Libido spectandi. 16.12.2008. Paul Reichenbach weist Diana Verantwortung zu.

Nunc tibi me posito visam velamine narres
Si poteris narrare, licet. (Ovid)

Unerbittlich ist die Rache der Göttin, einer Frau, die sich männlicher Zudringlichkeit erwehrt, in dem sie die Rolle einer Gejagten umkehrt. Nicht sie ist es, die flüchtet und sich verwandelt. Sondern der Jäger, ein Nimrod und Esau, der zum gejagten Wild wird. Dianas Erröten als ein Zeichen von Scham markiert das, wovor sie sich zu schützen, zu verbergen sucht. Nicht ihr jungfräulicher Zustand lässt sie Scham angesichts des erregten Acteon empfinden, sondern ihre eigene erotische Phantasie macht sie erröten. Acteons Schaulust weckt auch Begierden in ihr. Mit Wasserspritzen und gesenktem Blick wehrt sie sich zweifach. Einmal gegen den Frevler und zum Zweiten gegen sich selbst. Die Potenzanmaßung, die sie sich im Akt des Spritzens zeigt, bleibt von Ovid nicht unkommentiert, der die Form der Bestrafung des Acteon für völlig unangemessen hält. Acteons Blick, ob unvermutet oder von sexueller Gier getrieben, bringt ihn um seinen Verstand, macht ihn zum Tier. Bei Ovid wachsen dem Jäger zuerst Hörner, phallische Symbole, die seine Erregung charakterisieren. Der Hals wird länger, alle seine Sinne werden wacher , schärfen sich, die Arme werden Hirschläufe, die eine Stellung, eine Bereitschaft zum Liebesakt melden, in der sich das geschlechtliche Tiergesicht des Menschen offenbart, was unbedingt sterben muss, ja sterben will. Lieben, vögeln heißt Sterben. Ob für lange oder kurze Zeit, ist unerheblich. Es ist der geheime Kitzel des Gesehen-Werdens, der in Artemis Lust erwachen lässt, meinte einst Giordano Bruno. Denn von nun an kann die Göttin ihre lockende Nacktheit nicht mehr leugnen. Die Abwehr der Befleckung ist für sie dann nur noch ein Akt, den sie mit Befleckung (Wasserspritzen) begegnet. Erregung, jedenfalls nehme ich das für diese Sage an, ist offenbar ansteckend. Die Sprachlosigkeit Acteons, der nur noch röhrender brünftiger Hirsch sein kann, ist nicht nur aktiver Magie Dianas geschuldet, sondern enthält auch einen Schreckensmoment, eine Verwunderung, Verwundung, die uns den Mann Acteon wehrlos und schwach zeigt.Denn war es nicht sie , war es nicht Artemis selbst, die lockte? Ist es nicht so, dass die verzweifelte Lust an der Tötung eines möglichen Liebesobjektes der Vernichtung des eigenen Begehrens dient. Diana, scheint mir, unterdrückt ihr Begehren und pervertiert es durch ihr gnadenloses Verhalten gegenüber sich selbst und dem “Schau-Lustigen”, dessen Ende ja bekannt ist.

Wird fortgesetzt….


Bildquelle
>>>>H I E R

14 thoughts on “Libido spectandi. 16.12.2008. Paul Reichenbach weist Diana Verantwortung zu.

  1. Raumköder Ich denke mir immer, eigentlich weiß Akteon doch um die Hörner, die sie ihm aufsetzt, er schaut ganz einfach, hätte er es nicht getan, sie wäre wohl mehr als beleidigt gewesen, denn letztlich stößt sie sich daran und das weiß sie auch! “Die Hörner abstoßen”, woher kommt´s? Vielleicht aus der zweiten Vision Daniels, als der Ziegenbock dem Widder die Hörner zerbrach. Sie ist ein Buch mit sieben Siegeln, aber nicht ganz, denn was dieser Mythos beschreibt ist imgrunde auch ein Schema F, es folgt mehr oder weniger einem Script, bewußt im Sinne des Herausforderns, unbewußt weil von vornherein vorgelagert, ein “fremder Wille”, wie in der “Antilope dorcas”, die das “Haupt ins Horchen hält”. Auf ganz einfache Weise beschrieben, es gibt Handlungen bei denen man sich irgendwie verboten vorkommt, genauer gesagt wenn ich diesem Script dann auch noch bewußt folge dann verschiebt sich das auf eine beobachtende Ebene, die zur auditiven hinzutritt, über die etwas eingefangen wird und ich meine nicht das, was man alltäglich als den sog. schnöden Blickfänger beschreibt, sondern das Einfangen dessen, was ansonsten verborgen bleibt, mit allem was dem anhaftet, egal aus welcher Blickrichtung denn interessanter als das “kurz mal nen Blick riskiert” ist die herausgeworfene Projektion der inneren Bilder, das stellt den Raum in dem wir den anderen wahrnehmen. Und sicher man kennt seinen eigenen aber im Blick eines anderen sitzt man in einem Raum, den man selbst nicht sehen kann, Suche nach Resonanz die der Raum wiedergibt, um sich überhaupt eine Vorstellung machen zu können. Das leitet hinüber zu der engstirnigen Variante: “So wie du in den Wald rufst, so schallt es heraus. Überflüssig zu sagen, darum geht es in dem Mythos in erster Linie nicht, auch wenn sich hieraus Schleifen und Spiralen ziehen lassen, immer das selbe Spiel, im jeweiligen Kontext seiner Zeit. Was ich aber mit “Raumköder” sagen will ist das was sie eigentlich einzufangen versucht, das lässt sich gut an Hitchcocks Psycho beschreiben: Norman sticht zu. Marions Füße in der Wanne. Die Kamera folgt dem Blutstrom. Bei 01:42 kommt der Abfluss ins Bild. Großaufnahme von Marions Gesicht. Überblendung auf Marions Auge. Die Kamera zoomt aus. Das Blut fließt in einer Spiralbewegung ab, der Abfluss als Auge usw. Welt, die wir nicht sehen, Marions eben.

    Ich grüße Sie

    1. @diadorim. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Video nicht als desaströs p r ü d e empfinden muß, um von der unnötig symbolischen Verdopplung durch den zwiefach einfügten Totenkopf mal zu schweigen.

      Aber der Mann in Socken macht g a n z kaputt. Find ich.

    2. das video IST desaströs prüde.
      der mann in socken hat mal gesagt, er hasse es, nicht unerkannt in einen pub gehen zu können und sich vollaufen zu lassen, das wäre mal einen song wert gewesen, ein wenig selbstmitleid, ein low level blow up, dass alle welt denkt, kind, du hast sorgen. oder ein song über die eigene steuerhinterziehung.
      na ja, come undone war so ein versuch, aber da ist eben noch einer nicht beyond all conventions. da muss schon noch tief in die blödipe-kiste gegriffen werden und richtig gelitten. depression deluxe, um mal zu sagen, scheissgeschäft, ich will endlich mal wieder alleine und unerkannt trinken und vögeln und in den pool müllen. aber subtilität ist ja auch keine sache des popmusikgeschäfts. es ist eine hymne, sie hat mich an einen buchtitel erinnert. manchmal bleiben zeilen hängen, man weiß nicht wieso: they re selling razor blades and mirrors in the street.

      auf jeden fall gibt es einen trieb, triebe aufzuwerten. irgendwer sagte mir mal, es ist nur sex. und ich dachte, ja, aber, wenn es nur sex ist, ist es eben auch wie nur mal eben dies und nur mal eben das, wie schrecklich wäre das denn, aber er hat wohlmöglich gar nicht unrecht. und es gibt einen verzweifelten kompensationstrieb, der alle kanäle mit dem immer gleichen vollmüllt, nur um das ‘nur’ los zu werden.

  2. @ Paul Reichenbach, readAn, diadorim, nett, sehr nett, was Sie hier anbieten. aber, herr reichenbach, Sie haben das entscheidende zitat gebracht: der sarkasmus der göttin (“mach doch, wenn du kannst”) richtet sich nicht auf aktaeons sicht, sondern auf seine zunge. nicht libido spectandi, sondern cupido narrandi!!
    was folgt auf geweih und gebogenen hals? — summasque cacuminat aures: sie spitzt ihm die ohren! auf dass er besser höre. den sehsinn nimmt sie ihm nicht (blind und stumm wäre nach der lex talionis ja auch eine strafe gewesen), denn sehen und hören soll er sich selbst und die hundemeute, die ihn zerreißt.
    nur: … nicht davon erzählen können. und schärfer noch als die sarkastische göttin, der bittere ovid: zählt er doch in einem schön geordneten katalog all die hunde, lieblinge aktaions, mit ziselierten epitheta auf. warum? weil er, aktaion, nicht mehr sprechen, nicht mehr erzählen, nicht mehr dichten darf, obgleich seine sinne doch all das aufnehmen. da, möchte ich sagen, stirbt er doch lieber, als ohne sprache weiterzuleben.

    die nackte diana, die entschleierte isis — alles geschenkt, samt dem verbotenen blick (der gleichwohl in jener ausstellung schön durch die kulturgeschichte schweifen mag). aber diana als feindin der erzähler und dichter — das wäre einmal zu bedenken! … ist sie doch schwester apolls, des musischen chorleiters, insgeheim eifersüchtig wahrscheinlich aud ein renommée, das junfräuligkeit nunmahl nicht bringt (s.o.).

    warum sonst kehrte sie seine lyra um und machte sie zum todbringenden bogen?

    oder, diadorim: nicht wer vögelt, ist schon tot, aber: wer davon (oder darauf hin) erzählen will, muß das zerrißen:werden einkalkulieren.
    nebenbei: jenes video des hern williams ist nun wirklich eine hochglanz-reprise der alten wurmzerfressenen vanitas. nein danke!

    1. alternative ist die pose eines persönlichen bannens – über eitelkeit / narzissmus.
      das “starke” – das die frau ( der partner ) und/oder den job und/oder das einkommen ( geld )
      garantieren.
      organisiert in einen zusammenhalt, dessen struktur keiner kennt.
      auf bannende gefühle zurückgeworfen, das unterworfene ( dieses subjekt )

    2. weitertrag man muss nicht nur reden, man muss sich verstehen wollen – und das bedeutet konsentieren.
      bleibt es beim konsentieren über ein dissentieren, so wird das fad und muss zwangsläufig in der pose
      erstarren.

    3. ich hab mich gerade konsentiert. stolterfoht, den ich immer mit th schreiben will, die dehnung kommt einfach zu früh, schreibt: poetry is hell. und die lichtlaufzeiten kosten. duschterwalde in den fahnen. frdmnaelen und nnutergiiltiges (frömmeln und mustergültiges) oder doch vielleicht fruit mailen und nuttenschuldiges?
      ‘holzrauch über hesslach’ weht herüber und die rattentilgung aus dem uhutrust.
      und ich denke an australien. schlimme schnorrerzeit. schsch. verscheuchungsritual. und mir will nicht einfallen, ulf, liest du mit, wie aber heißt es denn, hieß es tatsächlich kuhfänger oder doch oktaeber? und ich denke, man hat für all das keine worte, wir müssen dringend aufstocken, stündlich wird mir klarer, ich entließ das deiktische zu früh, so lang der wortzeugkasten einfach nicht gut gefüllt ist.
      es wird nichts so heiß besessen, wie es gemocht wird. und die schmauchspuranalyse wurde eingestellt.

    4. londs zu früh und arg ists des idioten lust.
      wo der idiot weiss :
      hier wird frühe gemacht, da schwillt bälde.
      bald womöglich – tanzt in den schubern, den kassibern, den bänden der lust

    5. der Blödigkeit ein Plädoyer / Notiz an das Literaturarchiv Marbach Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, nicht nennenswert, unter´m Strich: Dummheit in aller Heiterkeit, Hahnenkampfarena mit Schaubühne für´s Frauenschlammcatchen, bald eingeführt als olympische Disziplin. Nicht meins, nur deins. I try to make everyone´s day a little more surreal.

  3. raumköter “denn interessanter als das “kurz mal nen Blick riskiert” ist die herausgeworfene Projektion der inneren Bilder, das stellt den Raum in dem wir den anderen wahrnehmen. Und sicher man kennt seinen eigenen aber im Blick eines anderen sitzt man in einem Raum, den man selbst nicht sehen kann, Suche nach Resonanz die der Raum wiedergibt, um sich überhaupt eine Vorstellung machen zu können.”

    sind die projektionen schon der ganze raum? sind sie nicht viel mehr ebenso eines raumes, oder doch zumindest einer wand, bedürftig, die nicht der projektator stellt? ist nicht vielleicht die ganze kulisse doch etwas größer als das eigene kopfkino? und ist nicht der andere eine projektion falscher distanz in einem phantasma von selbstsein in schleichenden schnittmengenmomenten? schsch…

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .