Heute 12

„Wohin fährt denn der Zug?“ – „Da lang.“ Ich traute mich gar nicht mehr weiterzufragen auf dem Beetzendorfer Bahnhof. Die Vorstellung, alle würden so antworten. Vielleicht die langen Haare. Hatte ich da welche? Möglich. Allerdings wäre es der richtige Zug gewesen, nämlich nach Oebisfelde. Von dort mit dem Interzonenzug nach Wolfsburg. Unsicheres langes Warten bis zum nächsten Zug in einem Wartesaal. Blätternd wahrscheinlich in irgendwelchen DDR-Zeitschriften. Fragte ich überhaupt noch jemanden? Irgend jemand muß mir gesagt haben, daß ich es noch schaffen würde zum Interzonenzug. Wurde dann auch schnell durch die dunklen Kontrollgebäude in Oebisfelde gewunken. Fünfzehn, sechzehn muß ich da gewesen sein. Fiel mir so ein, als ich merkte, seit fünf Tagen nichts mehr geschrieben zu haben. Nirgends. Zug verpaßt, warten, doch noch über die Grenze. Die Wochenend-Abende in der Oberstadt bei MM, erst zum Vorlesen-Üben, dann zum Vorlesen in dem Dritte-Welt-Laden gleich um die Ecke. Vor einem zwei Dutzend Leutchen. Brachte ein: eine heftige kolumbianische Umarmung („dem Dichter“), zwei Gespräche über meine Texte, manchmal klatschte es zwischendurch. Später Versuch einer zaghaften Sozialisation: ick bin ditte und ick mach ditte. „Ich wußte gar nicht, daß du der Mann von O. gewesen bist.“ Solche Sachen auch noch. Halb barg er sich, halb ward er verborgen. Und je später die Abende bei MM, desto Musik. Und Wein und gegen Ende „il fumo“. Daß ich gestern unbedingt Abstinenz brauchte. Die dann unverhofft in einen Stromausfall fiel: von halb acht bis eins bei Kerzenlicht in der abkühlenden Wohnung. Ich stand nur noch am Fenster und starrte auf das Treiben der Stromleute im Hintergrund der Gartenanlage, wo ein Trafo-Häuschen steht. Sich bewegende Gestalten mit gelben Helmen. Ein Lastwagen mit einem großen Ersatzteil hatte sich ihm genähert. Stierte so mehr als eine Stunde ins Undeutliche, verwechselte den Kran-Arm mit den sich im Wind wippenden Ästen, am Ende gar riesengroß eine Frau mit einem Brotlaib (?) unterm Arm, oder war’s ein Kind (?). Plötzlich gegen eins war der Strom wieder da, und die Stromleute fuhren davon. Blau auch leuchtete wieder der eine Baum am Straßenrand weiter unten im Dorf und all das Blinken. Morgen abend bei den Neffen in der Oberstadt, übermorgen in Tuscania. Etliche Glitzer-Mails: Auguri! Dito.

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