Entblätterungen: Brüste und Bescheidenheit. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 30. Mai 2012. Darinnen die Nummer 140 der Kleine Theorie des Literarischen Bloggens: öffentliches Meinen.

9 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Noch gar nicht an Argo gewesen heute; es war ein neuer Gedichtband für den Deutschen Literaturfonds aus Entwürfen, Skizzen, auch schon vermeintlich Fertigem zusammenzustellen; da läuft eine Frist ab. Gleich wird die Sendung zur Post gehen. Ich bin aber froh, noch heute früh mit der Löwin drüber gesprochen zu haben; sie riet mir dringend von dem von mir gewählten Titel ab: Die Brüste der Béart, der bei mir in keiner Weise machistisch gemeint ist, im Gegenteil eher, nämlich nahezu hymnisch auf ein matriarchales Unterlaufen gemünzt, auf die Naturkräfte wieder, selbstverständlich Sexualität, aber „etwas muß sein an den Brüsten, das nicht Organ ist“, also ein gespürtes Transzendentes, das hier wirkt. Dennoch, „Frauen werden das erst einmal anders empfinden, wenn sie den Titel lesen. Wir machen mit unseren Brüsten alle gesellschaftliche Erfahrungen, die höchst unschön sind, ihr könnt euch das als Männer wahrscheinlich gar nicht vorstellen. Und dann hadert doch eine jede mit den ihren, den einen sind sie zu klein, den anderen zu groß, und dann kommen Sie mit solch einer Idealisierung, die obendrein begründet ist, weil es sich in Béarts Filmen direkt anschauen läßt. Nein, der Titel wird sofort zu Abwehr führen. Lassen Sie das einfach sein, nur aus Klugheit. Daß Sie es anders meinen, ist mir dabei vollkommen klar. Der Jury aber nicht – und wahrscheinlich ganz im Gegenteil.“ Wobei ich denke, daß Ablehnungsgründe noch ganz woanders zu finden sind: nämlich in meiner Bearbeitung der großen Menschenheitsthemen, immer wieder. Daß ich mich auf eine geforderte „Bescheidenheit“ nahezu prinzipiell nicht einlasse und mir der sogenannte leise Ton suspekt ist. Alleine Hollywood zeigt, wie sehr die großen Themen die Menschen nach wie vor bewegen; es ist schon deshalb ein Fehler, sie, diese Themen, kampflos der Unterhaltungsindustrie zu überlassen; deshalb ist es genau so ein Fehler, ihr das Pathos zu überlassen; dieses zu tun, spielt in die Arme des Gegners.

Seit heute morgen haben es die roten Päonien Blütenblätter regnen lassen:

Leider war kein Körper zugegen, ihn mit ihnen zu bestreuen; mit mir selbst tät ich das nicht. So laß ich sie noch etwas auf dem Tisch. Ging sowieso alles ein wenig durcheinander über Pfingsten, weil ich für die Italienreise Besorgungen zu tätigen hatte, per Ebay bot es sich an; es wird ja ein richtiger Konvoi von Reisenden werden. Meines Jungen Kinderreisepaß, überdies, war abgelaufen, schlichtweg, weil er nun zwölf ist, und ab da, was ich nicht wußte, werden die Kinder wie Erwachsene erfaßt, bekommen also einen vollgültigen Personalausweis mit biometrischen Angaben undsoweiter. Was Zeit kostet. Gestern viel Zeit kostete, denn ganz Pankow war im Bürgeramt zusammengekommen. Abends um Viertel nach sechs waren wir dann dran, blieben aber unverrichteter Dinge, weil auch die Mama zugegen sein muß bei gemeinsamem Sorgerecht. Aber der junge Mann, der uns empfing, war mehr als nur hilfsbereit, sondern freundlich, schnell, erkannte auch die Situation, wir fanden eine Lösung. Morgen um sechzehn Uhr wird‘s weitergehen. „Und wenn die Zeit nicht reicht, dann sehen wir uns am Tag vor Ihrer Abreise wieder, und ich stelle Ihnen einen provisorischen Ausweis für den Jungen aus.“ Auch solch unbürokratische Erfahrungen kann man auf Ämtern machen; es hat ein Generationenwechsel stattgefunden oder findet, na sowieso: permanent, statt. Jetzt kann ich einmal schreiben, daß ich ein Amt optimistisch verließ, ja auf den Ballen wippend. Wir gönnten uns jeder ein Eis. Dann ging es wieder an den Gedichte-Antrag. Wobei mir schon klar ist: am besten, ich schick das Ding raus und vergeß es. Wenn dann etwas Gutes zurückkommt, hat man sich vorher nicht gegrämt und wird auch noch mit Freude entgolten, und kommt etwas Schlechtes zurück, nun ja, man hatte es sowieso ja vergessen.

Ich hatte gestern auch nicht wirklich Lust, mich an Die Dschungel zu setzen, >>>> dieser Konflikt bei TT, der zuerst und hauptsächlich >>>> dort in den Kommentaren ausgetragen wurde, trug einige Schuld daran – besonders, weil es mir wehtat, daß ausgerechnet Frau Kiehl, die sich, anders als ich, durchweg um einen freundlichen Ton bemüht und es nicht selten bewundernswert versteht, mit Wärme auszugleichen, Verdächtigungen und auch Anwürfe aushalten mußte, die ich nur als ungerecht, ja betriebsblind und vor allem als demütigend empfinden kann. Wozu machen wir uns all die Mühe mit unseren Netzpräsenzen, oftmals dreivier Stunden am Tag an Formulierungen feilend, uns öffnend, vorzeigend: so und so liegen die Dinge, mit denen sich Künstler beschäftigen müssen, wenn dabei schließlich immer nur herauskommt: das sei ja reine Ego-Show? Zerknirschungen, wohl wahr, werden dabei noch hingenommen, nicht aber, zum Beispiel, Begeisterungen, Ausbrüche von Freude, Selbstbestätigungen ob einer Arbeit, die man als gelungen empfindet – das ist doch immer ein Geschenk. Nur allzu schnell findet sich stets einer, der darauf spuckt. Dahinter steht so eine miesepetrige deutsche Art, in Allianz mit, wahrscheinlich, internalisierter Erbschuld, die der Schönheit ihren Respekt verweigert, wenn sie sich nicht zugleich in Lumpen kleiden mag. Schon Nietzsche rannte dagegen an. Im übrigen ist die Hereinnahme des Privaten in den Bildenden Künsten wenigstens seit Jahrzehnten völlig akzeptiert und wird bisweilen, besonders bei Arbeiten von Frauen, hoch gepriesen; in der Literatur wirkt da nach wie vor ein Vorbehalt wie gegenüber einem Verräter, mindestens der Indiskretion. Dabei ist auch hier das Private von der öffentlichen Arbeit gar nicht zu trennen; genau das zeige ich immer wieder. Man denke bitte nicht, das falle sehr leicht. Wenn einem dann – ganz ohne Ansehen der vielen anderen Rubriken in Der Dschungel, der Gedichte, Notate, Erzählungen, Kritiken und was alles noch – in sturer Ignoranz vorgehalten wird, man gehe doch nur seiner Eitelkeit nach, dann ist das schlichtweg kränkend und auch objektiv ein Unrecht. Das sich nur begehen läßt, weil man den schlechtesten Ratgeber, und in Masse, auf seiner Seite hat, den es jemals gab: die öffentliche Meinung.
Überdies kam dann, >>>> beim Steppenhund, ein Vorbehalt des Österreichers-an-sich gegen den Deutschen-an-sich zur Sprache, der tatsächlich einmal diskutiert – und aufgelöst – gehörte. Ich habe auf Lesungen in Österreich (übrigens auch in der Schweiz) immer wieder die Erfahrung gemacht, daß mein ganz einfach schnelles Temperament als aggressiv empfunden wird; dabei ist es so gar nicht gemeint, ja ‚gemeint‘ sowieso nicht, sondern eben Temperament, Mentalität. Mit Überheblichkeit hat das überhaupt nichts zu tun. – Das jedenfalls schlich in der Debatte, erst einmal unausgesprochen, untendrunter mit; etwa auch, wir Deutschen riefen schneller nach einem Richter als ein Österreicher. Zum einen bin ich mir nicht sicher, ob das stimmt, zum anderen gibt es richterlose Methoden, etwa in Italien am Land, die auch nicht sehr erhebend sind: zum Beispiel Rattengift in die Zisterne des Nachbarn zu kippen. Wie dem auch sei, ist in keinem Fall konkret zu bestimmen, inwieweit Vorbehalte, wie Herr Steppenhund sie formuliert hat, nicht sogar aus der Schriftform heraus erspürt, aber eben als nicht-Konkretes dann ihrerseits wie Aggressionen empfunden werden. Unterm Strich begann ich wieder einmal, am Sinn auch meiner Weblog-Arbeit zu zweifeln.

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens 140.
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Heute ist das, wie Sie sehen, anders. Ich brauche dafür meist eine Nacht, die einen guten Schlaf in mir hat.

An Argo geh ich nachher; jetzt erst mal zur Post.
Guten Morgen.

11.32 Uhr:
Zurück, alles aufgegeben („Man gibt einen Brief a u f, – soviel Resignation herrscht bei uns sogar im Postwesen“, bonmot‘e einmal André Heller); am Hof kurzer Plausch mit dem Hausmeister wegen der unrechtmäßig entfernten Collage; nein, er sei das nicht gewesen, aber sie sei jetzt definitiv entsorgt worden. „Dann werde ich Schadenersatz einfordern müssen und im Zweifelsfall Strafanzeige stelle – was ich wirklich nicht gerne tue.“ Ihm war die Sache deutlich peinlich, „aber ich bin doch angestellt, und wenn man mir aufträgt, etwas wegzutun, muß ich das doch tun.“ Er wie ich: eigentlich sollten wir alle, Mieter, Vermieter, Verwaltungsangestellte, Hausmeister mal ein Sommerfest machen und da einfach reden. „Es ist ja auch wirklich“, sagte der Hausmeister, „eine Oase hier.“ Eben.
Dann finde ich, kurz an den Schreibtisch geschaut, >>>> Thomas Kunsts schönes Béart-Gedicht hier drunter, freue mich riesig darüber, aber möchte jetzt an mein Cello.

17.23 Uhr:
Nun bin ich doch noch mit Argo weitergekommen, fünf Seiten, mehr als Soll. Gut. Beiseitegelegt. Vorher Telefonat mit meiner Redakteuerin; morgen um viertel nach elf Uhr morgens lasse ich im ARD Hauptstadtstudio >>>> das Galuoye-Stück per Breitband zum WDR überspielen. Den Termin habe ich nebenbei ausgemacht. Vorher will ich es ein letztes Mal selbst anhören, dann wird kopiert, und zwei CDs will ich brennen, eine davon für den Tontechniker, eine für die Disponentin; kommt wirklich nicht oft vor, daß so jemand fragt: „Was haben Sie denn inszeniert?“ Und daß sie‘s wirklich wissen will.
Gleich wird mein Junge hier sein, aber er soll sofort zur Mama hinüber; ich werde ihn begleiten. Um 18.30 Uhr Informationsabend für die Eltern von Kindern, die nach den Ferien eingeschult werden. Ja, es ist so weit, auch für die Zwillingskindlein nun. Ein bißchen traurig allerdings, daß ich an der Einschulung selbst nicht werde teilnehmen können; genau in dieser Zeit findet >>>> Irsee statt.

Hab meine Fußpflegerin versetzt vor lauter Arbeiterei. Aber sie trug es mit Fassung und gab mir gleich für morgen den neuen Termin. Was mich ein wenig frappiert, das ist, daß ich, obwohl ich momentan nicht wirklich früh aus dem Bett komme, trotzdem noch schaffe, was ich will; allerdings nicht einen Fatzen darüber hinaus. In den nächsten Tagen wird das nicht besser werden, abermals terminehalber. Wir tragens im majetätischen Plural mit, die nun im Singular, Fassung

7 thoughts on “Entblätterungen: Brüste und Bescheidenheit. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 30. Mai 2012. Darinnen die Nummer 140 der Kleine Theorie des Literarischen Bloggens: öffentliches Meinen.

  1. ERINNERST DU DICH AN DIE KÖRPERSTUNDEN,
    Gefäße, Deckel, eine Illustrierte,
    In der Toilette niemand sonst, ich stierte
    Auf eine Frau im Wasser, ungebunden,

    Emmanuelle Béart, in meinem Alter,
    Stand bis zum Arsch im Ozean, die Haare
    Mit einem Tanga hochgeschnürt, die klare
    Verlassenheit der Brüste in solch kalter

    Umgebung: Kacheln, Minzgeruch und Türen.
    Ich wollte keine Kinder mehr, die Zellen;
    Wer weiß denn, ob sie überhaupt noch schwammen.

    Ich mochte jenen Becher kaum berühren.
    Die Bilder schlugen damals hohe Wellen.
    Seit diesem Tag sind wir nicht mehr zusammen.

    (2006)

    1. Ein sehr schönes Gedicht, Thomas Kunst. Danke, daß es hier stehen darf.

      Den Dschungellesern:
      Thomas Kunst ist im deutschsprachigen Raum einer der poetischsten Autoren, die ich kenne.
      >>>> Hier der Hinweis auf eines seiner Bücher.

  2. “Wobei ich denke, daß Ablehnungsgründe noch ganz woanders zu finden sind: nämlich in meiner Bearbeitung der großen Menschenheitsthemen, immer wieder. Daß ich mich auf eine geforderte „Bescheidenheit“ nahezu prinzipiell nicht einlasse und mir der sogenannte leise Ton suspekt ist. Alleine Hollywood zeigt, wie sehr die großen Themen die Menschen nach wie vor bewegen; es ist schon deshalb ein Fehler, sie, diese Themen, kampflos der Unterhaltungsindustrie zu überlassen; deshalb ist es genau so ein Fehler, ihr das Pathos zu überlassen; dieses zu tun, spielt in die Arme des Gegners.”
    Welch eine mir nahe Formulierung! Ich bin dankbar dafür, dass Schriftsteller, wie Alban Nikolai Herbst sich nicht eingelassen haben auf dieses unsägliche, weil völlig überreizte, unliterarische Kleinmachen der großen Themen durch einen Zynismus, durch einen Sarkasmus, der – natürlich – aus der Verzweiflung an den Verhältnissen geboren, doch nichts anderes mehr sein kann, als sich den großen Themen zu verschließen, als alles auf die Ebene der mariobartschen Comedy zu ziehen …

    1. Nicht nur mich @Sukov, trifft das, selbstverständlich. Auch etwa >>>> Helmut Krausser, obwohl er bisweilen viel näher am Mainstream ist, als ich bin, und obwohl er nachweislich eine große Lesergemeinde hat. Für Auszeichnungen und dergleichen wird auch er gemieden, und aus, wie ich denke, demselben Grund, zu dem außerdem kommt, daß weder er noch ich bereit sind, uns zu Demutsgesten vor dem Betrieb nötigen zu lassen, weil wir beide genau wissen: wenn von den sekundären Leuten, die ihn bestimmen, schon gar nicht mehr der Name bekannt ist, werden – möglicherweise – unsere Bücher immer noch da sein. Man darf doch auch nie vergessen, von wem der Betrieb eigentlich lebt: letztlich von den großen Autor:innen, die uns allen vor lange Zeit vorausgegangen sind und die Valenz der Dichtung überhaupt erst erschrieben haben und dies nicht selten unter hohem persönlichen Risiko. Von denen beziehen wir alle, ob Pop oder E, unsere mögliche Bedeutung. Ich persönlich glaube, daß wir ihnen, also auch ihrem Risiko, deshalb verpflichtet sind.

  3. Lieber ANH ich möchte mich für Ihren Kommentar bei mir bedanken, der jetzt mit der ganzen Vorgeschichte in die Versenkung geraten ist. Ich hatte Ihnen zuletzt noch eine Cello-Sonate zum Musizieren angeboten. Es war Brahms e-moll, aber das war eine Verlegenheitslösung, weil ich den unten stehenden Link nicht fand. In Wirklichkeit wollte ich Ihnen Cesar Franck vorschlagen. Ich habe das sehr lange nicht mehr gespielt, aber wenn das in Ihr Cello-Repertoire hineinpasst, wäre es eine schöne Aufgabe für gemeinsames Musizieren. Das Stück strahlt doch unheimliche Lebensfreude aus, oder?

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