Die Suspendierung der Realität. 02.01.2009. Paul Reichenbach nachdenklich.

Allen ein glückliches Neues Jahr !

„Die Erschaffung der Welt hat
nicht am Anfang stattgefunden,
sie findet alle Tage statt.“ (Marcel Proust)

Was unbedingt ist, muss unausweichlich mit dem Anspruch sozialer Verträglichkeit kollidieren, schrieb einmal sinngemäß Susan Sontag über die pornographische Phantasie. Und was für die Pornographie gilt, kann allemal Geltung für Formen politisch-sozialer oder religiöser Utopien beanspruchen, die mit allen Mitteln versuchen die Kluft zwischen Realität und Illusion zu überbrücken. Der theologische Radikalismus großer Teile des Islams, Evangelikaler oder fundamentalistischer Katholiken, – Byzanz lass ich mal außen vor, Orthodoxe jeder Spielart und Kopten bedürfen gesonderter Betrachtung, – allesamt entschlossen-calvinistische Pornographiefeinde, haben in ihren extremen Auswüchsen mehr mit Pornographie gemein, als ihre Schulweisheit sich träumen lässt. Die in westlichen Kulturkreisen angesiedelte moralische Indifferenz, die, jenseits der Welt der Schlager und des Kitsches, jeden Absolutheitsanspruch in Frage stellt, nicht ganz zu Unrecht meine ich, fördert unwissentlich (durch ihre Unbestimmtheit, ihr laissez faire) alle jene Kräfte, die radikale Vernichtung als conditio sine qua non für jede Form von Neubeginn erachten. Ein Teufelskreis über den ich im Neuen Jahr unbedingt einmal nachdenken werde. Die Suspendierung der Realität und ihre Ersetzung durch Illusionen, ein Grundprinzip pornographischer und phantastischer Literatur scheint zur Methode allgemeiner Politik geworden. Der wesentliche Unterschied, glaube ich, zwischen Konsumenten von Pornographie, Horror und Phantastik und allgemeinen Nutznießern oder Leidenden von und an Politik ist, dass Leserinnen und Lesern der „Mutzenbacher“ oder de Sade’s die freiwillige Aufgabe ihres Realitätssinns bewusst bleibt….

Bildquelle :>>>>Paolo Consorti | Between Hell and Heaven (Fotomalerei, Video )

.

4 thoughts on “Die Suspendierung der Realität. 02.01.2009. Paul Reichenbach nachdenklich.

  1. Was Gescheites kann ich Ihnen hierzu nicht kommentieren. Die Gedanken finde ich “zu absolut” nachvollziehbar.

    Einen guten Rutsch und gesunde Kreativität wünsche ich Ihnen auch in diesem Jahr.

    1. Danke. Was brauchst Du? Gute Wünsche kann ich brauchen. Ihnen alles erdenklich Gute für 2009.

      was brauchst du

      was brauchst du? einen Baum ein Haus zu
      ermessen wie groß wie klein das Leben als Mensch
      wie groß wie klein wenn du aufblickst zur Krone
      dich verlierst in grüner üppiger Schönheit
      wie groß wie klein bedenkst du wie kurz
      dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume
      du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus
      keines für dich allein nur einen Winkel ein Dach
      zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
      zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund
      die Gestirne das Gras die Blume den Himmel

      (Friederike Mayröcker )

    2. Das mit dem Baum kann ich gut nachempfinden. Unser 1992-Christbaum, ganz klein, wurde 1995 endgültig eingesetzt und ist heute größer als das Haus. Jedesmal, wenn ich ihn ansehe, freue ich mich. er erzeugt ein unermeßlich gutes Gefühl.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .