giuseppe Ungaretti)

Ach so, beinahe hätte ich es vergessen! Unter den vielen kleinen Dingen, die dem Müll geopfert wurden, fanden sich auch 36 Druckknöpfe aus der DDR, mit Passloch und gebördeltem Rand. Das Dutzend kostete damals 21 DDR-Pfennige. Seitdem überlege ich, die Fahndung in Wörterbüchern scheint vergebens, was gebördelt eigentlich heißt.

3 thoughts on “Druckknopf mit Passloch und gebördeltem Rand. 15. 06. 2008. Paul Reichenbach findet Arno Schmidts „Mormonen“ aus „Julianischen Tagen“.

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