A.D. III Non. Mai. Anno 2762 a.u.c.

Dritter Tag vor den Nonen. Dies comitialis. Die Leier geht auf (Ovid). Der Zentaur bringt Regen (Columella).
Die Entfernung, einen solchen oben auf dem Gipfel des Soratte, wo sich’s auch Eremiten gefallen ließen, etwa der hl. Sylvester, erblicken zu können, ist doch zu groß. Wenn’s nicht gerade regnet wie vorhin. Die Weitsicht läßt nach. In Rom beneidete mich mal öffentlich ein Nebenstehender meine Fähigkeit, ihm die Nummer eines in weiter Ferne sich nahenden Busses sagen zu können, um den er mich gerade gefragt hatte: „Da hinten kommt er.“ Ginge heute nicht mehr mit bloßem Auge. Die kurzsichtige O. fast schon beleidigt, wenn ich anfing zu fragen: „Sieht du dort hinten…“ Eigentlich aber suche ich dort hinten ein Sofa. Der Zentaur ist mir dazwischen gekommen. Die Leier übergehe ich. Weil es doch immer wieder wie eine Leier anfängt. O., videsne? (für ein esklamatorisches „O!“ finde ich keine Belege). Das Sofa hat mit der Suppe zu tun, die ich zu Abend aß. Sie kam mir vor wie ein Sofa, auf das ich mich setze, wissend, es sei Abend geworden. Denn dann kehr’ ich ja doch wieder auf meinen Stuhl zurück. Von Ausnahmen einmal abgesehen. T. erwähnte einen ihr neuen Ausdruck neulich für eine bestimmte Stunde des Nachmittags, die sie aber nicht anzugeben wußte. Die „controra“, die Gegenstunde. Was ich dann auf die Zeit nach dem Essen bezog, wenn der Körper dem Geist ein Schnippchen schlägt. Dies für den Nachmittag. Dem Abend kann ich dies „Gegen“ allerdings nicht zugestehen. Eher das Gefühl eines Zurücklehnens. Gegen den Tag? Liegt hier immer noch, unterbrochen von mancherlei Zwischenlektüren. Heute wieder angefangen, drin zu lesen. „Warum lassen Sie sich das verdammte Ding nicht einfach chirurgisch ans Ohr nähen!“ (1066) Gemeint ist ein Telephon. Tatsächlich mit „ph“ trotz der durchgängigen neuen Orthographie in der Übersetzung. Über dieses heute böhmische Kontakte. Die Auftraggeberin der neulich übersetzten österreichischen Patente rief an. Quasselnde sympathische Neugier einer Tschechin. Sie erwähnte mal, sie übersetze auch Gedichte aus dem Tschechischen, die dann ihr italienischer Mann zurechtfeile. Ging ich also gern auf dieses Thema ein. Heute stellte sich noch heraus, daß sie meinen Zahnarzt kenne, der ihr sehr gefiele. Der nämlich ist mit einer Tschechin verheiratet. Auch das: wie sie manchmal gewisse mitteleuropäische Ausdrucksweisen verwende und dann nicht verstanden werde, gar ein Beleidigtsein beim andern hervorrufe. Kurz, das Denken bleibt manchmal in einem kulturellen Kreis, in dem man aufgewachsen ist, ohne daß dafür ein Ohr vorhanden wäre beim anderen, der in einem anderen kulturellen Kreis aufgewachsen ist. So fand ich heute in der Umgebung der zitierten Pynchon-Seite den Ausdruck „vecchia casa“ (auf italienisch und in Kursiv), ganz eindeutig in dem Sinne von „na, altes Haus!“ gemeint. Insofern schon höchst ironisch, wie mein gern zitiertes Beispiel vom „Mutterficker“ im ‚Schlachthof Nr. 5’. Es funktioniert nur, wenn man’s weiß. Aber nicht, wenn man’s tatsächlich benutzt. Wieviel Heckmeck, wenn ich mein „nicht schlecht!“ in ein „non male“ übersetzte. Den signor Picchio ersparte ich mir natürlich. Mindestens eine beleidigte Miene schaute mich an. – Komisch, ich habe das Wort „beleidigt“ heute recht oft. Sollte dies die unterschwellige Botschaft sein? Was aber sollte mich beleidigen? Vielleicht der Umstand, daß ich hier und nicht auf dem Sofa sitze? Warum suchte ich nach dem Sofa? Vielleicht wollte ich es ja mit „ph“ schreiben. Oder an Crébillon fils denken. Immerhin bekam ich eine Mail heute von amazon:
„Da Sie Angefügt, nahtlos, dem Heute. Paul Celan übersetzt Giuseppe Ungaretti von Giuseppe Ungaretti gekauft oder bewertet haben, freut es Sie sicher, dass Die Drachenkämpferin – Der Talisman der Macht jetzt erhältlich ist. Bestellen Sie jetzt Ihr Exemplar!” Fast wie nahtlos dem Heute einen falschen Knopf annähend.

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