Arbeitsjournal. Montag, der 12. Januar 2009.

9.39 Uhr:
[Arbeitswohnung. Mozart, Così fan tutte (Levine 1988 mit Hampson).]
Blauschmerzende Fingerspitzen, vor allem an der linken Hand; dennoch macht, bei tiefem Frost und über Eis Rad zu fahren, glücklich. Cigarillo. Ich will die Kritik >>>> zur gestrigen Aufführung schreiben, muß mich überdies um das Rad meines Jungen kümmern, der vorgestern hier mit gleich z w e i platten Reifen ankam; aus einem sind die Ventile herausgeschraubt worden: Jungenstreich, denk ich mal. Aber nachmittags braucht er sein Rad, um zum Judotraining zu kommen.
Während der Radfahrt über die BAMBERGER ELEGIEN nachgedacht, in die ich gestern morgen wieder hineinlas; an sich läuft das, was jetzt „steht“, recht gut. Dennoch bringt mir die neue Situation ein literarisches Problem, weil das, was bislang die eine basale Projektionsfläche der Elegien war, es nicht mehr sein kann und vor allem nicht mehr sein d a r f: d i e Frau, d i e Geliebte. Die zweite Fläche hingegen, das Vater-Sohn-Gespräch, ist n i c h t berührt. Das in Balance zu bringen, bedarf nun besonderen Fingerspitzengefühls; es ist außerdem ein f o r m a l e s Problem. Ohne „die“ Frau geht es nämlich nicht, nur werde ich sie jetzt gleichsam abstrakt fassen müssen, wie eine Anima-„wirklich“. Da ich stets konkret bin, was Sinnlichkeiten anbelangt, kostet das wahrscheinlich riesige Kraft. Verschlimmernd kommt hinzu, daß ich mal wieder das Gefühl habe, ins Leere zu schreiben, weil >>>> dielmann nicht und nicht erreichbar bleibt und ich selbst ungewiß bin, ob es das letzte Buch, DER ENGEL ORDNUNGEN, eigentlich gibt, ob die vier Exemplare die mir zugeschickt wurden, nicht eigentlich eine Art Fake sind. Zumal immer noch der Umschlag fehlt. Das ist eine verzwickte Arbeitssituation für jemanden, der seine Profession eben a l s Profession begreift.

Nach der Oper saßen Αναδυομένη und ich noch einige Zeit mit dem Profi >>>> in der Bar und tranken plaudernd an meinen Naturalhonoraren herum; Αναδυομένη hatte das Taxi ab der Komischen Oper bezahlt, weil die Anfahrt mit den Öffentlichen etwas kompliziert gewesen wäre und vor allem, es war bereits halb elf, sehr viel Zeit gekostet hätte. Im Wagen sitzend, konnte ich mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß das eines der wenigen Umstände sei, die ich seit meiner Börsenzeit vermißte: diese Freiheit nicht mehr zu haben, so etwas einfach von mir aus, und ohne großes inneres Rechnen, zu tun. Normalerweise merke ich meine ökonomische Enge nur dann, wenn mich Gerichtsvollzieher besuchen, und das sehe ich ja eher als Sport an. So aber, eine Frau zur Seite, hat es etwas Demütigendes, das irgendwie nicht zu mir paßt. Alleine wiederum ist es wurscht, weil ich eh mit dem Rad überall schneller bin, als wenn ich die Öffentlichen oder gar ein eigenes Auto benutze.

(Jetzt ist dieser Laptop kaum mehr als ein Jahr alt, na gut, anderthalb, aber das “u” hakt bereits.)

19.17 Uhr:
Erst ein Anruf der Cellolehrerin m halb drei: mein Junge sei immer noch nicht in der Musikschule angerufen; also Anrufe bei a) der Schule und dem Hort, wo keiner abnahm, dann b) bei seiner Mama über Festnetz und mobil; auch da nahm niemand ab; los zur Musikschule, um das Cello zu holen und dann meinen Jungen suchen zu fahren; das saß er aber dann da, mit schmerzendem rechten Fuß, er habe kaum gehen können, habe über eine Stunde zu Fuß von der Schule nach hier gebraucht; gestern abend sei er gestürzt und habe sich den Fuß umgeknickt, seit heute morgen tue es so irrsinnig weh. So bin ich dann gleich mit ihm zm Orthopäden, wo wir den ganzen Nachmittag verbrachten: Untersuchung, Röntgen, Ultraschall, weitere Untersuchung. Göttinseidank alles ohne Befund; die Schmerzen kämen vom Umknicken, die Achillessehne sei gereizt; ansonsten gibt es noch an der Ferse eine Wachstumsfuge, die bei Kindern sehr oft zu Schmerzen führe; das sei aber völlig normal und werde sich geben. Einlagen? Nee, sicher nicht, und ganz sicher sowieso nicht schon jetzt, „vielleicht in vierzig Jahren“. Aber zu seinem Stolz bekam er einen Stützverband und eine einwöchige Krankschreibng für Sport. Als wir runterkamen, war sein Hinterreifen, den ich mittags hatte erneuern lassen, schon wieder platt. Es ist zum Haarraufen, wenn man denn welches hat.
So kam ich dann wenigstens noch für eine Stunde ans Cello und muß gleich Ans Terrarium hinüber, um dem Jungen vorzulesen. Tapfer ist er gewesen.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Montag, der 12. Januar 2009.

  1. Taxifahrt… Lieber ANH,

    nimm es als ein Geschenk!
    Zugegebener Maßen ist es nicht ganz das gleiche wie ein Schlangenledergürtel, aber in diesem Moment, wie der in dem in die Hose rutscht, ein durchaus nützliches und nicht anders war es gedacht!

    Oder wollen wir daran eine Gender-corectness-Debatte entfachen?

    A.

    1. Lacht gen Anadyomene. Bloß keine gender-correctness-Debatte!

      (Es geht um etwas Prinzipielles, das folgende Geschichte sehr schön illustriert: Vor ein paar Jahren ging ein bekannter Schriftsteller mit Michael Naumann, der damals noch Rowohlt-Chef war, und ein paar andren Leuten essen. Er war eingeladen, das ist üblich. Dennoch wurde er zunehmend mißgestimmt und bekam schließlich einen Wutanfall: weil nämlich bei diesem einen Essen ungefähr so viel Geld draufging, wie er selbst insgesamt an einem Roman verdient hatte, an dem er mindestens zwei Jahre geschrieben hatte. Es ist diese Unverhältnismäßigkeit, über die man sich zwar amüsieren kann, solange man nicht existentiell bedroht ist; ist man’s aber, dann kostet solches Amusement zumindest einen großen Galgenhumor. >>>> Gerd-Peter Eigner sagte mal: “Wer außer uns kriegt diesen Spagat denn hin, am Dienstag morgen den Gerichtsvollzieher zu empfangen und am Mittwoch abend beim Brundespräsidenten eingeladen zu sein?”)

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