Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 1. November 2012, an welchem die Musik Charles Ives‘ erklingt, im lesenden, also hörenden und im hörenden Kopf.

7.20 Uhr:
[Arbeitswohnung. Robert HP Platz, Klavierstücke.]
Nein, noch kein Ives. Sondern seit 4.46 Uhr sitze ich am Schreibtisch und bringe die Neuformatierung der Dialoge zuende. Das habe ich gestern nacht nicht mehr geschafft. Eine mühselige, aber eben nicht nur formale Arbeit, weil untereinandergestellte Dialogpartien semantisch anders wirken als solche, die direkt hintereinander in geschlossenen Absätzen stehen. Sowas über 960 Typoskriptseiten durchzuführen, braucht Geduld. Sie lohnte sich aber, weil sie, zusammen mit der jetzt gewählten Garamond den Roman fast einhundert Seiten kürzer gemacht hat – nicht ihn selbst, klar, aber die Papierseiten, die er braucht. Wie und ob das jetzt in der Vierten Fassung so bleiben wird, wird sich allerdings erst beim nächsten Durchgang zeigen, dem letzten vor dem Lektorat.
Als ich fertig wurde mit der Dialog-Zusammenzieherei, die Fassung gespeichert und das zusätzlich auf der Backup-Festplatte getan. Jetzt lege ich Argo beiseite.

Ist übrigens dringend. Denn als ich gestern nacht mit Broßmann noch einen Absacker im Beaker‘s nahm, hier unten im Haus, und wir Termine verglichen, stellte ich fest, daß ich >>>> diese Veranstaltung mit falschem Datum eingetragen habe; tatsächlich findet sie bereits am 6. 11. statt, das ist am kommenden Dienstag, und nicht erst am 14. Bitte notieren Sie sich das, falls Sie hinkommen wollten.

Unmöglich, morgens das Arbeitsjournal einzustellen. Twoday war abermals down. Aber so konnte ich gleich an die Dialogarbeit gehen, hatte den Text von gestern noch im Ohr. Und jetzt mach ich mir den zweiten Latte macchiato – so konzentriert ging ich die Hunderte Seiten durch, daß ich ihn nach dem ersten ganz vergaß – und tatsächlich auch nur eine einzige Pfeife stopfte, die ich längst ausgebrannt bis eben zwischen den Zähnen behielt, ausgebrannt über anderthalb Stunden. Ich mochte einfach nicht unterbrechen. Jetzt aber wird gelesen. Dann muß ich endlich >>>> Chromò wieder schreiben, die sicherlich auf eine Antwort wartet. Zur Zeit ist sie in Südamerika, will den Orinoko hoch, wie sie mir, aber schon vor länger als einer Woche, aus Caracas schrieb. Und den nächsten Brief an Winbeck habe ich ebenfalls liegenlassen. Außerdem kam von einem berühmten Magazin ein Auftrag: ob ich nicht einen Essay für es schreiben wolle. Wie ich den grad unterbringen soll, keine Ahnung, Leserin. Aber die Löwin wird übernächste Woche herkommen. Das ist dann der Moment, endlich den Kachelofen anzuheizen. Frauen frieren nicht gern, weil sie das, glaube ich, unsexy finden.

Immer wieder innere Jauchzer – „Juchzer“ nannte meine Großmutter sie, die vor sechs Tagen 109 Jahr alt geworden wäre – wegen Argo: Daß ich es wirklich geschafft habe. Wenn das Buch im Herbst nächsten Jahres erscheinen wird, werden, seit ich die erste Zeilen von Anderswelt schrieb, an Thetis nämlich, achtzehn Jahre vergangen sein; das sind beinah zwei Lebensjahrzehnte, ist also, je nach Optimismus, ein Viertel, ein Fünftel oder immerhin doch ein Sechstel meines Lebens – dieses, wenn ich die 124 denn erreiche, die ich mir vorgenommen habe. „Ab neunzig,“ sagte ich zu Broßmann gestern und nahm einen Flaschenschluck von dem alkoholfreien Weizen, „fang ich dann mal an, mich auf den Ruhestand vorzubereiten.“ „Ruhestand?“ fragte er zurück. „Wie soll d a s denn gehen?“ Und wir lachten.

13.04 Uhr:
[Ives, Zweite Klaviersonate.]
Bis zur Seite 77 von 286 gelesen, bereits, und bin ziemlich betört von Glöcklers Sprache – diesen weiten, in sich wieder und wieder durchrhythmisierten Syntaxen, so sehr, daß ich >>>> dort schon einmal etwas eingestellt habe, noch ohne direkt es zu kommentieren.
Jetzt aber: Mittagsschlaf. Nebenbei die Hühnersuppe vorbereitet, für heute abend, mit einem frischen Huhn, die Knochen ausgekocht; als mein Junge gestern abend von meinem Kochplan hörte, meldete er sich sofort fürs Abendessen an. Dann muß das jetzt auch perfekt sein.

16.15 Uhr:
[Ives, Zweites Streichquartett.]
Toller Satz in >>>> Glöcklers Beschreibung der Klavierlehrerin des jungen Henry Cowell: „Ihre Lippen verrieten uneingestandene Wünsche.“

13 thoughts on “Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 1. November 2012, an welchem die Musik Charles Ives‘ erklingt, im lesenden, also hörenden und im hörenden Kopf.

    1. @Schlinkert zu bibbernden Frauen. Ja, eingeheizt zu bekommen, finden Sie – einige – sexy; aber dazu darf es bereits vorher warm sein. Um so mehr genießen sie, schweigen aber, zu diesem Thema, leider hier.

  1. Von dieser … … “Dialog-Zusammenzieherei” würde ich abraten. Es ist ja eh nicht so, dass Ihre geschätzte Prosa so wahnsinnig leicht zu lesen wäre. Da würde dem einen oder anderen Leser ein wenig mehr Übersichtlichkeit bei den Dialogen sicher helfen.

    Es sei denn, der Verlag hätte über Papiermangel geklagt.

    PHG

    1. @PHG. Es wird nötig sein, nicht eines Papier”mangel”s wegen, sondern weil ich auch de facto nicht will, daß der Roman wesentlich über 1000/1100 Seiten hinausgeht; so etwas bringt buchbinderische Probleme mit sich. Außerdem habe ich es so sowohl im Wolpertinger als auch in Thetis bereits gemacht. Überdies zeigt eine solche Dialog-Engziehung, ob auch wirklich die Personen sprechen; man muß sie sofort im Ohr haben, ohne daß hinzugeschrieben wird: sagte der, sagte die, sagte jener, bzw., ohne daß solch eine Zuordnung über den Zeilenbruch funktioniert. Ich denke, hier zeigt sich, gerade in zusammengezogenen Dialogen, beherrschtes oder nicht beherrschtes Handwerk, der die Imaginationskraft vorher- und parallelgehen muß.

    2. Nichts gegen zeilengebrochene Dialoge, wo sie Sinn machen, machen sie Sinn, doch eine Dialog-Engziehung bringt, denke ich, in jedem Fall auch inhaltlich mehr Dichte, weil sich die Dialogisierenden quasi ins Wort fallen, wie im “richtigen Leben”. Meister des Ineinanderfließenlassens von Dialog, indirekter Rede, stream of consciousness, kleinen Beobachtungen usw. wie Joyce oder Halldor Laxness haben da sicher die Meßlatte schon vor etlichen Jahrzehnten sehr hoch gelegt, so daß es ganz bestimmt ein Zeichen hohen handwerklichen Könnens ist, wenn so – mit Erfolg – gearbeitet wird. Die Buchbinder danken’s, sowieso!

  2. Sollten Sie, Monsieur, noch schreiben wollen, beeilen Sie sich – wir sind in den letzten Vorbereitungen, brechen morgen mittag von Ciudad Guyana Richtung Ciudad Bolivar auf und werden sicher mehr als zwei Wochen unterwegs sein; von ein paar Dörfern abgesehen werden wir keine Menschen treffen geschweige Briefe, erstrecht elektronische, lesen können. Sollten wir nichts mehr hören, wünsche ich eine gute Zeit; Ende November, so denke ich, kehren wir zurück in die Zivilisation und ins Licht.

    1. Verehrteste, gibt es denn nicht längst Telefone, die auch aus tiefster Dschungel sich mit einem Stalliten verbinden können, der wiederum zu einem stillen Berliner Schreibtisch hinunterstrahlt? – Doch wie dem sei, achten Sie auf Kaimane…. wobei, die Schlangen g r ü ß e n Sie mir bitte, sein Sie dafür auf die Insekten aufmerksam; ich hörte fürchterliche Dinge… “Dinge”, nun ja, von Ameisenarten dort, die ganze Menschen verschleppen. Es gibt, à propos, einen neuen Cronenberg -.
      Kommen Sie, wie auch immer, wohlbehalten wieder. Und führen Sie, das wäre eine Idee, ein Tagebuch der Reise, das Sie dann Tag für Tag, wenn auch um diesen einen Monat verschoben, in Der Dschungel, ich meine diese hier, veröffentlichen könnten. Sagen wir: ab dem achten oder neunten Dezember? Wären da dann auch Bilder dabei, würden die Leser:innen das auch lesen. Ich bin mir dessen, und Ihrer, gewiß.

  3. Okay, ich lasse es Wollte Ihnen antworten. Leider hat Ihre Software meinen Beitrag 4mal als SPAM klassifiziert und nicht zugelassen.

    Beste Grüße, PHG

    1. Lieber PHG, schade.
      Ich verstehe es aber auch nicht, zum einen, weil es eine “meine” Software gar nicht gibt, zum anderen, weil Ihr dieses “Jetzt eben n i c h t mehr!” schimpfender Kommentar doch offenbar o h n e Probleme eingestellt werden konnte.

  4. Vielleicht… .. weil ich darin ein gerade neues Buch erwähnte, das über 2000 Seiten hat und sich trotzdem die schöne Freiheit nimmt, keine Textwüste zu bieten, sondern auch im Dialog einen gegliederten Text?

    Kennen Sie denn diese SPAM-Meldung eigentlich?

    1. Lacht@PHG. Ich hoffe innig, Ihr pfiffiges Argument betreffend, daß des sich um eine Textwüste nicht handelt, zumal ich Bücher kenne, die ja gar keine Dialoge haben, so daß es da insgesamt so gut wie keine Zeilenbrüche gibt – den uns beiden, zum Beispiel, lieben Tod des Vergil von Broch (da gibt’s Zeilenbrüche nur bei den Hexametern, bzw. den an diese angelegten freien Rhythmen, um eben diese einzurahmen).

      Nein, bei mir kam von einer SPAM-Meldung nie etwas an.

  5. Ei, hätte ich doch den Bildschirm … …. fotografiert!

    Aber okay, den Tod des Vergil, den gebe ich Ihnen bei. Vielleicht wäre nicht jeder damit zu überzeugen, aber ich schon. Es wäre ja zu fatal, wenn sich diese handvoll Leutchen, die das Buch kennen und es lieben, auch noch streiten würden.

    … trotzdem immer noch Wort: er konnte es nicht festhalten, und er durfte es nicht festhalten; unerfaßlich unaussprechbar war es für ihn, denn es war jenseits der Sprache.

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