Arbeitsjournal. Mittwoch, der 6. Januar 2010.

11.13 Uhr:
[Sciarrino, Quattro notturni No2.]Seit sechs Uhr am Schreibtisch gesessen und >>>> die erste Antwort auf Thiele formuliert. Dann شجرة حبة geweckt, die immer noch krank ist. Dann rief Αναδυομένη an: was ich bitte von Bach hätte… die Oratorien bitte, die Passionen… Schließlich mit लक telefoniert und auch gleich hinübergeradelt, um gemeinsam mit ihr die Zwillingskindlein zur Staatsoper zu bringen: sie sehen heute ihre erste, freilich für Kleinkinder bearbeitete Oper, Humperndincks Hänsel und Gretel.

[Petrassi, Quattro inni sacri Jesu dulcis memoria. Einnehmend. Klangschmelz.]

Dann wieder zurück. An dem zähen Essay war ich heute noch gar nicht; es war auch mit Eigner ein wenig spät geworden. Zigarillo. Pfefferminztee. Zum ersten Mal, auf dem Rückweg von Mitte, wir gingen etwas zu Fuß durch den Schnee, zu dem seit heute morgen ununterbrochen leichter Neuschnee fällt, vorbei am Alten Museum über die Museumsinsel, der schöne Blick aufs Nationalmuseum, hinüber über die Spree Richtung Hackescher Markt, dort dann die Tram, zum ersten Mal die leise Frage, ob ich die Zwillingskindlein adoptieren würde. Da sich doch der leibliche Vater nun so ganz zurückgezogen hat. Es i s t für mich an sich gar keine Frage.
In der Staatsoper, in den Proberäumen des Intendanzgebäudes, sinnierte ich zwischen den eintreffenden Musikern und jungen Leuten, die am Boden saßen und plauderten, und der Kleinkinderschar. Lebenswelten, dachte ich. Wie vielen diese vorenthalten bleiben wird. Die Kunst vorenthalten bleiben wird. Und ich sah die jungen Randaler vorm Schmeling-Stadion am Mauerpark, mit den Bierflaschen, den groben Sätzen, dem Gelalle und Rerülpse, der horrenden Ausländerfeindlichkeit, diesem ganzen Dummdeutschtum, das keinen korrekten deutschen Satz auf die Reihe kriegt. Ich dachte: Privilegien, Glück, Feingriff. Ich dachte: Wärme, Zugehörigkeit, Anspruch. Ich wurde geradezu melancholisch, da so sehr das Elternhaus, überhaupt die Sozialität, die Lebensqualitäten prägt (nicht etwa die Talente). Ich dachte: und wenn ich noch so, bürgerlich betrachtet, Randexistenz bin, finanziell und sowieso… – welch ein Leben auf der Sonnenseite ich dennoch habe und meine Kinder haben, allein, weil sie erfahren, fühlen, a t m e n dürfen, was Musik ist.
Ich muß heute vormittag unbedingt noch ans >>>> virtuelle Seminar. Danach geht es mit dem Essay weiter; dann sind wieder Telefonate dran. Um halb zwei kommt mein Bub, die ganze Arbeitswohnung riecht schon nach Kasslerbraten und Sauerkraut. Ans Cello werd ich mich nun erst nachmittags setzen. Der Abendverlauf ist dann noch ungewiß.

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