Goldberg-Journal: einem Kind, dem elend ist. Montag, der 17. Januar 2011. Über Cliffhanger, sowie Homer in mir.

8.08 Uhr:
[Arbeitswohnung. Bach, Goldberg-Variationen (Gould 1981).]
Die späte seiner beiden Aufnahmen, die er eingespielt hat kaum ein Jahr vor seinem Tod. Er gab da schon lange keine Konzerte mehr.
Ich habe verschlafen, bin erst Viertel vor sieben hoch. Um sieben die Löwin geweckt, dann sofort, nachdem der Latte macchiato bereitet war, an den Jungenroman. Kurz noch vorher die Musik rausgesucht, die mich heute begleiten sollte: noch einmal Gurlitt, Soldaten und Wozzeck gleich hintereinander. Da geht das Telefon. „Papa, ich bin gleich an deiner Tür. Mir ist so schlecht.” Die ganze Nacht sei ihm übel gewesen, erzählt er, und er habe solche Kopfschmerzen. Er habe kaum schlafen können. Aber auf dem Schulweg sei der Kopfschmerz dann richtig stark geworden.
Mein Couchlager war noch offen. So konnte sich der Junge, nachdem die Jeans unten war, gleich da hineinlegen.
„Möchtest du einen Tee?”
„Oh ja, bitte.”
Das Hundchen, das er neulich vor meiner Haustür gefunden hat und das bislang, trotz mehrfacher Aushänge an den Haustüren, niemand abgeholt hat, hab ich ihm in den Arm gelegt. Ich selbst reagierte früher so, wenn ich Schulangst hatte. Aber darüber möchte ich erst nachher mit ihm sprechen; jetzt soll er erstmal noch ein wenig schlafen und es gutwerden. Deshalb auch Goldberg, jene Variationen, die Bach zur Milderung eines Elendseins schrieb. Sie heilen immer. Wenn man ihnen lauscht. Und ein Bub, dem nicht gut ist, tut das, weil er sich nicht ablenken kann. Ich habe ihm erzählt, aus welchem Anlaß Bach diese Musik geschrieben hat. Da lächelte der Bub.

So weiß ich jetzt nicht, wie der Tag verlaufen wird. An sich müßte ich dringend an den >>>> horen– Auftrag. Und vormittags den Jungenroman weiterschreiben; ich muß derzeit aufpassen, nicht aus der Kurve zu fliegen, bzw. die Kurve >>>> dieses jugendliterarischen Hoppenheimrings nicht enorm zu erweitern. Das erste Buch der Serie darf nicht zu lang werden. Immerhin geriet mir die nötige Wendung des Plots, an der ich so herumgestochert habe, heute morgen in die Finger. Außerdem habe ich soeben die Idee aufgegeben, das Buch – als Vorbereitung aufs zweite – mit einem Cliffhanger enden zu lassen. Sowas kann man bei einem zweiten oder dritten machen, wenn alle Figuren und Geschichten schon mit auch abschließenden Lustgewinnen eingeführt sind; für das Ende eines ersten Buches wäre das frustrierend. Man soll an den vier jungen Helden ja hängen, soll sie ins Herz schließen. Damit das geschieht, müssen sie Glück vermitteln.

Zweiter Latte macchiato. Morgencigarillo. Glenn Gould wurde nur fünfzig Jahre alt. Als er starb, weinte ich. Das war mitten auf der Frankfurter Buchmesse, ich werd das nie vergessen.

11.10 Uhr:
Soeben las ich, was eine Frau „oll” finde. Woraufhin ich ihr folgendes schrieb:


“metrosexuelle Glattrasiertheit” – wunderbar! (“Ent-zückend!” hätte der Reichsgraf zu Weißenstein ausgerufen, und dann wäre das Lachen, das auf der Welt kein zweites kennt, aus seinen Lungen heraufgeströmt, die momentan die meinen sind.)


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