Arbeitsjournal. Sonntag, der 15. April 2012.

10.30 Uhr:
[Arbeitsjournal. Glockenläuten durchs Oberlicht.]
(Der Tag, nachdem die Kindlein wegwaren, ist mir völlig entglitten.)tippte ich eben ins DTs von gestern.
So war das. Mal wieder, noch vormittags, ein Testosteronanfall, den das Netz zu befriedigen nicht vermochte; ja es zögerte ihn fies hinaus bis zur Nacht. Endloses Surfen, Filmchen, keine Konzentration. Dann noch ein Spielfilm, so daß ich erst um eins ins Bett kam. Nix gelesen, nix getan. Vielleicht muß ich mir mit sowas die Arbeitsdisziplin von Zeit zu Zeit vom Leib bezahlen. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre nach irgendwo hinausgefahren bei diesem schönen Wetter. Das sind nur zwei Vielleichts ich kenne mehr. Anderthalb Flaschen Wein, außerdem, was entschieden zu viel für einen Abend ist, auch wenn er über die Geisterstunde hinausreicht. Da ich die Weine mischte, erst sehr guten aus Saale/Unstrut, dann den „normalen“ Soave, Kopfschmerzen früh. Trotzdem hoch, zwar nicht um halb fünf, aber doch um zehn vor fünf; so saß ich um zwanzig nach fünf mit Argo am Schreibtisch. Trotz kleinkatriger Lädierung sehr gut gearbeitet, spätestens seit sechs sehr gut; an einer einzigen Seite prokelte ich anderthalb Stunden rum, nicht mal an der Seite, sondern an einer bestimmten Stelle. Dann merkte ich, daß eine Zeitabfolge nicht genau erzählt war; vielleicht war ich auch insgesamt, als ich sie damals schrieb („damals“: vor fünfsechs Jahren…) nicht ganz hell im Kopf, das kann schon alles sein. Oder ich wollte erstmal weiterschreiben und das Problemchen später angehen, das mir nun den Morgen verzuckersirupt hat.
Ist aber jetzt erledigt, und die Sache stimmt.
Dann drei Sätze, die mir unversehens beiflogen, so Wahrheitssätze, die gar nicht von einem selbst stammen, sondern in einen reinwehen, und dann muß man sich stellen.
Bis zehn durchgearbeitet, viereinhalb Stunden also; gekommen bis Argo TS 417 oben. Das is‘ ‘ne Menge Holz. Dann gefrühstückt, der Shaker schoß mir Milch und Erdbeeren um die Ohren, weil sich ein Dichtungsring gelöst hatte und mit den Messern amalgamierte. Mordsschweinerei, sag ich Ihnen. Harten würzigen, fast scharfen Schweizer Käse, dazu ein schlammweicher Epoisse. Und diese Milch, die ich sozusagen aus den Ecken meiner Küche schleckte, von meinen Ärmeln, vom Hackbrett, von der Wurst. Jetzt das Arbeitsjournal, dann weiter der Galouye. Ein DTs faß ich erst abends, bilanzierend, zusammen; wär mir sonst zuviel Zeitaufwand. Man >>>> hält mich für verrückt, gern pflichte ich dem bei.
Zu einem gesonderten Textauszug für Die Dschungel komme ich heute wahrscheinlich nicht. Das Cello, in einer dreiviertel Stunde, hat Vorrang. Auch das Instrument ließ ich gestern schleppen, wobei wir zwar Duos spielten, mein Junge und ich, aber da war so ein Brief von seiner Schule, der mich rein fuchsig machte. Seit drei Wochen trägt er ihn mit sich herum. Ich stell mich immer auf seine Seite, aber um das taktisch klug tun zu können, muß ich informiert sein. Hast Du das verstanden, Junior?
Grrr.
Jedenfalls verpaßte ich jeden dritten Einsatz, verspielte mich, spielte unsauber, es war kein Vergnügen. Erst das vorletzte Stück flutschte. Liegt aber auch an dem neuen Instrument, das gnadenlos genau klingt, so daß man gnadenlos genau streichen muß.

So. Einstellen. Weiter.

21.30 Uhr:
Jetzt zweieinhalb Stunden noch Döblins Wallenstein weiterlesen.

Habe sehr gut gearbeitet heute, nicht nur Argo morgens, sondern auch das Hörstück vorangetrieben und eine nächste der drei, höchsten vier Formideen entwickeln, sowie die anderen ausgeführt, die so ein Hörstück braucht, um mit Recht als ein poetisches zu gelten. Jetzt dauert es nicht mehr lange, bis ich ein gutes Typoskript erstellen kann, das lediglich noch dramaturgisch modifiziert, im jetzigen Fall sehr wahrscheinlich auch gekürzt werden muß und in das dann die O-Ton- und Musikvorgaben einzubauen sind. Spätestens am Ende dieser Woche werde ich damit fertig sein.
Jetzt ein Glas Wein. (Weil es sich reimt).

Mein Junge ist hier, kam gegen fünf für sein Cello und um mir für meines den Unterricht zu geben, dann spielten wir unsere Duos – wird Zeit, daß wir uns nächste erarbeiten -, und er holte eine Schulaufgabe nach, derweil ich das Abendessen bereitete: eine Pizza für ihn, in Kräuterbutter gebackene Weinbergschnecken für mich, Salami, Käse, Früchte für uns beide.

So wurde es Zeit, zur Ruhe zu gehen; derweil er im Bad war, schlug ich sein Vulkanlager auf.
„Liest du mir heute wieder vor?“
Quiquern von Kipling, aus dem Zweiten Dschungelbuch. Grandiose Erzählung. Über Cornelia Funkes „Tintenherz“, derzeit Schullektüre der Klasse, klagte mein Sohn: so langatmig. Bei Kipling hingegen, der ebenfalls >>>> beschreibend erzählt, klagt er nicht einen Moment. „Das ist ganz anders, Papa, das ist einfach immer gleich vor den Augen. Als stünde es vor mir.“ Der Unterschied zwischen herbeierklärt und erzählt, denke ich mir; der Junge spürt, was poetische Prosa ist, vielleicht schon genau; was Dichtung ist und was eben „nur“ ein Roman.
Ich lese Quiquern weiter aus der wunderschönen alten Ausgabe vor, die mir die Löwin geschenkt hat.

Eine halbe Stunde lang telefonierte ich heute mit ihr, die meinem gestrigen Entgleisen das Abtestat stellte, ohne daß ich auch nur eine Kerze spenden sollte. „Du bist auch Mann; der Körper protestiert, wenn er nur immer arbeiten soll, nur mit dem Geist.“ Mir wächst grad ein Bart, nur, weil ich keine Lust habe, mich zu rasieren. Das Ding muß wieder ab, sonst wirke ich am Ende seriös. Dem ist zu wehren.

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