Arbeitsjournal. Dienstag, der 25. August 2009.

6.58 Uhr:
[Arbeitswohnung. Kaveli Aho, Klarinettenkonzert.]
Latte macchiato, Pfeife. Sowas um sechs Uhr hochgekommen, Haushaltskram (Kühlschrank abgetaut, was die halbe Küche unter Wasser setzte… so’n Zeug halt). Gestern abend mit dem Profi >>>> in der Bar gesessen, geredet, nachmittags hatte Αναδυομένη hereingeschaut und für Aufregungen der Körper gesorgt. „Du bist sehr entspannt geworden“, sagte der Profi, „das ist schön.“ „Je nun“, antwortete ich, „die Katastrophen sind ja doch nicht zu vermeiden. Und gemessen am Elend der sonstigen Welt sind die meinen ein Pups.“ Hatte also mit Vattenfall wegen dieser irren Rechnung telefoniert, erst Call-Center, dann bekam ich tatsächlich die Direktwahl der 01800freien Sachbearbeiterin, die durchaus ihrer Funktion bewußt sprach, nicht ohne Arroganz, aber freundlich; ich meinerseits versuchte, ihr klarzumachen, daß ich, stellte man mir den Strom ab, auf der Straße stünde, dann völlig arbeitsunfähig sei und diese Rechnung nun erst recht nicht würde bezahlen können. Sie war der Ansicht, das Geld hole sich dann schon die Rechtsabteilung, während ich eher zu dem Schluß tendierte, daß Vattenfall dann erst recht auf den Kosten sitzenbleibe, zu denen noch die Gerichtskosten sich hinzuaddierten – mal ganz abgesehen davon, daß ich den Rechtsgrund ja gar nicht bestritte, sondern durchaus zahlungswillig sei, aber eben in kleinen Raten, mehr gehe nicht; meine Raten waren ihr indes z u klein; was ich verstehe, aber ich kann die Grundsache nicht ändern. Angeblich seien alle Rechnungen seit Anfang 2007, also seit über zweieinhalb Jahren, immer als unzustellbar an Vattenfall zurückgegangen. Da alle übrige Post aber ankommt und ich seit 1994 hier gemeldet bin und mein Name seither auch am Briefkasten stehe, kann das so ganz sicher nicht sein. Jedenfalls, bevor sich das Telefonat festfuhr, machte ich eine Kehre und sagte, sagen Sie mal, Vattenfall ist doch als Kunstförderer bekannt, ja du meine Güte, damit kann ich dienen, einer zu sein, den man fördern muß… erzählte ein bisserl von Literatur, schlug schließlich vor, daß ich dem Vorstand schriebe – und dabei bewendete es sich dann erst mal nebst einer entsprechenden Notiz, die die Sachbearbeiterin in der Akte mache. So habe ich immerhin schon mal Luft und sitze seit gestern nachmittag an dem Brief. Da es sich um einen, mal Hand aufs Herz, Bettelbrief handelt, könnte ich ja vielleicht mal aus den Bach-Briefen zitieren, auch Heine war meisterhaft in Bettelbriefen; das freilich nur, um klarzustellen, daß ich absolut kein schlechtes Gewissen habe, sondern mir klar darüber bin, welche Folgen verweigerter Mainstream hat, wenn er sich mit einer gewissen Form von Radikalität verbindet. Ich muß nur aufpassen, daß das dann nicht arrogant klingt, denn arrogant meine ich das auch gar nicht, sondern einfach sachlich-realistisch. Ein paar Sachen m u ß man erklären: zum Beispiel, daß ich seit über zwei Jahren ohne eigenes Bankkonto lebe, das ist vielen ganz unvorstellbar, oder daß meine Miete ein Jahr lang von meinen Lesern bezahlt worden ist, direkt an den Vermieter usw. Deshalb bin ich in den vergangenen zwei Jahren auch gar nicht auf die Idee gekommen, bei Vattenfall mal nachzufragen, weshalb nie Stromrechnungen kamen; tatsächlich hatte ich meine Hausverwaltung in „Verdacht“, sie stillschweigend – eben als mäzenatische Maßnahme – bei Vattenfall zu begleichen. Es ist ja bekannt, wer ich bin, was ich mache und daß das nicht ohne Schwierigkeiten abgeht. Und ich habe gedacht, wenn man das anonym bezahlt, dann will man wahrscheinlich gar nicht in Erscheinung treten. So in d i e Richtung geht das. Diese Vorstellung können Sie mit Recht für naiv halten, issie vielleicht auch, andererseits m u ß man, wenn man das alles durchhalten will, schon ein bißchen an Wunder glauben. – Ach ja, bin auf die Idee verfallen, Vattenfall im „Tausch“ gegen die Rechnungssumme zwei Lesungen anzubieten. N o c h eine Idee wäre, überhaupt für solche Fälle, dem Gläubiger die Nutzungsrechte an einer Erzählung anzubieten. Ich habe überhaupt die Neigung, zur Naturalwirtschaft zurückzukehren.
Dann dachte ich, als ich von der Bar heimradelte, deren Besuch ich mir ja auch nur leisten kann, weil sie mich in Naturalien bezahlt: Man hat schon einiges erreicht in seinem Schriftstellerleben, wenn man erst mal kapiert hat, daß es im Literaturbetrieb überhaupt nicht darauf ankommt, ob man gut ist oder nicht, sondern ganz alleine darauf, ob man „paßt“, keine Schwierigkeiten macht, sich handlich einsetzen läßt und im übrigen freundlich und dankbar ist. Qualität ist zwar nicht hinderlich, ja wird gerne gesehen, aber eben nur dann. Oder ob man Macht hat, da kuschen dann auch alle („Macht“ ist in dem Fall, freilich, ein weiter Begriff; es kann auch Ruf sein). Wer jedenfalls die S c h a l e erstmal verstanden hat, kann selbstsicher weiterarbeiten und muß sich nicht um die Betriebsler scheren. Vorausgesetzt, man kommt mit diesem öden Existenzzeugs irgendwie klar. Dafür hilft, an wirkliche Armut zu denken; wie gesagt: die meine ist ein Pups: Er riecht schlecht, aber man stirbt nicht dran.

Mehr als das war gestern nicht, also morgens, den ganzen Vormittag, betreute ich die Zwillingskindlein für die Eingewöhnung in den Kindergarten mit, das wird bis Freitag noch so weitergehen, dann war ein bisserl Privates, dann kam ich endlich ans Cello (oh je, vieles vieles verlernt in vier Wochen), dann kam mein Bub fürs Cello und zum Lernen, und dann war’s schon Abend. In einer Stunde radle ich rüber, und abermals geht’s in den Kindergarten. Diesmal nehme ich aber den Laptop mit; man soll nur erreichbar und sichtbar sein, sich ansonsten aber nicht in die Abläufe mischen. Also anstatt nur rumzusitzen, will ich was tun. Mal sehn, ob’s hinhaut.
Guten Morgen.

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