Literaturhaus Frankfurt. Christa Wolf. 03.04. 2009. montgelas zwischen den Stühlen

Gestern Abend, Literaturhaus Frankfurt. Eine Gespräch über Bücher. Der Saal war gut gefüllt als Maria Gazetti die Gesprächsteilnehmer vorstellte. Hubert Spiegel, Ina Hartwig , Martin Mosebach und Alf Menzer vom HR, der auch das Gespräch moderierte. Ich will jetzt gar nicht, aus Zeitgründen, sehen Sie es mir nach, auf die einzelnen Werke eingehen, die vor den Äußerungen Mosebachs, das Publikum seufzte geschlossen auf, lagen, die er am Ende der Veranstaltung zu Christa Wolfs Roman „ Der geteilte Himmel“ gemacht hatte. Die Diskutanten gingen der Frage nach, ob dieses Werk heute noch Bestand hat. Fast einhellig, wenn auch differierend in den Argumenten, wurde dies verneint. Es war Mosebach, der dem Buch konservatorische Qualität bescheinigte, weil es Auskunft über eine „Denke“ in der DDR gäbe, die für eine historische Soziologie einmal eminent wichtig werden kann. Dann holte er aus: Das Buch würde das Denken der „anständigen Nazis“ abbilden, es sei vergleichbar den Blut und Boden Romanen und den Werken einer >>>>Agnes Miegel. Ina Hartwig fand das Urteil zu hart und auch Hubert Spiegel irritierte Mosebachs Aussage leicht. Für mich war es interessant, zeigte mir doch die Diskussion, dass ein zugegeben schwaches Werk von Christa Wolf, Pauls Frau hat es immer als Machwerk empfunden, von relativ jungen westl. Kritikern, in seiner Wirkung auf die damalige DDR der sechziger Jahre, nicht erfasst werden kann. Was ihnen allesamt nicht übel zu nehmen ist. Denn wer weiß eigentlich noch, dass der Konflikt zwischen Christa Wolf und der damaligen DDR-Führung, respektive ihrer abhängigen „Literaturwissenschaft“, sich an der Frage entzündet hatte, ob man das Problem „Republikflucht“ überhaupt thematisieren darf. DDR-Literatur wird man erst dann wirklich gerecht, wenn man ihre Veröffentlichungs – und Rezeptionsgeschichte in der DDR, mitdenkt. So bot zum Beispiel mir als 16 Jährigen die Figur des Manfred, desjenigen also, der vor Dogmatismus und Kargheit des soz. Systems nach Westberlin floh, Identifikation an. Seine Argumente die DDR zu verlassen, wurden die meinen. Die ästh. Bewältigung des Themas, die die Diskutanten mit Recht als hölzern kritisierten, interessierte einen DDR- Bürger damals eigentlich nicht. Literatur konsumierten wir damals vor allem unter dem Aspekt, was steht kritisches, oder offiziell noch nie gesagtes in einem Buch. Dass die Wolf im „Geteilten Himmel“ letztlich über ihre Figur Rita, einen „sparsamen“ Sozialismus, dessen protestantisches Versprechen auf eine wohlige ferne Zukunft, das Wort redet, ignorierten wir. Mosebachs Äußerung über die „anständigen Nazis“ greift zu kurz. Denn blickt man tiefer in den Ost-West- Himmel, wird man feststellen, dass das Buch einen calvinistischen Geist tradiert, der lange vor dem 3. Reich, persönlichen Verzicht zugunsten gemeindlicher Aufgaben predigte. Die Volksgemeinschaft oder das Kollektiv sind alles, der Einzelne gilt nichts. In ihren Romanen “Nachdenken über Christa T.” und „Kindheitsmuster“ beleuchtet Christa Wolf diese Feststellung kritisch, was ebenso mutig gewesen ist, wie die Beschreibung des „Tabu“ Republikflucht. Die „Crux“ ist, dass heutige Zeitgenossen diesen Mut nicht mehr nachempfinden können. Zeit und Raum verschwinden mit den Dingen, sagt Einstein. Mit dem Verschwinden der DDR verschwanden auch ihre spezifischen Konflikte. Willibald Alexis oder Max Kretzer, mittlere Autoren des 19. Jahrhunderts also, bieten heute mehr Projektionsfläche, denkt man zum Beispiel an die Immobilienblase, als die Literatur des „soz. Realismus“. Dieser ist meiner Meinung nach nur noch historisch-kritisch, unter hermeneutischen Gesichtspunkten, zu fassen.

5 thoughts on “Literaturhaus Frankfurt. Christa Wolf. 03.04. 2009. montgelas zwischen den Stühlen

  1. zustimmung Literatur konsumierten wir damals vor allem unter dem Aspekt, was steht kritisches, oder offiziell noch nie gesagtes in einem Buch.
    (…)
    Die Volksgemeinschaft oder das Kollektiv sind alles, der Einzelne gilt nichts.
    (…)
    Die „Crux“ ist, dass heutige Zeitgenossen diesen Mut nicht mehr nachempfinden können.
    (…)
    DDR-Literatur wird man erst dann wirklich gerecht, wenn man ihre Veröffentlichungs – und Rezeptionsgeschichte in der DDR, mitdenkt.

    das sehe ich genauso, wie Sie. letzteres kann ich für die kunst verallgemeinern. es gelingt überhaupt nicht, mit jungen menschen über kunst zu reden, wenn es an vergleichen, vorstellungsvermögen und hintergrundwissen mangelt- v.a. für geschichte. etwas, das lange zurückliegt und etwas, von dem man sich nur ein unzulängliches bild machen kann, da man es nicht selbst erlebt hat, kann nur mit sehr viel einfühlungsvermögen- vorstellungskraft sowie angeeignetem wissen rudimentär verstanden werden. allerdings entlarven sich auf dem prüfstand/ mit abstand der/zur geschichte auch die formmängel eines wekes.
    ich denke, damals betroffene könnten da wesentlich mehr dazu sagen. leider kenne ich die diskutanten und den hintergrund ihrer diskussion nicht. das wäre mal interessant: wieso fetzen sich diese leute gerade über dieses thema? getrennte welten bestehen zwischen den menschen seit anbeginn ihrer zeit und das wird sich nach meinen vorstellungen auch nicht ändern.
    es war sicher eher die frage, was gerade beide deutsche welten heute noch trennt oder? da erscheint mir dieses werk fast als billiger aufhänger, eine diskussion in diese richtung anzuzetteln.
    etwas anderes wäre es gewesen, man hätte verschiedene ddr- autoren gegenübergestellt und die frage nach der rezeption vergleichend geschlossen, um die feinen, alles entscheidenden, unterschiede herauszubekommen. ebenso werke, die unter anderen zensuren standen… wie funktionierte ddr- literatur, wie funktioniert literatur im widerstand usw.

    ich war nicht dabei- aber es erscheint mir ein merkwürdiges unterfangen gewesen zu sein.

    1. Das sehe ich ähnlich , wie Sie…

      Ja, nicht nur über die Literatur, sondern auch über die bildende Kunst in der DDR lässt sich einiges sagen. Ich war mal mit Paul Gerhard Altenbourg besuchen. Ende der 60ziger Jahre, da stand er total auf dem Index. Das ist noch zu erzählen. Auch zu berichten wäre über die VIII. Deutsche Kunstausstellung, wo selbst “systemtreue” Künstler, wie Willi Sitte, seitens der Partei angegriffen wurden. Subkutan natürlich. “Sitte müsste eigentlich Unsitte heißen” und dgl. mehr…
      Danke für Ihren Kommentar und ein schönes Wochenende.

    2. unsitte ein schöner ausdruck. 😉

      immerhin hat der herr es mit EINEM einzigen werk geschafft, in der landeskunstausstellung (Moritzburg in Halle) zu bleiben. er wird dafür in Merseburg ausgestellt…

      früher hat er das land mit seinen werken überschwemmt. heute ist er weit und breit verhasst, weil er auf sein altes ansehen bauen/pochen will. es ist zwiespältig mit ihm- ich halte ihn für einen künstler, ich würde ihm mehr raum einräumen (historisch gesehen war er eine schlüsselfigur für die ddr-kunst) aber er ist mir zuwider als altlast, der wie ein könig im verband der bildenden künstler regierte und privilegien ohne ende genoss.

      ddr-kunst wurde und wird merkwürdig rezipiert- wahrscheinlich ist der abstand dazu noch nicht groß genug, persönliche befindlichkeiten verhindern eine allumfassende betrachtung, die spielraum lässt.

  2. Es i s t ihnen übelzunehmen. Imgrunde betreiben einige junge westliche Kritiker angepaßtesten Machtmißbrauch. Ich bin selber nicht gerade ein Anhänger Christa Wolfs, aber vor solcherart Diskussionen hat man die kluge Frau in Schutz zu nehmen. Letztlich sind es Positionierungen von Kriegsgewinnlern, in diesem Fall – wie so häufig gegenüber der DDR – US-amerikanischer Vasallen, um nicht deutlicher zu werden und “Domestiken” zu sagen. Frau Hartwig etwa hat sich ein halbes Jahr nach 9/11 auf der Leipziger Literaturkonferenz mit Stars&Stripes am Kragenspiegel präsentiert; freilich, damals hatten “wir” ja noch Schröder. Und die Achse mit Putin war absehbar.

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