Arbeits- & Sonntagsjournal. 14. März 2010. Mit Michael Gielen. Mit Tschaikowski mehr als mit Mahler. Und einem Wort zu uns Ribbentrops.

6.35 Uhr:
[Arbeitswohnung. Schumann, Manfred-Ouvertüre.]Das Vulkanlager wieder einmal. Die Löwin sagte: „Daß du einen Sohn hast, ist unumkehrbar: es ist für alle Zeit.” Ich sagte: „Ja.” Sie drohte die Wahrheit zum Spottscherz herum: „Ich mach dir auch eins.” Womit sie ein Junges meinte, in unserer >>>> archao-biologistischen Leidenschaftsfreude; soviel ich weiß, lassen sich Katzenarten miteinander kreuzen. Latte macchiato, Morgenzigarette. So schön, wie der Junge schläft, der gestern abend natürlich, entwicklungsnatürlich, nicht verstehen konnte, was sie sind, diese Kindertotenlieder Mahlers, der deshalb den Tschaikowski vorzog, Manfred-Sinfonie, eigenartiges Stück, das als Junge auch ich den anderen vorgezogen hätte; aber diese Sinfonie war an mir vorübergegangen, vielleicht der verzwickten Opus-Zählung halber, Tschaikowski selbst nahm sie ja aus der Reihe heraus. Ich war als Junge für diese Art Pathos hoch empfänglich, hoch sensibel, und bin es imgrunde immer noch: was ich dagegen einzuwenden habe, ist pure Rationalisierung. Seltsam auch hierbei, bei Tschaikowski, die M u s t e r: Ich liebte das b-moll-Konzert, mit dem ich allabendlich einschlief, als ich dreizehn/vierzehn war, mein Junge liebt es jetzt ebenfalls wieder (er hört’s aber zum Aufwachen), indes meines Vaters Lieblingskonzert ebenfalls ein Tschaikowski-Stück gewesen ist, sein Violinkonzert, was wiederum ich nicht wissen konnte, als ich für mich – einige Zeit vor der Mahler-Obsession – Tschaikowski entdeckte; und meine Mutter schwieg drüber, die dieses Pathos überhaupt nicht mochte, protestantische Leistungs-Calvinistin, die sie im Grunde ihres Herzens war. Meine Eltern trennten sich, als ich vier war; bewußte Erinnerung an den Vater blieb nicht, aber ganz offensichtlich unbewußt der Tschaikowski, den mein Vater von morgens bis abends heruntergenudelt haben dürfte, als die Ehe noch bestand. Prägungen. Das Musterhafte entsteht, womöglich, indem sie sich wiederholen und allmählich generationsübergreifend einschreiben.
Ich liebe Kontraste. Also saßen wir erst in der Loge, tatsächlich, mit die ersten beiden Plätze, die das Haus zu vergeben hat, mein Junge kam über den Bühneneingang mit herein, und wirklich war der Stuhl neben meinem Presseplatz frei. Danach radelten wir zu McDonald’s Alexanderplatz und futterten Junk Food, nachts um elf. Dann ging’s die Prenzlauer Allee hinauf zur Arbeitswohnung, wo wir das Vulkanlager aufschlugen und ich, „Kapitän Grant, Papa!” , noch eines der uns verbliebenen letzten beiden Kapitel vorlas, bevor ich mich selbst hinlegte und grad mal zwei Seiten Cotzee schaffte, bevor auch mir die Augen zufielen. Da war es Viertel nach zwölf/halb eins. „Was ist d a s?” hattest Du geflüstert, als Du meine Skizze sahst, die ich während des Konzertes hinkritzelte. „Ich skizziere die Körperhaltung des Sängers, um eine Erinnerungsstütze zu haben, wenn ich später die Kritik schreibe”, erklärte ich ihm nachher. „Hast du die Spannung gesehen seiner seltsam vorgestreckten Arme? Das half ihm, die Töne richtig zu intonieren… so zu intonieren, wie er wollte.”
Ich mach mal den zweiten Latte macchiato. लक्ष hat nachts noch angerufen, als wir bei McDonald’s saßen, ob wir denn morgens zum gemeinsamen Sonntagsfrühstück kämen. Mein Mobilchen war konzertseits noch ausgestellt, also rief sie Deines an. Wir müssen heute früh aber erst einmal für Deine Englischarbeit üben, die Du am kommenden Donnerstag schreiben wirst: Außerdem versprach ich, das letzte Kapitel der Kinder des Kapitäns Grant vorzulesen; ans Cello können wir allerdings gemeinsam drüben gehen.
Ich möchte heute früh >>>> Melusines neuen Brief beantworten, nein, besser formuliert: ich möchte auf ihn schreiben. Danach erst werde ich an meine Kritik zu gestern abend gehen. Guten Morgen. Es ist Zeit für den zweiten Latte macchiato. Übrigens: Enorm, den unterdessen alten Michael Gielen wiederzuerleben, der für meine Vorstellung, was denn Musik sei, in meiner Frankfurter Zeit vor dreißig Jahren derart prägend gewesen ist, und was Musik sei bedeutet für mich: Was Kunst sei; es gilt für mich unablösbar auch für die Literatur. Das hat einiges von einem Gesetz.

8.04 Uhr:
[Tschaikowski, Manfred-Sinfonie.]
Meinen Sie ein Schloß in oder bei Hameln, liebe ***? Dann übersähe ich es, weil ich es auch ohne Sie übersehen habe… darüber hinweggesehen habe, heißt das, obwohl es ja nun naheliegend gewesen wäre, da doch der Wolpertingerroman in Hannoversch Münden spielt, den kurzen Schlupp dahinüber zu unternehmen. Allein, ich bin, was meine Verwandtschaften anbelangt, ein typischer Vertreter meiner Sippe: außenseitrig. Nur die Joachim-„Linie” ist anders. Doch die ist adoptiert, also hat sie mein ulkig aristokratisches Inneres – sagen wir mal: meine Anarcho-Aristokratie – nie für voll genommen.

Sofern Sie jetzt auf etwas anspielen, auf das ich meine, daß Sie’s tun.

10.26 Uhr:
[Tschaikowski, Manfred-Sinfonie, abermals.]Kakao gab’s, dazu – „Kapitän Grant, Papa!” – las ich die letzten fünfzehn Seiten des Verne-Romans vor. Telefonat mit drüben; wir werden jetzt doch hierbleiben, wie es geplant war, erst zum späten Nachmittag hinübergehen. Wenn Du Deinen Englischtest schreibst, den ich grad für Dich fertigmache, schreibe ich meine Kritik. Etwas frühstücken werden wir gleich auch noch. Sowieso. Aber lies nur erstmal noch etwas Deinen Drago-Roman weiter. Vater. Sohn. Ich muß einen zweiten Englischtest für Dich vorbereiten.

16.37 Uhr:
Bis 15 Uhr mit dem Buben gelernt, dann zog er ab, ich schlief eine schwere Stunde, und als ich eben erwachte und abermals einen Unfugler-Kommentar fand, der behauptet, alle hier mitschreibenden Frauen seien, sofern sie f ü r mich schrieben, meine eigenen Pseudonyme… also da hatte ich keine Lust mehr und hab >>>> dort fast alles an Kommentaren weggelöscht, das an dem BettyB.-Kommentar hing. Von deren Kommentaren habe ich jetzt nur die ersten beiden mit je meiner Replik stehenlassen; alles andere ging de facto zu weit. Ich habe das Zeug allerdings in eine Textdatei kopiert und archiviere es für meine Biografen. Nimmt sich in Marbach sicher nett aus. Nächstes allerdings, das mit denselben Methoden zu diffamieren versuchen sollte, werde ich ohne Ankündigung löschen. Es geht hier deutlich darum, mir irgendwie zu schaden; selbst wenn es Gegenreaktionen steht, bleibt von anonymen Denunziationen immer etwas zurück; also werde ich in Zukunft durchgreifen und meine Administratorin, die zusammen mit Daniello über die Beiträge „wacht”, um beherztere Löschungen bitten.

Meine Funk-Netzverbindung ist mal wieder unter aller Sau. Obendrein. Es regnete heftig, stürmte, jetzt schneit es. Ich will mich an mein Cello setzen.

17.03 Uhr:
Wegen Cane tut mir das leid, aber ich selbst bin recht froh, daß er einstweilen Ruhe gibt… was s o auch nicht stimmt, weil er ja unterdessen unter anderen Pseudonymen bei mir weiteren Unfug schreibt. Vielleicht nicht DER Cane, aber einer, der sich sein Pseudonym stahl… ein unterdessen üblich gewordenes Verfahren meiner Trolls – das es ja auch schafft, was es will, nämlich Sie und andere davon abzuhalten, bei mir zu kommentieren. Ich stehe dem ziemlich wehrlos gegenüber, den M u t kann ich meinen Kommentatoren, auch denen, die ich respektiere, leider nicht abnehmen, den muß jeder für sich selber haben. Anders geht es nicht. Weshalb ich mit Löschungen bei nichtregistrierten Kommentatoren in Zukunft noch sehr viel unbedenklicher umgehen werde.
Hier schneit’s.
Gruß
ANH

7 thoughts on “Arbeits- & Sonntagsjournal. 14. März 2010. Mit Michael Gielen. Mit Tschaikowski mehr als mit Mahler. Und einem Wort zu uns Ribbentrops.

  1. Guten Abend Herr Herbst, ich bin wieder da. Was immer das eigentlich heißt. Ich war ja nicht richtig weg. Ich hatte nur zu viel zu tun, um mich um mein eigenes und anderer Leute Blog zu kümmern. Aber jetzt werde ich wieder aktiver. Ich habe leider die Projekte, die Sie da initiiert haben, nicht verfolgen können. Was ist denn aus Ihrem Kommentar zu Peter Grosz geworden? Den habe ich hier nicht finden können. Mit Vergnügen habe ich allerdings Ihren Briefwechsel mit Melusine gelesen. Und Sie haben, wie ich feststellen musste, immer noch die alten Probleme mit den Leuten, die nichts können als faule Eier und Tomaten zu werfen. Ich hatte in Erinnerung, dass Sie sich etwas überlegen wollten, was den uneingeschränkten Zugang in Ihr Biotop angeht. Oder hatte ich einen Urwaldtraum?

    Ich war in der vergangenen Woche im Supernova, habe Sie allerdings nicht entdecken können. Ich habe auch unter den Tischen nachgeschaut.

    Da war noch ein Tipp von Ihnen, zu Coetzee, aber nicht „Schande“, sondern etwas andres. Welches Buch war das noch?

    Ich gehe jetzt ins Bett und lese bis in die Puppen.

    Aléa Torik

    1. Alèa Torik, willkommen zurück. Aber ich war über Ihre Abwesenheit nicht besorgt, weil ich wußte, >>>> daß Sie an einer Arbeit sitzen, die mich zumal interessiert. Ich hoffe, Sie verschweigen die “angesehene Zeitschrift” nicht; vielleicht wird Ihre Arbeit ja auch über das Netz zu lesen sein.

      Die faulen Eier und Tomaten werden seit Jahren geworfen; Die Dschungel verdauen sie, vielleicht sind sie auch Teil ihres immer wieder zu erneuernden Humus’, mag sein. Aber nerven tun sie halt doch. Es wäre freilich mit dem Klammerbeutel gepudert, wer hoffte, es hörte irgendwann damit auf. Da ich die Funktion des anonymen Kommentars prinzipiell nicht antasten will, werde ich nicht umhinkommen, wiewohl mich das belastet, dieses Zeug durchzusehen und ggbf. einfach wegzulöschen oder es einige Zeit noch stehenzulassen und dann erst später zu löschen. Neben Daniello steht mir dazu seit neustem auch eine Mitarbeiterin zur Seite, der ich weitgehend freie Hand lassen will. Das hat sich schon jetzt als erholsam erwiesen – wenngleich ich immer wieder dem alten Fehler verfalle, selbst zu reagieren und dann überzureagieren. Andererseits zeigt das – das hat >>>> die Löwin wahrscheinlich gemeint -, daß ich durch und durch am Leben bin und mir noch keine Gedanken darum machen muß, was mit Der Dschungel werden wird, wenn es mich nicht mehr gibt.

      Ins Soupanova gehe ich gelegentlich, es gefällt mir sehr gut dort. Nur hat die Lützowbar den Vorteil, daß ich da nicht zahlen muß, weil mein Getränkekonsum dort ein Honorar abträgt. An sich ist mir die Gegenwart mehr oder minder leitender Angestellter nicht das Biotop, in dem ich mich wohlfühle, auch gehören exotische Gelegenheitsprostituierte nicht zu meinem bevorzugten Umgangskreis. Doch das Honorar-in-natura spült verläßlich immer wieder Künstler ins Miljöh des hohlen Geldtauschs, das ansonsten zu flach selbst für Sozialstudien ist.
      Eventuell geh ich heute abend ins Soupanova auf >>>> diese Lesung.

      Coetzee: “Tagebuch eines schlimmen Jahres”. Das Buch ist allerdings nur gedanklich interessant; die erzählerischen Passagen, wiewohl ein bißchen komplexer als “Schande”, bleiben dürftig. Vor allem Coetzees Frauenfiguren sind derart plan angelegt, daß ich befürchten muß, es handele sich bei diesem Autor tatsächlich um jemanden, der “realistische” Literatur schreibt. Zum “Fall Grosz” wiederum sitze ich tatsächlich in den Startlöchern; das Problem ist, daß ich keinen größeren Schaden anrichten will, als bereits da ist; ich kann den auch nicht zurücknehmen, allenfalls Schadens”ausgleich” erreichen; das allerdings wäre Feuer. Daß es mich mitversengte, ist nicht der Grund, einstweilen noch stillzuhalten. Mehr dazu mag ich jetzt öffentlich nicht schreiben.

      Ihr
      ANH

  2. Lieber Herr Herbst, ich habe in den letzten beiden Wochen für die Uni gearbeitet, eine kleine Arbeit im Rahmen der Promotion und Korrekturlesen für einen Bekannten. Mit meinem Aufsatz über Wallace habe ich noch nicht angefangen. Das mache ich in den kommenden Tagen. Ich freue mich richtig darauf. Das sind so Momente, da ich merke, dass „Schreiben“ zwar kein anständiger Beruf ist (im Sinne meines Großvaters), aber dennoch das, was ich tun will im Leben. So unanständig wie möglich.

    Ich würde heute auch ins Supernova gehen, aber ich bin bereits anderweitig unterwegs. Ich habe die erste Veranstaltung von Adler & Söhne mitgemacht und das war sehr gut. Ich würde gerne Thomas Pletzinger einmal sehen und hören, der gehört immerhin zu meinen facebook „Freunden“. Sie ja nicht. Noch nicht.

    Und was Sie zu Coetzee sagen, gefällt mir doch nicht so sehr gut.

    Herzlich
    Aléa Torik

    1. wegen cane muss ihnen doch nichts leid tun herr herbst – der kommt schon irgendwie mit seinen mentalen aberrationen klar, insofern vorhanden.
      was mir zu schreibenden gemeinschaftsprojekten aka “die reise” noch einfallen würde wäre folgendes.
      jede(r) mitschreibende schreibt nur einen satz beliebiger länge – aber halt eben nur einen satz incl. dem einen satz ja ausmachenden punkt.
      dann käme jemand anderes dran, das wäre die grundbedingung.
      es wäre zwar erst recht eine art ringelpietz mit anfassen aber es wäre wirklich konsequent und womöglich wirklich interaktiv.
      mich würde daran zweierlei interessieren- zum einen, dass denkroutinen möglicherweise durchbrechbar wären, zum anderen würde mich das stilistisch interessieren und zwar in richtung konkreter story und nicht poem.
      ich frage mich ja z.b. wie jemand in einen hybrid-entstehenden text von sich aus wirklich ausscheifende pittoreske oder poetische … bilder implantieren will vorausgesetzt diese wären erlesen – also in der regel hart erarbeitet und damit etwas was man sich eigentlich ja gerne bezahlen lässt.
      fängt allerdings mal eine(r) an in eine poetische richtung vorzulegen, könnte es durchaus sein, dass das von anderen weitergetragen wird ohne dass jemand gleich
      denkt er “verschösse” mitunter gerade sein bestes pulver.
      die story sollte aber nach vorne losgehen und auf future ausgelegt sein und vergangenheitliches halt nur reminiszierend streifen in welcher länge auch immer.
      ich allerdings bahne diese action nicht an – aber das wäre was für einen ausgesprochenen freizeitgelegenheitsschreiber wie mich.

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