Antoine de Sainte-Exupéry. N a c h t f l u g.

Manchmal, nach hundert Kilometern Steppe,
unbehauster als das Meer, überflog er
eine verlorene Farm, die dann ihre Fracht
Menschenleben nach rückwärts durch die
Wogen der Prärie davonzutragen schien wie
eine Arche, die er grüßte mit den Flügeln.


Dieses Buch sei, schreibt André Gide, das Dokument eines männlichen Willens, und was ihm besonders an dieser leidenschaftlichen Erzählung gefalle, sei „das Adelige an ihr“ („c’est sa noblesse.“) Ich stutze, empfindlich, bei beidem – wie bei der Pflicht, die zur verklärten Hingabe an ein Größeres wird, als der immer Einzelne ist. Da er ja es ist, der lebt, nicht etwa lebt eine Art. Nicht die Kultur lebt – ohne den einzelnen Menschen wäre sie nicht, möchte ich rufen, eingedenk des Hitlers vor allem, der manchen Satz in diesem Buch eigenhändig unterstrichen hätte. Nun war aber Saint-Exupéry nicht Faschist, er wurde vielmehr im Kampf gegen den Faschismus abgeschossen, 1944, und ist seither vermißt, sicher tot. So daß ich mich frage, ob dies ein Opfer ist, daß es erlaubt, bestimmte Sachverhalte neu zu denken. Etwa, was Selbstaufgabe bedeute, was Opfer, eben, bedeute – eine Frage, die in dem Glaubenskrieg, der gegenwärtig schwärt zwischen Orient und Okzident wie zwischen Nord und Süd der Welt, von entscheidender Bedeutung ist. Wofür stehen wir ein – und wie weit wird dieses Eingeständnis durchgehalten, bis zu welchem, möglicherweise, individuellen Ende, das auf persönliches Glück verzichtet? Einen Lebenssinn haben… eben nicht haben, sondern, dies eine Botschaft des kleinen Romanes, der weit eher als das eine Novelle ist, sie erst schaffen und dann anzunehmen: Es müssen Menschen hinuntergestiegen sein in diesen dunklen Brunnen, und wenn man sie fragt: Was ist euch begegnet?, so müssen sie sagen können: Nichts. – … nur mit seinen beiden Schultern muß er das Unbekannte aus dem Wege drängen.

Immer wieder das Bild der Tempel, die vom Urwald rückerobert werden, Zeugen erloschener Kulturen, aber Zeugen d o c h und nie aus der Welt, sondern Spur geblieben. Die ohne den Willen zur Tat vergessen wie in Sandmeeren wären. Und b l i e b e n, eben, den Nachgeborenen nicht, sich auf eine Geschichte zu besinnen, die ihre Art gehabt. Was sie, als Erben, bereichert über jedes individuell mögliche Maß und die biologischen Organisationen in kulturelle verwandelt: im Gegenentwurf zum deterministisch Kausalen ihrer Materialität Geist und Vergeistigung schaffend – Münchhauseniade, gewiß, doch sie erstrahlt, auch wenn ihr letzter Steinmetz schon tausend Jahre vorher gestorben. Davon ist nichts bei der besorgten Frau, die mit vollem Recht nach ihrem Fliegergatten fragt, der des Todes schon geweiht ist. Was sie nicht weiß.

Sie forderte ihr Wohlergehen, und
sie hatte recht. Und auch er, Rivière, hatte recht,
aber er vermochte dem, was für diese Frau Geltung
hatte, nichts entgegenzusetzen. Seine Wahrheit
schien ihm unmenschlich (zu sein) und nicht in
Worte zu fassen angesichts dieses kleinen häuslichen
Glücksanspruchs.
Doch findet er die Worte: so tastend wie doch dem ersten Hinblick hart. Das reicht bis in notwendige Ungerechtigkeiten, die er wissentlich, gleichsam als Herrscher, begeht: Er wollte sie nicht knechten durch diese Härte, sondern sie über sich selbst hinauszwingen. Wenn er jede Verspätung so rücksichtslos bestrafte, beging er zwar eine Ungerechtigkeit, aber er richtete dadurch den Willen jeder Station auf den Start – s c h u f diesen Willen überhaupt erst. Was eine tiefe Verantwortlichkeit begründet und die Notwendigkeit großer Distanz; er darf sich, das wird Gide mit dem Aristokratischen meinen, nichts durchgehen lassen, nicht eine kleine Schwäche, sondern muß sich mit sich selbst ins Reine bringen. Niemand ist, ihm die Hand aufzulegen.
Wogegen eben einzuwenden ist, daß ja nicht e r stirbt, nicht er ist das Opfer; er sucht es vielmehr aus und schickt es einsam hinein. Doch diese Einsamen sind voll von entschlossener Tat. „Dieser Tropf, Rivière, der mich für… der sich einbildet, ich hätte Angst!“ – Es gäbe ohne solche Menschen weder Soldaten noch Feuerwehrleute. Und es gäbe die Kunst nicht, nur Ameisenhaufen, von denen wir wissen, daß ja auch sie nicht friedlich sind –

Der Führer der Völker von einst – wenn er auch
vielleicht kein Mitleid hatte mit dem Leiden
der Menschen, so hatte er doch unendliches
Mitleid mit seinem Tode. Nicht mit dem Tode
des Einzelnen, aber Mitleid mit der Gattung und
ihrem Dahinschwinden in einem Meer von Sand.
Und so ließ er sie wenigstens Steine aufrichten,
die die Wüste nicht verschlingen könnte.
Dies ist eine Erzählung aus den Pionierzeiten des Fliegens. Man hätte einigen Grund, sie dem Futurismo zuzurechnen, meldete sich nicht permanent die moralische Instanz, die gegen den Naturlauf den Willen zur Gestaltung setzt: nicht Ergebenheit in Schicksal, sondern, letztlich, ein Aufbegehren, das sich nicht abfinden will, sondern permanent urbar macht und weiß, daß dies nur, wie immer nur bedingt, begrenzt, möglich durch Anstrengung ist, eine innere wie äußere Leistung, der Körper wie der Seelen, und kollektiv insofern, als da jemand führt. Denn das Gros spaziert um den Musikpavillon, um sich zu vergnügen. Das ist auch sein Recht. Ist es nicht erstes Gesetz, solches Glück zu behüten? – Und dennoch: eines Tages, unvermeidlich, schwinden diese goldenen Glücksbereiche ohnedies dahin wie Luftspiegelungen. Alter und Tod zerstören sie unbarmherzioger als ich. Vielleicht gibt es etwas anderes, Dauerhafteres, das es zu bewahren gilt? Vielleicht ist es d i e s e s Teil des Menschen, um dessentwillen ich arbeite? Andernfalls ist die Arbeit nicht gerechtfertigt.


Das Schweigen gewinnt Raum.
Breitet sich immer weiter und schwerer
aus, wie ein Meer.

Und während unten in Buenos Aires Rivière seinen kulturellen, eigenmenschlichen wie ideologischen Kampf kämpft, ist Fabien, der Pilot, mit seiner Maschine über den Zyklon hinausgestiegen, den Sternen zu, die ihn und seinen Funker in einer halben Stunde fallenlassen werden, um sie am Boden zu zerschellen. Von enormer, sinnlichster Eindringlichkeit sind die Passagen nun, wo die beiden Männer allein mit der rührlosen Welt sind, dem All über und dem Sturmgewitter unter ihnen. Für nur noch eine halbe Stunde ist die Maschine betankt.

Sie irrten unter Sternen umher, dichtgehäuft ringsum
wie ein Schatz, in einer Welt, wo nichts, absolut nichts war außer
ihm, Fabien, und seinem Gefährten. Gleich jenen Dieben im
Märchen, die in die Schatzkammer eingemauert sind, aus der
sie nicht wieder herauskommen werden. Unter eisfunkelndem
Geschmeide irren sie umher, unermeßlich reich,
doch zum Tode verurteilt.

Antoine de Saint-Exupéry
Nachtflug (Vol de Nuit>, 1930
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