Das Arbeitsjournal des Dienstags, dem 13. November 2012. Poetologischer Konflikt.

4.50 Uhr:
[Arbeitswohnung.]

Irgend etwas ist nicht in Ordnung. Jedenfalls von einer neuen Magenattacke, und diesmal sogar:, aufgewacht, die aber schnell, einfach mit einer heißen Wärmflasche, zur Ruhe gebracht werden konnte. Außerdem war das fast direkt vor der tatsächlichen Aufstehzeit, um zehn nach vier; halbe Stunde noch gelegen, dreiviertel seitlich, den Bauch auf der Flasche, die auf dem Laken; um Viertel vor fünf hoch. Die Flasche liegt weiter auf dem Bauch, der aber bereits grummelt – was immer heißt, daß die Verkrampfung sich löst. Röhrige Geräusche sich entschlingender Säfe. Möglicherweise habe ich das Ablehnungsschreiben es Deutschen Literaturfonds ein bißchen zu schnell beiseitegelegt, zu schnell mit den Achseln der Banalität gezuckt, zu sehr – vor mir selbst – so getan, als ginge mich das eigentlich nichts an. Gleichzeitig muß ich einfach sehen, daß viel, sehr viel, sehr sehr viel, darunter Vieles sicher gut, geschrieben wird, seinerseits Fördernswertes. Man muß Glück haben, dazu noch Sympathien – menschlich, allzumenschlich also, wie entschieden wird, fast unumgänglich. Daß jemand „neu“ sei, spielt sicherlich auch eine Rolle. Nein, ich will nicht nachsehen, wer diese Förderungen bekommen hat, ich will auch nicht mehr nachsehen, wer in der Jury saß. Es wäre aber dringend nötig, ein Insch‘allah gegenüber Ablehnungen zu entwickeln.
Unten läuft eine kleine Spinne den Screenrand entlang, soeben, das ist hübsch, wie sie nicht eigentlich „läuft“, vielmehr spazierengeht. Ich will sofort an Argo. Sprach darüber gestern nacht in >>>> der Bar mit dem Profi. Außerdem sollte ich die Musik wechseln; daß mich >>>> diese Oper nicht mehr losläßt, bekommt etwas Belastendes. Auch die Grausamkeiten, in Thetis, erschrecken mich manchmal; einiges davon hatte ich vergessen; ich dachte, gestern nacht, in Argo sei Anderswelt human geworden; ganz stimmt das aber nicht, doch in der Tendenz. Die Geschehen im Osten liegen nun lange zurück: die Bewegung in Argo entspricht der objektiven Verklärung zurückliegender Geschichte: auch das dachte ich, und zwar in einem Sinn, der den Widerstand gegen den „cleanen“ Westen zwar nicht ideologisch rechtfertigt, sich aber auf eine solche Verklärung, nämlich der emotionalen des geschönten Erinnerns, auferrichtet – sowohl in der späteren Weichzeichnung der Mandschu als auch der des ersten Odysseus, der, objektiv betrachtet, gar nicht milder oder gar menschenfreundlicher war als irgend ein anderer Soldat, der stolz darauf ist, zum Töten ausgebildet worden zu sein und dafür auch eingesetzt wird. Auf dem Weg zur Bar gibt es rechts einen Gebäudekomplex, der zur Bundeswehr gehört. Darauf eine haushohe Affiche: Man sieht einen jungen Soldaten in Feldmontur. Neben ihm, als Zitat, der Satz: „Weil ich jeden Tag aufs Neue stolz bin“ – gemeint ist: zur Truppe zu gehören; impliziert ist: Befehle entgegenzunehmen und sie auszuführen. Militärische Nachwuchswerbung, die, wie alle Werbung, suggestiv funktioniert. Ich hätte das Riesenplakat fotografieren sollen, um es hier einzustellen. Das wäre selbstverständlich eine erneute Urheberrechtsverletzung. Spannend dabei, daß ich gerade in den Andersweltromanen immer wieder von Soldaten achtungsvoll schreibe, von einzelnen, nicht von allen. Ambivalenzen. Man muß in die Köpfe und Herzen dieser Leute hinein, andernfalls bleibt die Ablehnung ihrerseits ideologisch. Auch daher in der Trilogie die vielen Perspektivenwechsel, auch die Schnitte direkt, bisweilen in ein- und demselben Satz, zweier, ja dreier ganz verschiedener Szenen ineinander. In modernen Spielfilmen wird so immer wieder geschnitten, das ist überhaupt nicht selten; dort scheinen die betrachtenden Menschen das nicht schwierig zu finden, was wahrscheinlich an nichts anderem als dem Eindruck der Faktizität liegt, die Bilder, nicht aber Wörter vermitteln: Vorschein von Unmittelbarkeit. Sprache, in den Köpfen der Leser:innen, wird immer erst übersetzt, ein Bild hingegen sofort gesehen. Was ich sehe, das glaube ich auch: evolutionäre Prägung. Ein riesiger Mond stand über den Häusern, schreiben wir, uneingedenk der Tatsache, daß er objektiv immer gleich groß ist, auch, wenn wir ihn mal so, mal anders sehen. Das Gehirn interpretiert seine Größe, interpretiert sie in Bezug auf das, was wir sonst noch, gleichzeitig, sehen. Daher der verschiedene Eindruck, den wir jeweils wahr/nehmen. Bei Wörtern hingegen interpretieren wir bewußt.

Jetzt das DTs, dann sofort Thetis-Neulektüre ff, ab S. 540 – zehn weitere Seite las ich gestern nacht vor der Bar, als ich auf den Profi wartete.
Latte macchiato, Morgenpfeife, grummelnder, quarrender Magen, aber kein Schmerz mehr.

14.50 Uhr:
Tiefer Mittagsschlaf, fast anderthalb Stunden. Hab ein Erzählproblem endeckt, möglicherweise, von dem ich aber erst nach der Wiederlektüre von Buenos Aires, bzw. wenn ich Thetis durchgelesen haben werde, entscheiden kann, ob es eines ist.. Jedenfalls hatte Dr. No recht, >>>> dort irritiert zu sein: „Deters trifft Borkenbrod als lispelnde Tunte in einem bordellähnlichen Club“. Ich selbst erinnerte mich nicht mehr daran, daß auch Deters den Kellner für Borkenbrod hält, meine Antwort im Kommentar, direkt darunter, zeigt das. Wobei es in B.A. Immerhin heißt: „Sogar der lispelnde Kellner, den ich mal mit Borkenbrod verwechselt hatte, war ausgesprochen transvestitisch zugegen.“ Jetzt muß ich sehen, ob sich das auch ereits in Thetis auflöst. Ich vermute es, bin aber momentan nicht sicher.

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Habe selbstverständlich eben stichprobenartig gesucht, und es sieht wirklich so aus, als würde Deters sein Irrtum klar. So auch Ellie Hertzfeld: „Eh’r kriegt’n Lampenschirm Pudel, als daß der seinen Schwengel inne Frau steckt..“ – Beruhigend.)

: 15.15 Uhr.

>>>> Thetis, S. 675.

12 thoughts on “Das Arbeitsjournal des Dienstags, dem 13. November 2012. Poetologischer Konflikt.

  1. Sie wollen ein Insch‘allah gegen Ablehnungen entwickeln? Schwierig, denn womöglich liegt so etwas nicht in Gottes Hand, sondern in den Strukturen des Apparates mit all den sichtbaren und unsichtbaren Regeln begründet, ist also selbstredend Menschen(mach)werk. Ich habe seit meiner Jugend viel Erfahrung mit Ablehnungen, die aber fast immer unpersönlich waren, was die Sache einfacher macht. Ich habe jedenfalls im Laufe der Zeit gelernt, einmal drüber zu schlafen, so daß die Sache dann am nächsten Morgen ausgestanden ist, wenn ich Glück hab. Und Glück, das braucht man am meisten.

    1. Weil aber@Schlinkert. Dieses Menschenwerk so sehr menschelt, – womit ich meine, daß sie ihre eigenen Kriterien gar nicht bestimmen, sondern reflexhaft auf Vor/Urteile reagieren, teils, teils aber objektiv – wie wir selbst – gar nicht urteilen können, vielleicht zu nah am Zeitgeschmack und von ihm abhängig sind oder davon, welche politische Einstellung sie haben oder ob sie sich in Gruppen wohlfühlen oder sich Gruppen zu beugen gelernt haben (damit meine ich Prägungen), — weil all das so ist und man also nie von einer tatsächlich freien Entscheidung und also auch nicht von Willkür oder gar Absicht ausgehen kann, darum, lieber Schlinkert, halte ich ein Insch’allah sogar für äußerst angemessen.

    2. Wahrscheinlich liegen Sie mit einem immunisierenden “Insch allah” gold-richtig.

      „In der Kunst ist es anders als beim Fußballspiel: in der Abseitsstellung erzielt man die meisten Treffer.“ Salvador Dalí

      ..vielleicht eine Angelegenheit des langen Atems, von dem Ihnen hiermit ausdrücklich viel gewünscht sei.

  2. Hier: Urheberrecht = Zensur? “Ich hätte das Riesenplakat fotografieren sollen, um es hier einzustellen. Das wäre selbstverständlich eine erneute Urheberrechtsverletzung.”
    Prinzipiell ist der Akt, solche Slogans etc. unter Schutz zu stellen gar nicht mal so sehr der Zensur unähnlich, da in beiden Fällen dahinterstehende Parteien geschützt werden, die verdammt ähnliche und ähnlich verdammte Absichten verfolgen.
    Was ich fragen wollte (weil ich es schlichtweg nicht weiß): Döblin hat Werbeslogans in “Berlin Alexanderplatz” einfließen lassen. “Darf” man das heute noch?

    1. @ValiVarius. Genau kann ich das nicht beantworten, glaube aber, daß die Verwendung zulässig ist, wenn sich aus ihr und dem poetischen Text etwas Neues ergibt – wobei es Ermessenssache ist, inwieweit von etwas “Neuem” gesprochen werden kann. Nach neuen juristischen Entwicklungen ist das Zitatrecht sehr eng gefaßt unterdessen; man darf auch aus Kritiken nicht mehr einfach zitieren. Es gelten aber, meinem Kenntnisstand nach, verschiedene Kriterien für etwas wissenschaftliche Arbeiten und solche, die mit ökonomischer Gewinnerzielung publiziert werden. Als letztre gelten auch Erzählungen und Romane, so absurd das in den meisten Fällen auch ist.

    2. Streubeschwerde Ökonomische Gewinnerzielung – da gibt es aber bessere Mittel. 😀
      Was mir einfach unvorstellbar ist: dass wir bestimmten Sachen täglich ausgeliefert sind und sie dennoch nicht gerade als das nennen dürfen, was sie oft sind. Richtig, es ist kein Zwang mehr da, wir sind weitaus freier, uns für bestimmte Dinge zu entscheiden, aber der Umstand, dass diese ganzen blödsinnigen Slogans und Bildmittelchen uns rund um die Uhr umgeben und umgeben dürfen (nämlich gegen Geld), hat doch auch eine Bedeutung.
      Ich meine: Das sind nun wirklich keine Kunstwerke. Das ist nun wirklich “ökonomische Gewinnerzielung” und nicht nur das: als optisch oder akustisch allgegenwärtig ist es auch Teil der Realität, den man nicht ausfiltern kann. Die Dinge müssen wir nicht umerfinden, warum sollten wir dann die Slogans abändern müssen, wenn wir sie niedermachen? Hat noch nie jemand “Ich mag keine Milch?” gesagt?
      Okay, das ist polemisch, zugegeben. Und es ist auch ein Denfehler drin. Die Milch wurde nicht von Menschen erdacht. Und dennoch… Irgendwas wurmt mich da ungeheuer.

    3. Warum soll man Plakate nicht fotografieren dürfen? Und natürlich darf man sie auch abmalen oder beschreiben, denn sie gehören zur Umwelt und damit zu meinem Lebenskontext, wie nur ich ihn habe. Er ist quasi mein Besitz u n d Eigentum. Daß man dabei solche Produkte wie Werbung oder Forschungsergebnisse nicht als ureigene Selbstschöpfung ausgibt (und das macht ja Döblin in ‘Berlin Alexanderplatz’ keineswegs!), dürfte ja für aufrechte und ehrliche Menschen ohnehin klar sein. Bei den Doktorarbeiten, die auf eben solch einem Betrug fußen, wie die des Erzbetrügers Karl-Theodor zu Guttenberg, ist eben dies der Fall, daß nämlich fremde Errungenschaften als eigene ausgegeben werden und damit ein Nutzen erzielt wird (Karrierelostretung). Ansonsten gilt wohl, sich die Freiheit zum Tun nehmen zu müssen, bevor sie einem am Ende noch geschenkt wird.

    4. Wie heißt es so richtig: wo kein Kläger, da kein Richter. D a s ist beruhigend, denke ich. Zensur wird in Deutschland ohnehin über den Literatur-Markt ausgeübt, der wiederum nur von wenigen großen Anbietern beherrscht wird, wenngleich ich da eher von Normierung sprechen würde. Da ich im Moment (zum tatsächlich ersten Mal) Döblins “Berlin Alexanderplatz” lese, mache ich mir eher Gedanken darum, ob so ein Werk heute noch eine Chance auf eine wirkliche Veröffentlichung hätte, also nicht nur in den Buchläden läge, sondern auch von der Kritik besprochen würde. Die Frage stelle ich mir immer wieder, auch wenn sie natürlich nicht zu beantworten ist, wenn ich Bücher von Koeppen, Werfel, Musil oder Thomas Mann lese. Im 18ten und 19ten Jahrhundert umgingen übrigens viele Autoren die staatliche Zensur, indem sie besonders umfängliche Werke schrieben, die kein Zensor lesen mochte. Ist alles (leider) immer auch eine Frage der Taktik.

    5. Es ist schwer bis unmöglich diese Frage zu beantworten. Ich vertrete aber die Hoffnung, dass so ein Buch nicht totgeschwiegen werden könnte – auch heute noch.

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