Der letzte Tag vor der Augen-OP. Kritiken schreiben, Jungenroman. Das Arbeitsjournal des Sonntags, dem 17. April 2011.

9.55 Uhr:
[Arbeitswohnung. Mahler V.]
„Mit hat der Ullmann besser gefallen. Also der Mahler macht tolle Musik, aber ich finde, bei ihm spielen die Instrumente zu sehr auseinander”, sagte der Junge dann nachts in der Bar, als wir über >>>> das gerade gehörte Konzert sprachen. Ich dachte: das wäre mir früher, in seinem Alter, auch so gegangen, hätte man mich an solche Musik herangeführt. Was mein Sohn da indirekt kritisiert, ist eben eine der Stärken Mahlers: die erwünschte harmonische Tönigkeit immer wieder zerfallen zu lassen, um sie freilich bisweilen im Pathos zusammenzuführen oder in die schwebenden und ungefähren Naturlautklänge zu überführen. Imgrunde äußerte mein Sohn ein muikalisch naives, aber gut nachvollziehbares Pop-Bedürfnis.
Ich sprach selbstverständlich nicht dagegen an; das Verständnis fürs harmonisch Komplexe entwickelt sich, da hab ich gar keine Sorge; man muß nur immer wieder für „Futter” sorgen, als Vater, als Mutter, als sonstiger Mentor. Kommt der Wille hinzu zu „verstehen”, also das, was ich dem Kunstwillen als Rezeptionswillen nahezu gleichwertig an die Seite stelle, ist die Entwicklung gar nicht aufzuhalten. Mein Junge ist zudem noch Kind; ich vergesse das nicht, auch wenn ich dann nachts noch zu seiner Lust mit ihm >>>> in die Bar geradelt bin, wo er seinen riesigen Himbeercocktail (der Barkeeper: „extra groß!”) in Nullkommanix aussüffelte, ich meine Marguerita mit Salzrand, auf die ich mich unterdessen eingeschwungen hab; und danach die ganze Strecke mit dem Rad zurück, u.a. durch den knalledunklen Tiergarten („Bißchen gruslig ist das schon, Papa”) und durchs gelberleuchtete, strahlende Brandenburger Tor bis hoch auf den Prenzlauer Berg. Diesmal legten wir uns gleichzeitig schlafen.
Er schläft noch immer, wird aber wohl gleich für den Morgenkakao erwachen. Ich schnitt bislang Tondateien, besorgte mir noch Presets für den Equalizer, installierte ein neues Programm fürs Musikstudio und hörte noch einmal für die Kritik nach, die ich heute schreiben will und muß –
– ah, er ist wach…. Gut, eben noch mal Mahler V über die Lautsprecher geben (ich hab bislang mit Kopfhörern gehört), dann verstärken sich Kenntnis und Eindruck… dabei in die Küche für den Kakao…

23.15 Uhr:
Bis eben an dem Jungenroman gesessen. Durchgearbeitet. Rausgeschickt.
Nun geht es der OP entgegen. Gegen fünf morgen früh will ich aufstehn.

10 thoughts on “Der letzte Tag vor der Augen-OP. Kritiken schreiben, Jungenroman. Das Arbeitsjournal des Sonntags, dem 17. April 2011.

  1. Letzter Tag Ich gestatte mir, Ihnen für die Augen-OP alles Gute zu wünschen. Dass die Augen einmal nicht mehr mitmachen, das ist eine von meinen Horrorvorstellungen. Fördern Sie sie also bitte nicht. Kommen Sie einfach zurück und berichten Sie, dass alles gut gelaufen ist.

  2. Seitdem William Gibson die Zeiss Ikon – Augen erfunden und für immer in die Welt gesetzt hat, wollte ich auch welche haben. Bitte bestehen Sie aber auf der nicht verspiegelten Version, ja?
    Alles Gute für Morgen! Augen auf und durch! : )

  3. Eine Welt in bunten Farben und scharfen Bildern soll Dir erscheinen.
    Ich wünsche Dir alles Gute und einen komplikationslosen Verlauf.
    Und hinterher in den Hafen und von einer Barkasse das scharfe Hamburg anschauen.
    Herzlichst Dein
    Leander

  4. Ich denk an Sie, alles gute für die Augen-OP! In HH, ich dachte in Düsseldorf? Auf jeden Fall, wie sagt man, gute Sicht voraus?

    1. @Sowieso zu Hamburg. In einem der vorigen Arbeitsjournale (>>>> dem da) schrieb ich von einer kleinen Terminkonfusion, die sich für den Operateur und damit für mich ergab; da ich, wenn sich’s machen läßt, spontan reagiere, kam es der Ortsverlegung: – komisches Wort, also. Hamburg ist ja nicht verlegt worden, schon weil sonst der schöne Hafen ganz verwaist in Norddeutschland zurückgeblieben wäre. Was Bremen und Kiel nun fast schon jahrhundertelang nicht schafften, dazu waren auch meine Augen nicht imstande.

  5. Ich kann mir gar nichts anderes vorstellen, als dass alle Augen mit Wohlergehenswünschen auf Sie gerichtet sind, Herr Herbst, zumindest mehr oder weniger, was sich allerdings ausschließlich auf das ‘gerichtet sein’ bezieht!

  6. Technik, lieber ANH, von geübter Hand verantwortungsvoll in Szene gesetzt ist nichts, was Sorgen bereitet. Aber das wissen Sie ja. Von daher mache auch ich mir keine solchen und wünsche Ihnen alles Gute für die OP!

    1. @Schlinkert. Sofern sich zur Technik die Kunst begibt, die dem Chirurgen gewogen sein sollte. Nicht alle Menschen aber zahlen ihren Preis. Weil sie in solchen Fällen zickig ist und, ihres etwas zickigen Temperaments halber, auch nicht immer gerecht gegen die andern, jedenfalls wenn sie schlecht drauf ist, bleibt ein Risiko.
      Ich werde mich, um sie zu becircen, gut kleiden.

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