Das Arbeitsjournal des 29 Junis 2010. Von Berlin aus, dann zum Flughafen und aus Paris. Mit einer poetologischen Bemerkung zu Aléa Torik und einem Hinweis auf Raymond Prunier.

8.34 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Aber nicht nur >>>> das, sondern auch Aléa Toriks >>>> Jenes zu meinem „alten” Sizilienbuch, das mir in ihrer Darstellung aber viel komplizierter vorkommt, als das Buch tatsächlich ist. Ich habe ein wenig darüber nachgedacht, woran das liegt, und meine: man gerät selbst in die Schlaufen, wenn man versucht, die Handlung wiederzugeben, denn gerade ihre zeitliche Gerichtetheit wird von der Konstruktion unterlaufen, die der Klanghof der Erzählung ist. Gleichzeitig täuscht sie freilich eine Linearität selber auch vor. Doch ist fast jede Figur, je nach dem Blick, den man auf sie wirft, immer auch etwas anderes als diese eine bestimmte Figur. Wobei das, was die Figuren zusammenhält, alleine die sinnlichen Eindrücke sind: Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit, Gerüche, Geschmäcker, das Gefühl der Erde unter den Füßen.

Bin erst um acht Uhr aufgestanden und fange sofort damit an, die Paris-Erzählung in eine einzige Datei, für das Typoskript, zu kopieren, sowie sie in ein Arbeitsformat zu formatieren; dann werde ich sie ausdrucken. Etwas Arbeit werden die Kommentare machen, von denen ich jetzt noch nicht weiß, jedenfalls nicht von allen, welche von ihnen für die Erzählung unabdingbar sind und für die Buchfassung in den Text hineingewoben werden müssen, vor allem wie. Um den Textfluß nicht zu stören, werde ich sie in 10 pt oder 9 pt setzen, während die Erzählung selbst, damit ich im Print gut zwischen die Zeilen schreiben kann, in 12 pt stehen wird; bei der zweiten Überarbeitung dann allerdings in 11 pt, weil mir das visuell eine bessere Übersicht verschafft.
Ich denke, bis zum Mittag werde ich damit fertig sein, dann geht’s zum Essen mit Eisenhauer, danach bereite ich die Erzählung für Die Dschungel auf, perfektioniere die Links, schreibe die Kapitelübersicht usw. Mein Flieger geht um 18.20 Uhr; es wird reichen, wenn ich zwischen halb fünf und fünf nach Schönefeld aufbreche; ich nehme ja nur Handgepäck mit für die zwei Tage: Laptop, Ifönchen, das Typoskript, das Handnotizbuch >>>> von diadorim usw., sowie zwei Unterhosen, zwei paar Socken. Alles übrige trage ich am Leib.

Guten Morgen.

12.36 Uhr:
Soeben mit der (formalen) Datei-Fassung der >>>> Paris-Erzählung fertiggeworden. Habe in einem Rutsch durchgearbeitet und z w e i Typoskripte erstellt: eines von 127 TS-Seiten ( m i t den Kommentaren, die allerdings sehr kleingedruckt sind), eines von 106 TS-Seiten (ohne die Kommentare); nehme ich letztres als Vorlage für das Buch, dann wird es auf rund 150 Buchseiten kommen. Das ist dann doch ziemlich allerhand für die vergangenen anderthalb Wochen; damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Ausdrucken also, die Kommentare getrennt, dann am Stück lesen und schauen, wo unbedingt mit hineingezogen werden muß. Sehr schön etwa manche Beiträge Melusines; das ließe sich collagieren bisweilen. Mal sehen.

Muß mich fürs Eisenhauer-Essen vorbereiten; mache also jetzt Pause. Nach Stand der Dinge muß heut der Mittagsschlaf entfallen; ich kann ja auf dem Paris-Flug schlafen.

16.31 Uhr:
[S 9 zum Flughafen Schönefeld.]
Mit einem Mal r a s t e die Zeit; mit Eisenhauer war schnell noch etwas zu erledigen, der von der ganzen Paris-Geschichte noch gar nichts mitbekommen hatte, weil er so viel unterwegs gewesen war. Nun war er sehr begierig, mehr von der Gräfin zu erfahren, daß ich bereits heute wieder nach Paris flöge, dort abgeholt würde, eine Zimmer oder eine Wohnung hätte, und alledies allein, weil sich jemand in den Kopf gesetzt hat, von mir einen persönlichen Roman zu bekommen. Wir aßen beim Vietnamesen, tranken beide Apfelsaftschorle und hatten unser Vergnügen, auch wenn meine persönliche Situation, ihr letzter Umbruch, nicht eben nur Anlaß fürs Glücklichsein ist; auch wenn das hier manchmal so aussehen mag, wegen der Kleinen schlucke ich schon sehr oft. Aber das muß ich mit meinem Gewissen, meinem Stolz und meiner Klarheit ausfechten.
Jedenfalls lag dann, als ich zurück in die Arbeitswohnung war, ein nächster Schockanlaß in der Post, heftig, aber auch nicht ganz zu begreifen, so daß ein nächstes Telefonat nötig wurde. „He, komm erst mal wieder runter! Alles mit der Ruhe. Das klärt sich. Klar, muß man sich drum kümmern, aber doch nicht immer sofort… Meine Güte! Fahr erst mal nach Paris.”
Dann ans Ausdrucken der Erzählung, in letzter Minute ging der Toner zuende; doch auch die Kommentare, die ich gesondert ausgedruckt und mit römischen Ziffern, je nach Kapitelzugehörigkeit, versehen habe, gingen noch durch. Abheften, die Kommentare in die Beitasche, Laptop runterfahren, die Tasche packen, rasieren, unter die Dusche… innerhalb einer halben Stunde war ich fertig; jetzt noch den Rest in die Tasche und ab.
Da sitz ich nun. Ostkreuz. Wirklicher Sommer. Ich bin wirklich gespannt drauf, wer mich abholt. So gern ich Jenny wiedersähe, ich hoffe dennoch, daß sie’s nicht sein wird, daß sie dem Gräfin gekündigt hat.

23.56 Uhr:
[Paris, rue ***.]Angekommen, und die drei Sternchen sollen, Leser, nichts mystifizieren. Aber wir kamen so spät hier an, also ich wurde so spät hierhergebracht, daß ich den Straßennamen einfach noch nicht weiß. Aber ich bin rive droite, das konnte ich sehen, wir fuhren da auch eine Zeit seitlich der Seine entlang; komisch war freilich, daß mich die Strecke an den Hudson erinnerte, uptown NY. Aber ich hatte auch schon einiges getrunken. Es war direkt nach meiner Ankunft nicht nach Paris hinein, sondern erst landwärts gegangen; „ein Schloß” wäre zuviel gesagt, aber ein Anwesen war es halt doch. Große Tafel, ziemlich viele Leute, denen ich die Hand schütteln sollte, woraufhin mein spärliches Französisch, das vor Zeiten einmal leidlich gewesen ist, gänzlich in die Knie ging. Also entschloß ich mich, den schweigsamen Künstler zu geben, was dieses mir liegt, aber jenes eigentlich nicht. Immerhin gab es exemplarisch schöne Frauen. Der Gastgeber selber erschien nicht, sondern ließ sich vertreten. Wenn man, was heute abend geschehen ist, grob ausdrücken will, dann hat man mich abgefüllt und eben erst danach hier hingefahren. Nicht Edith, ich meine: Jenny, sondern diesmal ein Mann um die vierzig, locker gekleidet, Stoppelhaarschnitt, eine ebenso riesige Rolex wie Nase, Dreitagebart und Westernstiefel. Als ich nach Jenny fragte, gab er vor, nicht zu wissen, wen ich meinte.
Drei Zimmer diesmal, eine Art Suite, graue Stahlstühle, so auch der Tisch, der mitten im Raum steht. In der Ferne ahne ich den Fluß. Sehr großes Bett und, das gefällt mir so sehr, daß ich sie gleich nutzen werde, eine Badewanne, die geformt ist wie ein riesiges Ei; man kann da bequem zu fünft rein. Derzeit läuft das Wasser ein. Es, also das Ei, besteht aus einem onyxschwarzen Stein, wie auch die Ablage unter der Spiegelfläche, wie auch das Waschbecken, das auch schon, für sich genommen, eine Wanne heißen könnte. Der Boden im Bad ist ebenfalls schwarz. Ansonsten überall Parkett, sogar in der Küche, die einen Herd mit sechs Flammen hat; für jemanden, der so gerne kocht wie ich, ein Traum. Zwei der Flammen sind Elektroplatten, die anderen für Gas.
Ein bißchen verloren komme ich mir, gebe ich zu, schon vor. Ich möge mich für morgen mittag zwei Uhr bereithalten. Ob ich Geld brauchte? Einen Markt, für meine Bedürfnisse, gebe es drei Straßen weiter. Bedürfnisse fand ich einen seltsamen Ausdruck. Aber das sprach er und ging, mein Begleiter. Ich sah ihn sich in seinen Oldtimer setzen und in die drückend warme Nacht davonfahren.

0.29 Uhr:
Es gibt hier einen Bademantel, der das erste Kleidungsstück meines Lebens ist, das mir das Gefühl vermittelt, jetzt v ö l l i g nackt zu sein. Und, ah ja! das vergaß ich eben zu erzählen: auf dem Tisch steht ein Rotwein, der „Marquis d’Alban” heißt, so daß, hätt ich nicht schon den Adel von Geburt, ich denken müßte, man wolle mich adeln.

4 thoughts on “Das Arbeitsjournal des 29 Junis 2010. Von Berlin aus, dann zum Flughafen und aus Paris. Mit einer poetologischen Bemerkung zu Aléa Torik und einem Hinweis auf Raymond Prunier.

  1. miles & more nice, vom “flieger” zu lesen. hat sich der POP auch hier eingeschlichen. diadorim, mädel, waren das zeiten, immerhin war sie mal anderer meinung und wurde geduldet — eine zeit lang.

    1. @lobster Was ist an “Flieger” Pop? Sie haben eine innere Ideologie, für die Sie nichts können. Ich nehme Ihnen das gar nicht übel. Allerdings die Bemerkung zu diadorim ist schlichtweg unverschämt und zeugt von Unfähigkeit, die Zusammenhänge zu erkennen. Meine Wertschätzung für diadorim ist nach wie vor hoch; daß sie hier nicht mehr schreibt, hat etwas damit zu tun, daß sie meine Arbeit ablehnt. So etwas kommt unter Kollegen, sogar wechselseitig, vor. Wenn Sie ein Restaurant führen, würden selbst Sie, sofern nicht Gras oder Hasch die Urteilsfähigkeit Ihrer Geschmacksnerven allzu ausgelaugt hat, einen Anorektiker nicht einmal für den Beikoch bestellen.

    2. also nochmal unter uns – das ist wieder ein lobster-simulant.
      irgendwie hab ich unter diesem nick ein pseudoblog aufgemacht und da sorge ich lieber selbst für meinen eigenen ärger, falls mal was dissentierendes anstehen sollte.
      falls.

      ansonsten bin ich mal gespannt wer sie hier endlich mal über cannabis aufklärt.
      ich werde es nicht tun, wenn sie mir so kommen.

      ansonsten eine schöne reise.

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