Arbeitsjournal. Von Paderborn nach Berlin. Dienstag, der 15. November 2011. Das nächste Krausserjournal Giacomo Puccinis – wohl mehr: seiner Frauen. Dann: In Berlin, sowie zur Eifersucht.

4.49 Uhr:
[Hotel Galerie >>>> Abdinghof.]
Um zehn nach halb fünf hoch, wird das eine asketische Früharbeit diesmal, zwar „nur“ die Lektüre (und ein bißchen einzustellende Zitaterei), aber gänzlich ohne Kaffee, geschweige denn den Latte macchiato. Unten, d.h. in der Küche, sei erst jemand um sechs; Frühstück gibt es ab sieben. Punkt sechs werd ich runtergehn und schon mal fragen, ob ich vielleicht. Undsoweiter. Das Taxi zum Bahnhof ist für zehn vor sieben bestellt; um 7.13 Uhr werde ich im Zug sitzen.
Puccinis >>>> Mösengesänge nach Krausser: das klingt, wenn ich es schreibe, obszön, ist es aber nicht. Vielmehr ist immer eine Bewegung des Schwärmens dabei, der Bewunderung, des Anbetens auch: sinnenfroh heidnisch imgrunde, wenn man nicht den Gedanken hat, es seien alledie Frauen für ihn Erscheinungen der Großen Göttin, nämlich Marias, in ihren partiellen Gestalten, dennoch ist’s, wenn er sie nimmt, immer mit dem leicht gönnerhaften Machismo des umschwärmten Maestros verbunden. Nur Sybil Seligmann, bislang, ist ihm über: Um die sexuelle Luft rauszulassen, schläft sie einmal mit ihm, klatscht danach in die Hände und sagt: „So. Da wir das jetzt abgehakt haben, kann unsere Freundschaft zum Wesentlichen übergehen.“ Da ist er baff und dreht es auch nicht mehr herum, jedenfalls nicht bis zur Seite 237, auf der ich nunmehr weiterlese. Die viereinhalb Stunden Zugfahrt eignen sich gut.
In Berlin angekommen, wird erst einmal der Kachelofen eingeheizt. Dann Mittagsschlaf gehalten. Dann das Typoskript für das Hörstück begonnen. Und Produktionstermine sind festzulegen.
Spätnachmittags, bzw. am frühen Abend wird die Löwin ankommen; vielleicht hole ich sie vom Flughafen ab; ob, das hängt davon ab, wann mein Junge in die Arbeitswohnung kommen wird, den ich nun lange, vier lange Tage fast, nicht sah.

Die >>>> Diskussion um Melancholia geht immer noch weiter; die persönlichen Haltungen, Wünsche, Glauben, Leidenschaften und Vorbehalte, sowie auch Ängste, haben begonnen, sich aus den Argumenten zu schälen. Worauf es mir nebenbei ankommt, ist, Geschichten, die ich anderswo begann, in den Kommentaren mitzuimplantieren, etwa so, wie in der >>>> Antwort, die ich gestern an Boris Kehrmann schrieb; dort etwa wird es zum Briefroman. Von so etwas brauchte es noch sehr viel mehr: „… bitte verzeihen Sie, daß ich Ihnen schwieg“.

12.25 Uhr:
<sub[Arbeitswohnung. Monteverdi, L‘incoronazione di Poppea.]
Worüber Krausser am 22. Mai 1992 unter (7) schreibt:In der Nacht wieder einmal „ L‘incoronazione di Poppea“ gehört, bis zum Exzeß. Orgiastische Orgie, moderner als jeder Pop (…).So etwas steckt an, jedenfalls mich.
Morgens im Dunkeln vor dem Hotelchen gestanden, eine Zigarette geraucht und das Taxi erwartet, das an der Müllabfuhr nicht vorbeikam. Gesonnen. Das Hörstück. Es wird jetzt konkret.
Latte macchiato, Cigarillo vorm Mittagsschlafen. Habe jetzt acht Krausser-Bücher, ‚am Stück‘ sozusagen, hintereinander weggelesen; noch immer aber hat Dumont geschickt. Man kann den Eindruck haben, so richtig interessiert sind die an diesem Autor nicht, weder Dumont noch Rowohlt. Sie verlegen ihn, er verkauft sich auch, aber laut soll das besser nicht werden. Man kann nur den Kopf schütteln. Als genierten sie sich seiner.. – Wobei, der Pucciniroman ging mir gegen Ende gegen den Geschmack. Zu privat. Aber nicht das Private störte mich, sondern der Beziehungsschmutz, den Krausser erzählt, ohne daß wirklich spürbar würde, wie die Themen seiner Erzählung in die Musik eingeflossen sind, mit Ausnahme vielleicht des großen Chio-Chio-Gesangs; da vermittelt Krausser eine Ahnung. Ansonsten: ich nahm mir schon heute früh, rauchend im Dunkeln vor den Lichtern von Fenstern, Laternen, den Spiegelungen im Teichbach (an dem bronzene Kinder im Rückern bronzener Wäscherinnen spielen), jede Form von Eifersucht, deren Impulse auch ich bisweilen – anfallsweise, aktiv sowohl wie passiv – zu spüren bekam, ein- für allemal aus mir herauszuziehen und von mir wegzubannen. Wir sind nicht dazu geboren, widerlich, sondern dazu, weiten Herzens zu sein. Alles, was kleinlich ist, muß fort.

Was immer, übrigens, mein Sohn mit seiner Freundin hier angestellt hat, es scheint hoch hergegangen zu sein: jedenfalls war das Bettzeug abgezogen und irgendwie, wie in Eile, verknautscht auf Couch und Stühlen verteilt. Ich kam nicht umhin, aus dem Kopfschütteln heraus zu grinsen – was mir erspart hat, mich zu ärgern. Nur ein „Och nee“ kam mir, als wäre jemand andres da, über die Lippen.
Gut, nachdem das wieder gerichtet ist, leg ich mich für meine Stunde hin. Ich warte nur noch die zweite Schallplattenseite der Poppea ab.

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