Als Nanny-Ich: Arbeitsjournal. Donnerstag, der 6. Januar 2011. Krankes Kind und weiterschreiben, auswärts. Mit einer Erinnerung an erste Schritte: Klagenfurt 1983 – Die Erschießung des Ministers im Bluten der Goetzstirn. Und In furore, Laudate Pueri danach.

9 Uhr:
[Am Terrarium. Weinberg, Vierte Kammersinfonie.]
Um eins ins Bett, um halb fünf auf. Nachdem mir immer noch >>>> das da durch den Kopf gegangen war, seit knapp nach fünf direkt mit dem Jungenroman weitergemacht; ich wollte das Arbeitsjournal nicht davorschieben, weil der Roman so frisch weiterlief, vor allem, nachdem gestern nacht noch der Profi auf den Prenzlauer Berg kam, für ein Bier im >>>> Soupanova, das zu einer meiner liebsten Kneipen in Berlin geworden ist. Auch das >>>> Beaker’s mag ich, zumal man dort meine Post annimmt, wenn ich abwesend bin, aber man darf da halt nicht rauchen, und ich sitz gern drinnen zwischen den Leuten, vor allem am späten Abend, schweigend, beobachtend oder neben dem Freund und rauche meinen Cigarillo zum Bier. Außerdem verkehren im Soupanova ausgesprochen schöne Frauen. Das Kulturprogramm tut ein übriges, auch wenn ich’s leider noch nicht hinbekommen habe, dort auch mal selbst eine Lesung zu geben. Wahnsinnig gern trüge ich hier >>>> die AEOLIA vor.
Gut. Wir saßen also. Der Profi ist eminent neugierig auf den Jungenroman, wir beplauderten Wendungen, Absichten; Moral spielt eine große Rolle, Provokation tritt ebenso in den Hintergrund wie das ästhetische Experiment. Imgrund wende ich jetzt auf eine formal ganz zurückgetetene Weise meine Poetologie an, fülle sie aus, ohne in Neuland vorstoßen zu wollen oder gar zu müssen. Diese Arbeit hat deshalb etwas unangestrengt Freies, das ich sehr genieße.
Dann ein Anruf vom Terrarium: das Zwilligsmäderl sei über nacht krank geworden, habe sich schon zweimal erbrochen; sie aber, die Mama, müsse heute abeiten und also aus dem Haus. Ob ich die Kleine mit zu mir nehmen könne über den Tag? Selbstverständlich. Aber sei es nicht besser, wenn’s ihr so schlecht geht, daß sie im vertrauten Bereich bleibt, wo sie auch ihr Spielzeug, die Kuscheltiere und ihre neue Babypuppe habe? Usw.; ich säße eh am Roman, den könne ich auch am Terrarium weiterschreiben.
Also mein Zeug zusammengepackt, vor allem auch die von M. reparierte mobile Festplatte mit der Musik. Erfindungszeiten sind immer Zeiten intensivesten Musikhörens; in Überarbeitungsphasen verbietet sich das nahezu völlig. – Den Papier-Ausdruck der Elegien habe ich auf heute abend verschoben. Statt dessen werde ich, so lang es geht, nur an dem Jungenroman arbeiten. Mittags freilich muß ich schnell mal in die Arbeitswohnung, um Kohlen nachzulegen; geht mir der Kachelofen aus, dann braucht es immer an die zwölf Stunden, bevor er wieder richtig durchheizt. Auf den Straßen herrscht das Blitzeis; so war das schon gestern nacht. Am besten, eigentlich nur, kommt man auf den Fahrwegen voran. Überall stürzen die Leute.

Schön, wie sich mir die Figuren immer deutlicher konturieren. Schließlich geht man mit ihnen um, als wären es wirkliche Menschen: sehr sehr junge Freunde. Wenn man so weit ist, dann laufen die Geschehen imgrunde von selbst.

Im Netz bin ich wieder mal übern vodafone-Stick.

Ach ja. Wie man alt wird. Die wunderschöne >>>> Shalini hat mir das hier geschickt (in Teil 1, übrigens, sieht man Rainald Goetz bluten):

16.40 Uhr:
Immer noch am Terrarium. Es macht mir eine solche Lust, wie gut dieses Buch jetzt läuft. Ich sagte vorhin zur Löwin nach Wien: „Wenn ich so weiterschreiben könnte, wäre das ganze Buch spätestens Ende nächster Woche fertig.” Allerdings muß ich den Fluß ab Sonntag ein bißchen hemmen, weil wir uns in der Serengeti treffen wollen, einmal wieder, nach so langer Zeit, und es ist heiß da zur Zeit. Wird fein sein, der Kälte mal kurz zu entkommen, obwohl ich sie ja mag – mehr jedenfalls als DurchschnittsNieselGewetter. Außerdem muß (und will) ich am nächsten Mittwoch in Heidelberg zu dem letzten Realseminar meiner bisherigen Heidelberger Lehraufträge sein. Vielleicht werden wir da etwas feiern.

Gleich wieder an den Jungenroman. Bis die Mama meines Zwillingsmäderls von der Arbeit kommt, das soeben erst aus unserem gemeinsamen Mittagsschlaf erwacht. Und knatschig ist, wie immer, wenn sie der Schlaf verläßt. Wir haben uns ihm gemeinsam ergeben, nachdem wir mit meinem Jungen, als er aus der Schule direkt hierhergekommen war. Welch ein Glück das ist, wieder des Mädelchens Kopf auf meiner Brust gehabt zu haben, dieses Lächeln zu sehen, das sich vertraut und vertraulich in mich hineinkuschelt, mit dem Rücken eines Zeigefingers über ihren schönen Nasensteg zu streichen und in ihrem davon ganz besonderen Lächeln einzuschlafen. Dann, eine Stunde später, leise, aufgestanden. Ins Bad. Rasiert. Geduscht. Geölt. Angezogen. An den Schreibtisch.

[Vivaldi: In furore, Laudate Pueri.]

20.14 Uhr:
[Arbeitswohnung. >>>> Pettersson-Requiem.]
Wieder am eigenen Schreibtisch. Aber bevor ich Am Terrarium verließ, hab ich लक्ष्मी noch, als sie vom Jobben heimgekommen war, etwas aus dem Jungenroman vorgelesen. Anders als viele mir bekannte Autoren mach ich das sehr gerne direkt in den Arbeitsphasen, weil ich dadurch eine Übersicht bekomme und schon einmal Wirkungen einschätzen kann. Heiter war dann, daß mich der Profi anrief und fragte, weshalb ich denn diesen Klagenfurtfilm eingestellt hätte – er hat mich tatsächlich nicht erkannt. Auch लक्ष्मी wirkte irritiert von diesem jungen arroganten Mann.
Jetzt formatiere ich gerade das Pettersson-Requiem für einen Redakteur des WDR, der nach meiner Anfrage Interesse bekundet hat, um ihm das Stück über die Dropbox schon mal zu schicken; aber auch der hr, erzählte mir am Telefon Leukert, überlegt… – Seltsam, dieses Stück wiederzuhören… wie viel Zeit ich mir damals ließ!

„Eine Musik, die den gebrochenen Flügel allein durch den Klang heilt.”
Pettersson-Requiem.

In anderthalb Stunden treff ich >>>> Schlinkert und >>>> Brossmann im Soupanova. Prima. Überhaupt, dieser Jahresbeginn ist geradezu extrem prima. Man soll aber ja nix beschwören. Gut, daß ich nicht abergläubisch bin.

2 thoughts on “Als Nanny-Ich: Arbeitsjournal. Donnerstag, der 6. Januar 2011. Krankes Kind und weiterschreiben, auswärts. Mit einer Erinnerung an erste Schritte: Klagenfurt 1983 – Die Erschießung des Ministers im Bluten der Goetzstirn. Und In furore, Laudate Pueri danach.

  1. Wundern Sie sich nicht, lieber ANH, Sie sind dort in der Tat nur zu erkennen, wenn man um Ihr Beteiligtsein weiß! Aber wir waren ja alle mal jung und – irgendwie anders. Gruselig finde ich nicht nur die Kleidung, die Schuhe und die Frisuren aller Beteiligten, sondern auch, daß Walter Jens zu Beginn des Videos sagt “Jemand ist nicht er selbst, aber auch nicht ein anderer …” (Man höre selbst).

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