Arbeitsjournal. Mitwoch, der 12. November 2008. Berlin. Heidelberg.

4.51 Uhr:
[Am Terrarrium.]
„Bist du denn des Wahnes??!!! Was hast du dir d a b e i gedacht??! G a r nichts! Du hast n i c h t s gedacht! Du bist sowas von bescheuert, du hast echt ‘n Knall!“ – So der Profi, noch gestern nacht, am Telefon. R i c h t i g sauer. Seine Argumente waren gut, auch wenn sie mir restlos gegen den Strich gingen. Knirschend, wirklich knirschend nahm ich zurück, was ihn derart in Rage gebracht hatte. Dann schrieb ich UF eine Mail: „(…) es ist ein Schritt in die Korruption. Ich werde weich.“ Darauf dann der: „Das hat mit Korruption nix zu tun. Sorry, daß ich nicht auch drauf gekommen bin. Klar hat er recht.“ – Unversehene Aufregung also noch vorm Schlafengehen, ich schlief wie ein Hünengrab. Als ich aufwachte, pünktlich, schon weil die Heidelbergreise drängt (ich hab noch nicht einmal das Ticket ausgedruckt), lag das Köpfchen des Zwillingsmädchens in meinem Arm, gesichtauf, völlig ruhig, „friedlich“ ist das richtige Wort.
In die Küche, das Wasser zum Kochen aufsetzen, um den Kleinen die Morgenmilch zu bereiten, den Kaffee aufsetzen; immer noch geht mir des Profis Wut im Schädel um, die ja doch Freundschaft und Besorgnis ausdrückte, mir aber dennoch im Ideenkonzept herumfährt wie eine Kehrmaschine der BVG; und letztlich muß ich auch argumentativ nachgeben, zugestehen, das nörgelt in mir am meisten rum. Jedenfalls wäre ich für Politik, das ist mal sicher, ein Wolfsrudel auf der Ziegenkoppel und Marder-Gang im Hühnerstall. Hat auch was Komisches, wenn ich mir das mit Abstand betrachte, was der eine von uns inneren beiden da tut, der meinem dritten Ich rechts auf der Schulter sitzt und kommentiert, indes der zweite Pläne entwirft und sie den Dritten fressen läßt.

Meine Heidelberger Studenten sind Witzbolde (und Witzboldinnen, ‘tschuldigung) mit Torschlußpanik: plötzlich geht da eine ganze Welle neuer Texte übers >>>> virtuelle Seminar… aber gaaaaanz kurz gesprungen: direkt am Tag vorm Realseminar. Nun hab ich kein Recht zu meckern, weil ich selbst dazu tendiere, „Hausaufgaben“ erst in allerletzter Minute zu machen. Also hab ich geächzt gestern abend, das aber zugleich sympathisch gefunden. Zwei Texte hab ich dann nicht mehr geschafft, es wäre sonst zu spät geworden, um pünktlich heute früh aus den Federn zu kommen.

Planung für heute: Um 11.13 geht die S-Bahn (ab Prenzlauer Allee) Richtung ICE, um 11.05 Uhr werd ich aus der Arbeitswohnung aufbrechen. Von 8 bis 10 Uhr will ich ans Cello. Während der Fahrt will ich mich >>>> hierfür vorbereiten; ich werde also die mir zugesandten Bücher durchsehen und so lesen, daß ich für jeden Autor ein kleines Arbeitspapier vorbereiten kann. Um 16.47 Uhr werd ich in Heidelberg sein; >>>> Hanna Leybrandt will mich abholen; wir werden vorm Seminar sicher im >>>> Knösel einen Kaffee trinken. Um 18 Uhr c.t. dann das Seminar, gegen 20 Uhr werden wir alle abermals ins Knösel hinüber (es gibt darin einen Rauchersalon), Kühlmann will dort hinzustoßen, mit dem ich dann nachts auf den Mannheimer Pfingstberg fahren werde, um dort zu übernachten und vorher noch etwas mit ihm zusammenzusitzen und, wie das jugendlich neudeutsch heißt: abzulästern; einerseits; andererseits werden wir über Dichtungen sprechen, wie meist in diesen Allmonatsnächten. Morgens dann gemeinsames Frühstück, und gegen zehn Uhr, schätze ich, geht’s zurück nach Berlin.

6.10 Uhr:
Mir geht und geht diese Geschichte im Sinn rum. Plötzlich, eine Art spitzen Erschreckens, dachte ich, daß ich – eben nicht in MEERE, sondern hier mit diesem Arbeitsjournal – eigentlich Maxim Billers Projekt immer mitverfolge: zu erzählen, was ist. Und zwar selbst dann, wenn ich meine Aufzeichnungen fiktiv auffülle oder ggbf. „verstelle“. Das hat, so irre, siehe Profi, das dann anmuten mag, nicht so sehr etwas Poetologisches, sondern ist eine Strategie des Überlebens: Man wird später, wenn man die deutsche Literaturgeschichte dieser Tage nachvollziehen will, immer wieder auf mein Arbeitsjournal zurückgreifen, und zwar einfach deshalb, weil ich Namen nenne und andere als die offiziellen Lichter auf den Betrieb werfe. Das wird den Germanisten die Recherche erleichtern, auch wenn sie selbstverständlich meine Angaben überprüfen müssen. Nicht das aber ist es, worauf es mir ankommt, sondern das Anliegen der Literaturwissenschaft wird dazu führen, daß auch immer wieder meine Werke in das Gespräch kommen werden. Und genau darum, eigentlich n u r darum, geht es mir. Außerdem fällt mir grad mal wieder Nabokov ein, der alte: „Ich habe die Fiktionen satt!“

7.51 Uhr:
[Arbeitswohnung. Latte macchiato. Bruckner, VII (Cass. „Projekt“ Nr. 78 ff).]
Jetzt aber..! (Auf dem Herweg fiel mir ein weiterer Schnipsel für >>>> die Kleine Theorie des Literarischen Bloggens ein; ich hoffe, im Zug die Zeit zu finden, ihn auch auszuführen.)

11.42 Uhr:
[ICE Berlin-Mannheim (Heidelberg).]Alles gut erreicht, sogar am Cello gewesen, noch kurz mit Barbara Stang telefoniert, einige der Meinecke-Neumeister-Albrecht-Bücher eingepakt, am Gesundbrunnen für morgen abend sehr schöne Kastanien (Maroni) und die Früchte gekauft, die ich nun als Frühstück verzehren werde. Ich hab von gestern abend auch noch Sushi übrig und mitgenommen, wollte die erst essen, aber dann sah ich all diese Früchte…

7 thoughts on “Arbeitsjournal. Mitwoch, der 12. November 2008. Berlin. Heidelberg.

  1. einen seltsamen neoliberalistisch inspirierten voyeurismus les ich aus diesem weblog heraus, der sich ständig mit aufgeblähtem klassizismus tarnt

    1. wenn sie sich selbst die … … antwort geben: das ist kybernetischer realismus. wobei sie sich gar nicht sicher sein können, ob sie sich selbst antworten. ebenso gut, könnte ich es sein. oder er sogar, er, der selbstbewußt zur selbststeuerung greift, um das gemurmel aufrechtzuerhalten. und wenn keiner aus der gemeinde antwortet, antwortet er selbst. oder sind sie es? oder bin ich es? oder sind es gleichsam wir? wir fiktionäre? bleiben wir so im gespräch? oder ist es allein er, der im gespräch bleibt, der den sitezähler füttert, der sich ununterbrochen mit sich selbst unterhält, um zum chartführer aufzusteigen. und uns dann vom bloggipfel mit theoriekonfetti bewirft. ich puste mir die schnipsel von der nase und zeige ihnen ihre, gleichsam seine.

    2. @sss (anonym). Da ich mir, Ihnen zufolge in Ihnen, also eine Antwort selbst zu geben dabeibin, eventuell, doch eventuell wiederum nicht, sofern ich sie denn, was ich aber jetzt tue, tippe, muß ich nicht Veranlassung sehen, mit dem diskret umzugehen, was ich auch sonst oft sage: es besteht gar kein Anlaß, es mit was auch immer zu tarnen: daß ich selbst gar keinen Zweifel daran habe, in vielerlei Hinsicht liberal gesonnen zu sein; “liberalistisch” hingegen bedürfte vor einer Antwort erst einmal der Definition, ebenso wie “seltsam” einer Beschreibung bedarf, bevor man den Ausdruck als weiterführend akzeptieren kann; zumal er, ebenfalls Ihnen (also mir) zufolge, eventuell kein eigener Eindruck ist, eventuell aber auch doch – und, sagen wir: “seltsam eigentlich” ein Gefühl, das sich in Ihnen einstellt, der Sie vermuten, auch ich zu sein. Daß Sie nun aber aus sich, also eventuell mir (eventuell aber auch nicht), einen Voyeurismus herauslesen, macht Sie stutzig. Denn Sie fragen sich ganz zu Recht, was denn auf diesen Sites voyeuristisch betrachtet werde. Sie hätten hingegen, was gemeint ist, sofort verstanden, hätte sich mir der Eindruck eines Exhibitionismus’ ergeben, gar keine Frage, einen solchen Endruck könnte ich haben, sofern ich denn Sie bin, aber auch sonst, wär ich es nicht. Schließlich der Klassizismus. Auch darüber haben Sie uns längst erzählt, von ihm infiziert worden zu sein, ja ihn zu lieben – wozu ich Sie an einige Ihrer Musikvorlieben erinnern darf: Britten, Schreker, Schoeck, Hindemith und sogar Schnittke; selbst Dallapicolla gehört in gewissem Sinn dazu (er klingt so schön!)… unter dem Strich also kommt dabei heraus, daß Sie ein Konservativer sind. Ich möchte Ihnen, das ist der Sinn dieser Zeilen, versichern, daß Sie sich dessen nicht zu schämen brauchen; es ist eine nicht nur legitime, sondern auch höchst fruchtbare, darüber hinaus oft gütige Position. Und auch daran, daß Sie sich an der Verbreitung Der Dschungel mitbeteiligen möchten, finde ich nichts auszusetzen, weshalb ich Sie in die Höhe der Charts, wo Sie bisweilen Gipfelsichten genießen, von unten hinaufwinkend grüßen kann.

      Ihr

      Sie.

  2. sushi und früchte. genau!! wussten sie, dass sao paulo die größte japanische enklave ausserhalb japans bevölkert? es heisst, die sushis seien besser als in japan selbst, und das sagen ihnen brasilianisierte japaner, die es vorziehen in sao paulo zu bleiben, weil das leben dort mais leve, viel entspannter, sei. die sushis sind hervorragend, besonders dort http://www.koi.com.br/ und in der temakeria itaim. und den morgen mit einer maracuja http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Bild:Peru_Maracuya2.jpg&filetimestamp=20050202222308 beginnen.
    auch so kann der keks krümeln.

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