Cavalli. 7. Juli 2008 (nachtgetragen).

Permanent depressiv-unterschwellige Anfälle von Mutlosigkeit. Wieder einmal die Vorstellung, ich zöge mich zurück, ließe es sein mit der Dichtung, zöge mich irgendwohin in die Dritte Welt zurück oder in die Steinwüste, wie mein Vater, um nichts mehr zu erfahren; einfach s e i n, Kartoffeln pflanzen vielleicht, autark werden und mit Entschiedenheit asozial sein, asozial sein w o l l e n: ohne Gemeinschaft. Das schränkt sich dann immer gleich ein: wenn die Kinder mal groß sind usw.
Die permanente Selbstspaltung. Der selbstsichere, größenwahnsinnige, arrogante Autor. Zugleich die – und immer wieder weggedrückte – Verzweiflung über den mangelnden Erfolg; gäbe es einen, drückte er sich in dieser Gesellschaft durch Vermögen aus oder doch wenigstens dadurch, daß man finanziell sorgfrei leben kann. Die Erbärmlichkeit, ständig andere Leute um Geld anbetteln zu müssen. Auch die Idee, mir irgend einen Brotjob zu suchen. Nur wann arbeite ich dann? Bei drei Kindern ist das überhaupt nicht denkbar, es wäre die eingestandene und realisierte literarische Niederlage; zumal wenn ich nun auch noch Cello übe drei bis vier Stunden täglich (was will ich damit eigentlich? – auch das frage ich mich; und antworte: das Cello ist die Wüste, in die ich mich zurückziehe). Die nächste Spaltung gleich in den erotisch vitalistischen Mann, den Dominanten überdies, der so auch wirkt und begehrt wird, und in denjenigen, der erotisch verschmäht wird genau dort, wo er liebt. Das hat was Komisches, ich weiß das; es ist mir aber nicht immer möglich, die nötige Distanz einzunehmen, um von dieser Komik auch etwas zu haben. Eigentlich kann ich darüber auch wieder nur schreiben. Gut ist an dem allein, daß mir der Kampf, in dem ich permanent stehe, kein Selbstmitleid erlaubt, vom Leid wird das Mit-sich-selbst notwendigerweise weggestrichen; was selbstverständlich ebenso falsch ist, aber immerhin seit meiner Psychoanalyse nicht mehr oder nur noch sehr selten zu scheinbar irrationalen Ausfällen führt. Die Zusatzspaltung in den liebevollen und verständlichen und bemühten Vater und quasi-Gatten. All diese einander widerstreitenden Personen sind e c h t, das ist genau das Problem. Insofern handelt es sich nicht um eine klassische Depression oder selbst nur Melancholie; denn diese „zeichnet aus“, daß sie ihren Grund nicht wissen; ich hingegen weiß die Gründe immer sehr genau.
Doppelleben also, teils nur imaginierte oder im Netz ausagierte, teils tostestoronal-getrieben realisierte. Dazu noch dieser Ohrreif auf meinem Schreibtisch: eine permanente Aktualisierung, wie eine Mahnung, ein carpe diem und das Symbol einer Sehnsucht, die letztlich immer noch an ein wahres und einheitliches Leben glaubt.

Und wenn ich es tausendfach kultiviere: Es ist nicht leicht, mit solch einem Abgelehntwerden zu leben. Die Verkaufszahlen sprechen ganz andere Bände, als ich sie geschrieben habe. D i e werden n i c h t gesehen.

(Ich nehme nunmehr eine weitere Spaltung vor: in denjenigen, der >>>> das Arbeitsjournal schreibt, und jenen, der das Tagebuch schreibt. Auch das schon gehört zum Problem).