Arbeitsjournal. Sonnabend, der 13. Februar 2010.

9.06 Uhr:
[Arbeitswohnung. Berg, Violinkonzert.]
Es schneit immer noch weiter: einen Schneestaub fast, doch unentwegt. Er bleibt auch auf den Dächern liegen, was immer: Winter sagt. Über das Konzert gestern möchte ich eigentlich nicht viel schreiben; die Geigerin allerdings, Alina Pogostkina, war wunderbar, einige Spuren zu leise freilich, zu ausgehorcht, bedacht akademisch, weil es ja ihre sozusagen Abschlußprüfung war; alle Solisten und Dirigenten schlossen mit dem Konzert gestern abend ihre Komzertexamen ab: das riskiert man nicht unnötigerweise. Für die Musik selbst hätte ich mir entschiedeneres Durchgreifen gewünscht, bei Beethoven etwa mehr Ruppigkeit, vor allem seitens des Orchesters; auf der Heimfahrt sagte eine Orchestermusikerin, mit der wir gemeinsame Richtung in der U-Bahn hatten: „Dirigent zu sein, ist ein schwerer Beruf. Für alles, für Straßenbahnfahrer, für Piloten usw., gibt es Simulatoren. Ein Dirigent muß alles allein machen, ganz aus sich selbst heraus.” Ich fragte etwas nach, sie sagte: „Na ja, SOUNDSO hat uns nicht mal die Einsätze gegeben, einmal haben wir bei uns sogar den Anschluß ganz verloren.” Man hört diese Unsicherheit gerade bei dem Alban-Berg-Konzert, dessen Schmelz eines sehr genauen Bewußtseins um die Strukturen bedarf. Die für mich nachdrücklichste Einspielung, die ich je gehört und hier auf Cassette habe, wurde von Issac Stern mit den New York Philharmonic unter Bernstein musiziert, dann gab’s noch mal die für mich so eindrückliche Aufführung der Jungen Deutschen Philharmonie mit Khyun-Wa Chung unter Gary Bertiniy.

Weiterlesen heute morgen. Cello. Mein Bub wird mittags, ebenfalls fürs Cello, herkommen und dann rüber in seine Schule weiterziehen, wo Tag der Offenen Tür ist.
Orpheus-Gedicht. Ordnung auf dem Schreibtisch herstellen. Weiterlesen.
Ach ja, ich muß heute morgen kurz zu Eigner rüber.

9.57 Uhr:
Ich lese jetzt sämtliche Anmerkungen des >>>> Maar-Buchs; rund fünfzig ziemlich kleingedruckte Seiten; doch das „übrigens” kennt die Verstecke, an denen man Schätze lagert, besser, als die Wiese über den Höhlen offenbaren möchte.

12.50 Uhr:
Gutes Gespräch mit >>>> Eigner drüben, wo ich hingefahren war, um gemeinsam mit ihm die Quelle seines eigenen Zitats herauszusuchen; aber wir wurden nicht fündig. Jedenfalls rät er mir, wie Delf Schmidt, dazu, aus dem ziemlich umfangreichen Typoskript meiner Erzählungen z w e i Bücher zu machen, nämlich >>>> das da zur Leipziger und ein weiteres zur Frankfurter Buchmesse. Leuchtet sehr ein; auch der Verlag denkt in diese Richtung. Ich habe nur das eine Problem damit, daß es dann in diesem Jahr gleich v i e r, vielleicht sogar fünf Bücher würden: beide Erzählbände, die Bamberger Elegien, die Essays und Die kleine Theorie des Literarischen Bloggens; wenn das mit dem Jugendbuch noch klappt, wären’s sogar sechs. Eigner zuckte nur mit den Schultern: „Du b i s t halt der, der klotzt. Das mußt du nicht verstecken.” Nö, muß ich nicht, aber wie soll die geneigte Leserschaft damit umgehen? Andererseits, ein Buch von 350 Erzählseiten, das 12,80 Euro kostet, ist objektiv unterkalkuliert.
Er gab mir noch Coetzees Tagebuch eines schlimmen Jahres mit, hielt es gegen Coetzees Schande, so, wie er meinte, Lolita sei s e i n Buch, Pale Fire aber meines: „Du hättest das schon vor zwanzig Jahren lesen müssen.” Es kamen noch ein paar hübsche, durchaus achtungsvolle Bemerkungen über Uwe Friesel, den Nabokov-Übersetzer, dazu, die ihren Distanzspott dennoch nicht verhehlten, der übrigens von ihm selber, Friesel, ausgegangen sei: jene Art Spott, die einen seltsam perversen Nektar aus der Blume saugt, deren Name Vergeblichkeit ist.

Mittagsschlaf.

18.46 Uhr:
Gut am Cello gewesen, weitergelesen, dann >>>> diese Diskussion weitergeführt. Es sind offenliegende Nerven da; es geht genau darum.

Jetzt zur Familie hinüber.

22.35 Uhr:
[Wieder Arbeitswohnung. Lesend. Wein & Cigarillos.
Ich bin gerne am Terrarium mit der Familie; liegen die
Kinder aber im Bett, treibt es mich fast her. Das ist ziemlich
neu.]

N o c h eine Gemeinsamkeit:Nabokovs ästhetische Idee, Muster im Leben und in der Kunst
übereinanderzulegen.
>>>> Maar, 198, Anm. 48.

Vom Konzerthaus lag Krauss’ Aeneas in Carthago als 3er-CD im Briefkasten, mit einer Kopie des Stuttgarter Programmhefts; Zagrosek hat die Oper dort bereits 2006 gemacht. Vorbereitungsmaterial für unser Gespräch am kommenden Donnerstag.

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, der 13. Februar 2010.

  1. nun ja, die menge kann die wirkung steigern, muss aber nicht. gibt halt sonne und sonne. als mich i gestern fragte, was wäre denn dein ideales publikationsmaß, wusste ich es sofort, ein fänger im roggen und gut iss. ist natürlich jetzt auch zu spät, aber vielleicht zählen zwei lyrikbände ja noch nicht wirklich und salinger hat ja auch noch bisschen was angehangen.

    1. @diadorim. Oh doch! D i e zwei Lyrikbände z ä h l e n.

      (Vielleicht gibt es aber auch einen fast phylogenetischen Unterschied zwischen Romanautoren und Lyrikern; jenen ist das Fiktive wesentlich, bei diesen muß es gar nicht vorhanden sein oder erscheint als Ausflug. Dann gibt es noch die großen Prosaautoren, die zugleich Lyriker waren, auch wenn meistens das eine im Schatten des anderen stehenbleibt wie bei Borges. Die deutschen Klassiker stehen für beide Seiten, fällt mir dabei allerdings ein.; und Rilke hat mit dem Malte einen d e r Romane des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben.)

      [Ich legte sehr gerne einen Link auf die zwei Bücher; aber dann wäre Ihr Anonym pfutsch.]

    2. oh, danke für die blumen im eis! hab ich aber jetzt schlimm drum gebettelt..
      nein, es ging ein wenig darum, ob man, um so ein richtig echter autor zu sein, so intrinsisch getrieben sein muss, und natürlich denke ich irgendwie, ja, müsste vielleicht und eventuell so sein, zumindest wenn mich mein physiotherapeut oder wer fachfremdes fragt, denke ich, ich muss hundertprozentige und kompromisslose identifikation mit meinem beruf üben, viel mehr, als man es von ihm je verlangte, da mein beruf ja weitgehend selbst- und nicht fremdbestimmt ist und dazu nicht allein dem broterwerb dient. (wenn auch unser grunzgesetz ja das recht auf freie berufswahl so generell allen zugesteht, erst mal, und ich auch glaube, der physiotherapeut etwa macht das zu einem großen prozentsatz aus selbstbestimmung) aber meine intrinsik sucht sich gern auch mal völlig andere dinge des treibens und treiben lassens.
      da ruf ich wo an, und jemand sagt mir, ich muss jetzt dies und das fertig schreiben, und ich kann das verstehen, ich wäre gern auch so, im gegensatz bin ich aber nur so, wenn ich wen eigentlich nicht sehen will, dann schieb ich das vor, oder der abgabetermin ist wirklich sehr eng, aber dann ärgere ich mich schwarz, dass ich jetzt nicht vom schreibtisch weg kann zb. kann gut sein, dass andere das anders halten, aber ich zieh leider gottes irgendwie oft nicht genug selbstbewusstsein aus meinem schreibendem tun, als dass ich nichts lieber täte. schreiben ist ein großer scheiterhaufen, auf dem ich mich nicht so gern brennen sehe und darum klettere ich da des öfteren wieder runter und geh ins kino und so. nichts lieber tun als schreiben, das würd ich ja gern. phasenweise ist das auch so, zu anderen phasen denke ich, fotografieren ist viel schöner und recht eigentlich gibts tausend andere sachen, die sehr schön sind, worüber man dann ja wieder schreiben kann, das wäre dann vielleicht der trick. darum ist es eigentlich auch nicht wirklich entsetzlich und nicht ganz so schlimm um mich bestellt.
      vom fiktiven weiß ich gar nicht so recht, was das sein soll, es kommt ja aus einem realen kopf. so rein von der produktpalette der literaturgeschichte verstehe ich natürlich, was sie meinen, aber ich denke dann immer an figuren wie beckett und seine figuren, die finde ich komplett unausgedacht, die kommen real zu stehen, oder wie gregor samsa zu liegen.
      heute nannte ich mich evarova, profil: schlangenfarmbesitzerin, 39, geschieden, tausend taschen, hamburg, winterhude. und das ist dann ungefähr so ausgedacht oder real, wie der dress der stewardess. man müsste vielleicht mal über das fiktive als uniform nachdenken und dazu noch mal brochs schlafwandler hervorkramen. hm hm. für heute empfehle ich noch bitterschokolade mit cassis, frau evarova mischt noch schlangenserum unter, kribbelt am gaumen. inzwischen gibt es auch lippgloss, was auf den lippen prickelt, eigentlich auch was völlig fiktives.

    3. @diadorim. Ich bin auch nicht immer “zu Text getrieben”, aber schließlich dann “texte” ich d o c h; es läßt mich nicht los. Wiewohl auch ich bisweilen ganz gern etwas anderes wäre: nach wie vor hätte ich gerne ein überschaubares Kinderheim, um für Kinder zu sorgen; manchmal hatte ich Lust darauf, in die Entwicklungshilfe zu gehen; dazu aber brauchte ich einen handwerklichen Beruf, um sowas sinnvoll zu machen; und dann, vor allem, ertappe ich mich dabei, daß diese Lust eine der Vorstellung ist, aus der ich einen Roman machen möchte.
      Als ich vierzehn war, wollte ich Astronaut werden. Ernsthaft. Damals durfte man für sowas aber noch keine plombierten Zähne haben; ich hatte schon welche. Die Alternative wäre gewesen: das Gebiß ganz raus, ein künstliches rein. Nicht Eitelkeit hielt mich davon ab, sondern meine damals geradezu galoppierende Angst vor dem Zahnarzt. Als mir das mit dem Zahnarzt klar wurde, entschloß ich mich spontan um und wollte Schriftsteller werden. Objektiv gab es für beides Optionen. Mich interessierte der Weltraum (nein, vielmehr berauschte er mich), und mich interessierte die Dichtung. Heute, rückblickend, denke ich, daß beides eigentlich nicht dasselbe i s t, aber meint. Auf meine Weise b i n ich Astronaut geworden. (Es war ein liebevolles Erkenntnisvergnügen, als ich Jahre später bei Cortázar eine ähnliche Bewegung ästhetisiert fand.)

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