22. Tag des Jahres Zwanzig Zehn

Nein S. ich mag Dich nicht ziehen lassen, so heraustreten, so unerreichbar werden, ich wollte das ganze Gegenteil, mehr Nähe und noch mehr Vertrautheit. Ich verstehe Dich ja, ich weiß was Du da tust, ich täte es genau so.
Ich beginne mich einsam zu fühlen, in diesem Ganzen. In der abermals schroffen Absage Anwars an meine Bitte um ein Gespräch, in S. Rückzug, im alleine vor mich hin schreiben, auch wenn ich die Gründe kenne, warum einige momentan nicht hier sind, hat es einen ganz merkwürdigen Effekt auf mich.
Dieser Winter resp. dieses Glatteis muss endlich ein Ende haben, ich komme mir vor wie in Klausur, jeder Weg ist ein Eiertanz über spiegelblankes Eis. Ich war viel zu lange nicht mehr laufen, die Sonne hat sich zu lange nicht mehr gezeigt. Ich komme mir vor wie ein Stück Holz, das zu lange im Wasser lag. Da hilft auch D. nicht, der sich meiner in wunderbarer Weise angenommen hat. Auch er gibt neue Impulse, wie ein Felsen in der Brandung ist er, aber lass ich ihn ins Rollen kommen, dann überrascht die Wucht.
Heute Morgen im Spiegel sah ich einen Zug um meinen Mund, eine Mischung aus Desillusioniertheit und Trotz, den ich zu letzt bei meinem Vater sah. Was das nun wieder bedeuten mag, dass er sich in meine Gedanken drängt. So etwas geschieht nie ohne Grund.
Derweil beginnen immer mehr Dinge Formen und Freundschaft anzunehmen, daran sollte ich denken, wenn es mir so geht wie heute.
Im Gespräch mit H., der einfach auch zu weit weg ist… und doch immer da, großartig, ruhig… danke! Noch mal zurück gefunden zu „Die Dinge des Lebens“ von Claude Sautet, mit Romy Schneider und Michel Piccoli. Dieser kurze nur 82 Minuten lange Film ist so ein Meiserwerk der Mann-Frau-Beziehung das ich nur staunen kann. Zwei Jahre vor meiner Geburt gedreht, hat er immer noch nichts verloren, von dem was bleiben wird zwischen Männern und Frauen, wenn sie sich entscheiden zusammen zu leben.
Diese Zeit um Weihnachten machte sich noch etwas breit in mir. Eine so tiefe und innige Zuneigung zu B. das man sie nur Liebe nennen kann. Es wird niemanden geben, den ich jemals wieder so lieben werde wie Ihn. Es sind die Jahre, es ist alles was man miteinender durchgemacht hat, auch das was man sich angetan hat und schließlich geschafft hat zu verzeihen. Wer auch immer kommen mag, wird es nie schaffen das weg zu schieben, er wird sich immer mit einer anderen Ebene begnügen müssen, einer anderen Art von Liebe.

Was dieser Tag noch bringt? Das neue Album von Tocotronic. Diese verkopften Spinner, die dem unverstandenen Teil meiner Generation eine Stimme geben haben, die sich nicht anbiedern, die niemanden verstehen wollen der nicht mindestens genaus so fünfmal um die Ecke denkt wie sie, damit sind sie mir weit weit voraus. Ich will den auch nicht mehr verstehen wollen, der mich nicht verstehen kann.
Nerdistische Antihelden in ihrer Depression bandende Halbinterlektuelle, völlig über bewertet und unteschätzt, Helden in dem Sie sangen: “Alles was ich will ist nichts mit Euch zu tun haben” oder “Pure Vernunft darf niemals siegen, wir brauchen dringend neue Lügen”, da ließe ich mich gerne auf eine Diskussion um Gedicht und Liedtext ein…