In den Kammern eines verschachtelten Schlafs beginnt das Arbeitsjournal des Freitags, dem 25. Mai 2012. Und geht mit etwas vom Eise weiter, das hinweg bei diesen Temperaturen. ANH als Drama Queen.


Argo-TS 586.
7.41 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Die Situation macht mir schon etwas Angst, >>>> mein Arbeitszentrum zu gefährden; andererseits geht es nicht anders: ich beuge mich nicht. Nie. Es wäre ein Verlust an Selbstachtung sonst. Aber wie tief sie reicht, bekam ich gestern nacht zu spüren; ich dachte: nachts, hatte in Wahrheit kaum eine Stunde geschlafen und sehr wild geträumt, schachtelgeträumt, sollte meine Wohnung verlassen, der Prozeß war geführt, alles ziemlich irrsinnig, als mitten in meinem Heimatverlust das Telefon schellte. Ich dachte sofort: die Löwin – und versuchte, das Gespräch anzunehmen, fand aber den richtigen Button am Telefon nicht, erkannte auch gar nichts, die Augen waren zu müde, alles verschwamm. Ich habe keine Lampe am Bett, also nahm ich die Taschenlampen-App des Ifönchens, aber zu spät. Richtete mich, schon halb verzweifelnd, auf. Die Löwin hatte mich wecken wollen, gewiß, damit ich nicht abermals, wie gestern und vorgestern, verschlief, weil mich das immer unleidlich macht, wenn ich dann schließlich nicht mehr arbeiten kann, wie ich es will.
Ruf ich eben zurück. Suchte wieder die richtige Taste, spulte die gespeicherten Nummern durch, ließ mich zurückfallen; noch wußte ich nicht, daß es nicht etwa halb fünf morgens, sondern erst ein Uhr nachts war. Halb fünf Morgens! Keine Löwin kommt jemals auf die Idee, vor Sonnenaufgang jagen zu wollen. Da schläft sie, Punkt. Ich war aber verwirrt.
„Ja?“
„Sie haben mich eben angerufen.“
„Ich?“
„Ja, sicher.“
„Nein.“
„Wie: nein?“
„Ich habe Sie nicht angerufen. Mit wem spreche ich denn?“
„Ähm, Alban Herbst.“
Und alles so dunkel, weiterhin.
„Alban! Du rufst an – um diese Zeit?“
Halb fünf war echt nicht zivilisiert für Kommunikationen mit dem zivilen Volk, das sah ich sofort ein, begriff aber noch immer nicht, mit wem ich sprach.
„Ähm, ähm… Wer ist denn da?“
Leises, brustgrundiertes Kichern, mehr ein tiefes Lächeln mit Lauten am anderen Ende der Funkwelle. Aber die Frau ließ mich raten.
Endlich kam ich drauf.
„Lydia?“ fragte ich, aber unsicher tastend immer noch. „Oh, ich wollte eigentlich…“
Sie lachte. „Wie verschlafen du klingst. Komm, dreh dich wieder rum, es ist erst kurz nach eins.“
„Wie bitte?“
„Was dachtest d u?“
Oh je, die Träume.
„Entschuldigung, bitte. Entschuldige vielmals.“
„Aber nein doch. Das war doch sehr schön, deine Stimme zu hören. Jetzt aber schlaf weiter.“
Sie legte auf, bzw. unterbrach die Verbindung.
Ich mußte mich mal besinnen. Dann suchte ich abermals nach der Nummer von Wien. Daß es erst ein Uhr war und ich tatsächlich kaum eine dreiviertel Stunde geschlafen hatte, hielt mich unter der Bettdecke fest. Was eine Erektion, dachte ich: wohlig, fest, fleischlich warm gerichtet. Körpermitte, tatsächlich. Wie kann einen solch ein Kampftraum denn erregen? Offenbar hatte er‘s gekonnt. Um so dringender, zur Löwin – passendes Wort in diesem durchaus selbstironischen Zusammenhang: – durchzudringen. Was mir nun gelang. Das Gespräch dann paßte, zudem ich mich eines Hauchens, knurrenden Hauchens entsann, das mich schon einmal, vor dem Telefonklingeln, hatte aufschrecken lassen aus meiner Tjost mit Hausverwaltung und Verlag: das war, dieses Hauchen Fauchen Knurren, mitten aus meinem Zimmer gekommen. Bis ich begriff: nein, von draußen, denn das warnende Jaulen des drohenden Liebesgesangs einer Kätzin hatte ihm geantwortet. Und dann war es da abgegangen, da unten in dem Hof, Balgerei ist ein Euphemismus. Der Kater mußte Kräfte zeigen, wenn er nicht durchgeprügelt werden wollte. Schon nicht leicht, so Nachwuchs zu zeugen. „Sie sind derartig süß, wenn Sie nicht ganz wach sind.“ Spätestens diese Bemerkung hätte mich erleuchten sollen, ermannen sozusagen, wogegen sie, die Löwin aber war: „Nicht wachwerden. Dämmern Sie wieder ein, ich bitte Sie. Sie werden sehr tief schlafen.“
Und das tat ich, ohne weiteres Albgeschachtel, soweit mir erinnerlich ist. Um zehn nach halb fünf stand ich auf.
Um fünf saß ich am Schreibtisch. Und da flutschte es nur so. So daß ich die vier Seiten Argosolls bis auf sieben brachte und also schon die DTs‘e nachholen konnte und dieses Arbeitsjournal beginnen. Ich bin den fünften Tag schon nicht geduscht; gestern nacht, am Schreibtisch, dachte ich: upps, das riecht nicht mehr nach dir. Bart gibt‘s auch schon wieder. Also Zeit, mich zu fassen, zu zivilisieren, die Kämpfe, sozusagen, Kämpfe sein zu lassen, um erst mit der helleren Stimmung, die der Vitalismus bedeutet, auf den Turnierplatz wieder einzureiten. Es gebe Gewinner, erzählte mir vorgestern ein Spielfilm, und Verlierer, dagegen könne man nichts machen. Vielleicht stimmt das, und ein Gewinner bin ich nicht. War ich eigentlich nie. Das nahm mir aber bis heute nicht meine Lebenslust. Man kann auch ungebrochen in die Knie gehen – und vielleicht kommt es genau darauf an: nicht darauf, zu siegen, sondern sich nicht brechen zu lassen, auch dann nicht, wenn man verliert. Sondern sich dann aufzurappeln und es halt abermals, und lachend, zu versuchen.
Ich weiß, Leute, das ist nicht immer leicht. Aber wer hat gesagt, daß das Leben leicht sei? Und wenn etwas leicht ist, was ist es dann – letztlich, zum Beispiel in der Erinnerung – wert? Woran erinnern wir uns, wenn wir an die Urlaube unserer letzten Jahre denken? An die Abhängerei? Oder daran, wo etwas schiefging, und wir bestanden‘s?

>>> Irsee ist dringend zu erledigen, man wartet auf meine Wahl. Durch das geöffnete Oberlicht hinter mir links dringt orientalische Musik; manchmal sind es Chöre, zu anderen Zeiten heftig Big-Band-Musik, dann wieder sind es christliche Gebete, ebenfalls im Chor. Heute Naher Osten. Ich liebe das, wie ich die Amsel liebe morgens, meinen lieben Amselhahn, ‚Amselhahn‘, mich hat das Wort seit dem >>> Daniela-Danz-Stück nicht verlassen – liebe es, wie ich das Elsternknattern liebe und die schwirrenden Rufe der Kinder vom Hof der nahen Schule her.

Rasur jetzt, und die Zähne wollen gepflegt sein wie das, lustiges Wort, Gemächt. Dusche. Der helle Anzug heute, der gestreifte, mit blauem T-Shirt. Wie gut es ist, immer noch in die Klamotten von vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren zu passen (anders als der Anzug ist das Foto indessen erst zehn Jahre alt, knapp):


Haben Sie einen wunderbaren Morgen!
So wünscht es Ihnen:
ANH

10.01 Uhr:
So, jetzt bin ich wieder frauenfähig. Gutes Gefühl. Leider aber, à propos zwanzig Jahre, sieht das Futter solcher Anzüge unterdessen so aus:

Also, wenn unterwegs, nicht das Jackett ablegen.
Frühstück, simpel, Ei und Toast. Dann an die Lektorate. (Ich bin vernarrt in mein Parfum).

17.45 Uhr:
Sitze über den Lektoraten und warte auf meinen Jungen. Der hat sein Mobilchen mal wieder aus und läßt den Vater harren, seinen >>>> „Alten“, hätten wir früher gesagt. Mal sehn, wann auch er damit anfangen wird.

Die Verlagsgeschichte ist vom Eis, seit 16 Uhr herrscht hier, was nur mich meint, beruhigte Stimmung. Mein Anwalt nach Schluß eines Telefonats: „Tschüß, meine kleine Drama-Queen“, wozu wieder die Löwin: „Hab auch ich schon paarmal gedacht. Er darf das aber n i c h t sagen!“ So gefaucht und aufgelegt. Schallend gelacht, ich, bei der Lektüre eines der eingereichten Texte: Ein Internist wird operiert und soll seinen Kollegen trauen, vor allem der modernen Technologie. Was ihm auf grandiose Weise richtig schwerfällt. Einfach klasse erzählt in einer wunderbaren Rhythmik und Abfolge von Perspektiven. Parallel läuft ein erzählter Chatwechsel mit… nein, ich erzähl nicht mehr; denn wenn es zu dem Irsee‘er Weblog kommen sollte, werden Sie‘s selber lesen können und viel mehr Spaß dran haben, als ich Ihnen pur referierend schenken kann.
Der Hausmeister – oder sonst jemand, es gibt hier nämlich, wohl aus DDR-Tradition, noch einen Spitzel im Haus; er sei beauftragt, erzählte mir der von mir besser nicht zu beschreibende… na ja, „Mensch“, als ich ihn mal beim Fotografieren ertappte, hier nach dem Rechten zu sehen, schon klar – also, jemand hat die Kopien meines in den Durchgängen öffentlich angebrachten Briefs an die Hausverwaltung erwartungserfüllend entfernt. Ich war pfiffig gewesen und hatte ihn gestern erst nach fünf rausgehängt, der Feierabende sicher, die solche Menschen dann immer haben. Jetzt w a r t e t e ich nur noch auf die Entfernung und erfreute mich ihrer. Bei einer Wette hätte ich etwas verdient.

Weiter mit den Lektoraten. Sowas um acht werd ich in >>>> die Bar radeln.

Ah, schrieb ich Ihnen schon, daß meine Redakteurin begeistert von >>>> dem Hörstück ist? So etwas ist nicht leicht bei ihr. Wir telefonierten vorhin über eine halbe Stunde, auch wegen anderer Projekte, eines besonderen dabei, daß, wie das neudeutsch heißt, erst einmal nur ‚angedacht‘ ist. Kommt das von ‚Andacht‘? Nee, nich, oda‘? Mal sehen. Ich schwärmte einmal mehr von der >>>> Digital Concert Hall der Berliner Phiharmoniker.
Parallel ein paar Telefonate mit der Administration des WDRs; jetzt geht der Formularkram los. „Wenn Sie eine eigene Hörspielmusik eingespielt haben, sind Sie dann nicht GEMA-berechtigt?“ Wahrscheinlich. Wird kompliziert. Am besten, ich befolge einen Ratschlag des Profis und radle nächste Woche da mal hin: meinen „Fall“ zu unterbreiten. Schlimmer, als daß man mir einen Kaffee anbietet, kann es nur dann werden, wenn man mir k e i n e n anbietet.

3 thoughts on “In den Kammern eines verschachtelten Schlafs beginnt das Arbeitsjournal des Freitags, dem 25. Mai 2012. Und geht mit etwas vom Eise weiter, das hinweg bei diesen Temperaturen. ANH als Drama Queen.

  1. “Wie, in gewaltigem Zustande? In hohen Prachten? Brav, Alter? So sollst du, munterer Greis, dich nicht betrüben.”
    aus “Lotte in Weimar” von Th. Mann (aber das wissen Sie ja sowieso)

    Zum Morgen schon “SOWAS” (was SIE schrieben) zu lesen, macht Spaß.
    Beste Grüße!

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