Vom Rückzug NÄMLICH Ein Vorrücken. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 23. Dezember 2010. A u c h eine Miszelle der Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens (131); diesmal zur Praxis. Sowie: Ursula Kleinhenz. Nachmittags der Trailer zur Romantik.


Man erinnert sich vielleicht, zum Mindesten unter meinen Freunden,
daß ich anfangs mit einigen dicken Irrtümern und Überschätzungen
und jedenfalls als Hoffender auf diese moderne Weit losgegangen bin.
Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, 370.

7.30 Uhr:
[Arbeiswohnung. Ruhe.]
Lange habe ich geschwiegen. Ein Rückzug war nötig, konzentrationshalber. Das Ergebnis können Sie >>>> am kommenden Sonntag hören. Allerdings müßte der Rückzug eigentlich ausgedehnt werden. Weshalb? Weil die anstehende Arbeit sich nicht teilen lassen mag, nicht jedenfalls unter dem Druck der Erscheinungstermine. Weil es auch die L u s t profaniert, wenn wir während des Liebesaktes, wie nebenbei auch immer, Strategien des Alltags bedenken, mit Freunden Telefonate führen oder – sogar! – Gedichte schreiben. Multitasking, zwar, ist ein Kernprozeß jeder Arbeit im kybernetischen Raum, dennoch verteilt es und nimmt also hier etwas weg und dort, „diversifiziert”, wie das im Börsenreden heißt; es läßt sich letztlich aufs „Eine” nicht ein, sondern will sich durch Risikostreuung versichern. Nichts, in der Kunst wie im Lieben, schadet dem Lieben so sehr und der Kunst. Beides will und verlangt uns g a n z.
Dies war, und ist noch, das eine. Das zweite ist >>>> ein wiedergewonnenes Gefühl der Freiheit, die nicht so sehr (aber auch) eine des persönlichen Lebens als vielmehr eine der ästhetischen Entscheidungen ist. Denn alles, führt jemand ein Literarisches Weblog mit meiner Intensität, hat einen Geruch von Rechtfertigung; daß ich sie selten bekam in den vergangenen sechs/sieben Jahren, steht auf einem eigenen Blatt: vielleicht daß der Geruch, h ä t t e ich sie angemessen umfassend bekommen, wäre sogar stärker gewesen, raumfüllend wie falsche Zimmerdüfte sind, die schließlich in jedem Jackett hängenbleiben, das man neu aus dem Schrank nimmt. Dennoch Rechtfertigung, Erklärung, fast zwanghaft, wenigstens Werbung. Das stößt dem Stolz vor die Stirn. Es hat etwas von eben jener Sozialiät, die künstlerisch streng zu vermeiden ist, wenn man ein Eigenes will. Jederlei Community ist voll von jener Kuhstallwärme, die Th. Manns kunstautonome Arroganz an Wagners Walküre trefflich monierte; die Aggressivität indes, mit der Die Dschungel ihr und ihren Lesern den Contrepart zu garantieren meinten und, bedingt, auch weiterhin meinen, kostet wiederum eine Kraft, die von der künstlerischen Arbeit abzieht – und zwar auch dann, wenn diese einen Gutteil ihrer gestischen, nämlich politisch agitativen Bedeutung aus ihr herauszieht.
Also der Rückzug, der aber nicht etwa ruhte, um auszuharren und sich zu erholen, sondern der unentwegt grub: Stollen unter der Frontlinie durch und voran. Daß ich hier kriegerische Termini verwende, gehört zur Positionierung. Auch sie, aber, wird in einem täglich geführten Literarischen Weblog schnell statuarisch, behauptet, auch wenn man ihr tatsächlich folgt. Sie verkommt als Character zum Typos, ist zumindest in der Gefahr. Das entzieht ihr, so manifest sie auch sei, Lebendigkeit. Ich war des, als so läßt sich das mit einigem Recht bezeichnen, Schemas müde geworden, das einem jeden Arbeitstag den Formanfang gab. Dem gegenüber, selbstverständlich, steht die Absicht, das Internet zum Medium einer genuin künstlerischen Arbeit zu machen, weiterhin so unverändert wie unverletzt da. Doch um sich – und sie! – zu erhalten, ist ein freies Schwingen zwischen den Polen nötig. Es ist mir bewußt, daß dies, würden Politiker sagen, „Stimmen kostet”. Das hat mir aber egal zu sein. Auch dies war etwas, das mich der Rückzug wiederlehrte. Auf „Stimmen”, nämlich Zugriffszahlen, zu achten, unterscheidet sich nicht vom Korruptsein jener vielen Autoren, die ihre Bücher auf Käuferzahlen fokussieren und deshalb besser nicht sagen, was zu sagen ist, sondern sich moderat in den Zeitgeist bequemen. Wer an den Markt denkt, verliert die künstlerische Autonomie. Daß man ihn dafür, doch auch nur sehr bisweilen, gut bezahlt, gehört zum System.

Was ist zu tun?
Zuerst einmal, heute morgen noch, ist ein „Teaser” für das Hörstück zu montieren und bis zehn Uhr an den WDR zu schicken. Eine Frage nur noch, jetzt, meiner Handgelenkigkeit. Dann folgt das Weihnachten, also auch etwas Ruhe für mal wieder den einen und/oder anderen Dschungeltext. Gleich danach aber geht es wieder an die Endfassung der >>>> BAMBERGER ELEGIEN, die ich bis zum Januar an sich habe druckfertig haben wollen. Denn dann muß das Kinderbuch geschrieben werden; der Vertrag ist unterdessen unter Dach und Fach. Endlich. Es war ein ziemliches Geschiebe und Gezerr, aus administrativen Gründen, die der Verlag durchzuirren hatte. Und >>>> DIE FENSTER VON SAINTE CHAPELLE müssen noch einmal grundsätzlich umgeschrieben werden; die Übertragung der Netz- auf die Buchform sei, schrieb ein stets genau lektorierender Freund, noch nicht gelungen. – Auch dies ist bis zum Februar zu tun. Für den März dann steht ein abernächstes Hörstück an, und danach wird endlich >>>> ARGO wieder aufgenommen, damit der dritte Anderswelt-Band auch wirklich im Herbst 2012 erscheinen kann.
Hinzu kommen kleinere Arbeiten sowie Seminare, die zu geben sind, und eine Vorlesungsreihe in Heidelberg, die derzeit geplant wird. Schon jetzt wieder ist das mehr Arbeit, als ein Jahr sie gewöhnlich erträgt. Die Essays außerdem im Herbst 2011, sowie zugleich die Buch- und ebook-Ausgabe der Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens. Und weil wir (:pluralis maiestatis) zugleich gern leben, also in Frauen, und auch d a s intensiv, werden wir serengetische Reisen bestehen, Abenteuer des Geschlechts, die, das hoffen wir, manches Arbeitsjournal in Journale eben des Abenteuers dann auch verwandelt. Da wir zudem leidenschaftlich Vater sind, ist es unabdingbar, nicht als Schreibtischhocker unser Leben an die Lettern zu verschenken, sondern die Risiken auch durch- und vorzuleben, an die wir als an vitale Fortunen so glauben. Dies sind wir U. zudem, die unterdessen starb, verpflichtet. Wir sahen sie, mein Sohn und ich, zwei Tage vor ihrer nur sehr kurzen Verwirrung; da gab es noch glückliche Momente, die von unmittelbaren Fällen in den schon nicht mehr diesseitigen Schlaf hinabgezogen wurden. Die Demütigung eines bewußtseinslosen Siechens ist der so lebendigen Freundin nicht zugemutet worden. Nach fünfundvierzig Jahren, fünf Monaten und vierundzwanzig Tagen, am 9. Dezember dieses Jahres, ging diese Frau. Sie wird auf See bestattet werden.
10.43 Uhr:
So, der Teaser fürs >>>> Hörstück ist fertig und auch soeben an den WDR geschickt, als mp3; eine bessere Auflösung für das Internet-Take wird eh nicht genommen. Immerhin, 320er. Sowie ich vom Sender das Okay hab, mach ich Ihnen den Link auf das Stückerl bekannt. Bis dahin wird rasiert und geduscht und um 13 Uhr drüben der Weihnachtsbaum aufgestellt.

15.48 Uhr:
Hier jetzt der Link auf den >>>> Trailer beim WDR, welcher freundlicherweise auf Die Dschungel zurückgelinkt hat. Sie finden den Trailer ganz unten auf der Site.

Zwischendurch meinem Sohn ein Geschenk besorgt, das ich hier selbstverständlich nicht verraten werde: Freund liest mit wie Feind. Und der Weihnachtsbaum steht. Jetzt eine Stunde schlafen, danach geht es zum weihnachtlichen Champager-Empfang bei meiner barbarischen Impresaria >>>> Stang.

2 thoughts on “Vom Rückzug NÄMLICH Ein Vorrücken. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 23. Dezember 2010. A u c h eine Miszelle der Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens (131); diesmal zur Praxis. Sowie: Ursula Kleinhenz. Nachmittags der Trailer zur Romantik.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .