Wiederaufnahme. Mozarts Così fan tutte an der Komischen Oper Berlin.

„Waaas? Das waren schon anderthalb Stunden?“ rief meine Begleiterin aus, als das Licht zur Pause anging. „Mir kam das wie keine dreiviertel Stunde vor!“ Damit ist viel über Peter Konwitschnys Inszenierung gesagt, die jetzt, mehr als drei Jahre nach >>>> ihrer Premiere, wiederaufgenommen worden ist – mit gänzlich neuer Besetzung freilich, die vor allem bei Don Alfonso dem Stück eine durchaus andere Aura gibt: damals bei Dietrich Henschel witterte ja etwas Dämonisches mit; Christian Tschelebiew nun gibt dem Spötter ein rundweg männlich-menschliches Antlitz, ja er wirkt sogar mal ein bißchen hilflos, wenn sich die Dinge eine ziemliche Zeit lang nicht so zu entwickeln scheinen, wie er sich das vorgestellt hat. Dafür rückt Gertrud Ottenthals Despina so lebenspraktisch wie dominant ins Zentrum. Singen tun sie a l l e schön, auch wenn eine mögliche Männlichkeit Ferrandos und Guglielmos im Knabenhaften steckenbleibt, was besonders bei dem wunderschönen, fast exemplarischen Bariton Günter Papendells ein bißchen stört; die langen Unterhosen, in die Michaela Mayer-Michnay die beiden zuweilen steckt, tun da ein besonderes Übriges hinzu und lassen sie erst recht in den Schatten Alfonos sich verpubertieren. Man kann sich inszenierungshalber durchaus darüber streiten, ob nicht eine sagen wir: „testosteronalere“ Sicht auf die Jungmänner den Vulkanen angemessener wäre, die Konwitschny, symbolisch völlig zu recht, über die Bühne hininszeniert hat. S o sind, obwohl als gleichermaßen backfischige wie verwöhnte Höhere Töchter vorgeführt, die Frauen den Männlein letztlich immer überlegen: s i e auch singen von den Trieben, die da in ihnen hochsteigen, während die Männlein ungereift noch Schillers Hausfrau idealisieren, die hinterm Herde waltet. Auch, die beiden Bräutigame neben den absurden Turbanen in der Verkleidung-zu-Fremden mit den albernsten Schnurrbärten auszustatten, die sich denken lassen – insgesamt sind es jammernde Witzfiguren aus dem Orient -, erigiert sie weißGöttin nicht, so daß man sich über ihre letztlich siegreiche Verführungskraft dann doch etwas wundert. Doch geht das hin, weil Konwitschny recht hat, wenn er von Theaterverabredungen spricht. Im übrigen gibt es viele Szenen, in denen man das alles einfach vergißt, weil die Einfälle einander jagen und wirklich nie „daneben“ sind – bis hin zu den Würstchen beim Hochzeitsmahl; es hat etwas grandios Komisches, wenn ausgerechnet Alfonso sie gedankenverloren einmal für Pistolen nimmt, und selbst die angedeuteten Fellationes mit den Würstchen sind ohne jede Zote: lockres, erotisch verspieltes Rokoko, dem die klebrige Moral der nicht mehr fernen Romantik gänzlich fehlt. Wenn es hier um Moral geht, dann letztlich um die uneigentliche der gesellschaftlichen Repräsentation – was die bürgerlichen Kritiker, von wagnerschen Elisabeths völlig verdorben, dann auch entsprechend aufgebracht hat.
Großartig das in den Pflanzenfigurationen deutlich von >>>> Henri Rousseau beeinflußte Bühnenbild des Gartens, in dem die „gute Natur“ ihre moralfreien Triebhörner spätestens dann zeigt, wenn das Gewitter losbricht, das auch in den Saal übergreift, in dem die Lichter zu flackern beginnen, und richtige Blitze schießen über den Himmel. Grandios, auch nach mehrmaligem Besuch, die Unterbrechung der Oper kurz vorm Ende, wenn Don Alfonso an den Orchestergraben rast und hinunterbrüllt: „Hal! Halt! Wer heiratet hier eigentlich wen?“, woraus sich eine Diskussion mit dem gesamten Chor entwickelt, bei der eine (wirklich) schwangere Frau nicht die nachgeordnetste Rolle spielt. Die pirandelleske Volte hat mich jedenfalls schon >>>> seinerzeit begeistert und wird auch Ihnen, ich bin mir völlig sicher, höchstes Vergnügen bereiten. Wie überhaupt zu sagen ist, daß eine derartige Interpretationsfreiheit, die doch zugleich Werktreue wahrt, unmittelbar klarmacht, was die „Kunstform der Zukunft“ nach wie vor vermag, und davon einmal abgesehen: wie zeitlos auch dieser Mozartstoff geblieben ist. Man kann nur staunen.
Leider staunten nicht viele. Es ist völlig unbegreiflich, weshalb das Haus dreiviertelleer war. Mensch Leute, habt ihr noch immer nicht gelernt, daß die Komische Oper Berlin jenseits von bürgerlicher Repräsentation, „Kunst“bedeutungshochgemetze und als Selbstbespiegelungsfetischs roten Teppichen für Stars die intensivsten Inszenierungen auf die Beine stellt, die diese Stadt zu bieten hat? Reingehen. Punkt.

[Nächste Vorstellungen:
17. und 29. Januar 2009.
1., 7. und 19. Februar 2009.
>>>> Karten.]

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