Die Leere am Ende der Zeit. Salvatore Sciarrinos Vanitas und Olivier Messiaens Quatour pour la fin du temps in der Werkstatt der Staatsoper im Schillertheater Berlin.

[Fotografie (©) des Cellisten: >>>> Thomas Bertilla.
Staatsopernwerkstatt außen: ANH/iPhone.]
E un diluvio di fiamme a poco a poco
scioglie;
scioglie, quasi cometa, il crine ardente
per minacciar la morte.

(:Giovan Leone Sempronio, Chioma rossa di bella donna,
dtsch. von Simone Prior:)

und eine Flut aus Flammen nach und nach
löst;
löst, fast wie ein Komet, das brennende Haar,
um den Tod anzudrohen.

Große künstlerische Ereignisse finden nicht selten in sehr kleinem Rahmen statt; etwa zur >>>> „Kleinen Nachtschicht“ gestern um halb zehn fanden sich noch weniger Hörer ein als zuvor in >>>> Sciarrinos Vanitas-Spiel , bzw. waren sie dageblieben, das nicht, wie Messiaens Quartett für das Ende der Zeit, um die letzten Dinge kreist, sondern ums Verstummen dieser Dinge, wobei „Ding“ der verräterisch falsche Begriff für etwas ist, das wir unser Leben nennen. Um dieses Leben aber rankt Messiaens unheimliche und rätselhafte und schließlich wie davonschwebende Komposition für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier, wobei die Klarinette ein klangverschobener Part für die Bratsche ist, das Todesinstrument an sich, auf dieses nämlich bezogen: Hat man das im Ohr, hört man etwas anderes als das, was tatsächlich hörbar wird; genau dem aber „hinter den Dingen“ galt des tiefchristlich gläubigen Messiaens Musik seit je. Man mag es gar nicht glauben, daß er – so geradezu für die Moderne „klassisch“ ist er längst – erst 1992 verstarb. Das „Quatour pour le fin du temps“ wurde am Anfang die Vierziger im „Mannschaftsstamm- und Straflager“ Görlitz zuendegeschrieben, dessen Kommandant, auf Intervention eines Dolmetschers und eines Pfarrers, dem Komponisten nicht nur zu komponieren erlaubt, sondern auch dazu beigetragen hat, daß sich einer der Ausführenden der vor den Gefangenen stattfindenden Uraufführung ein Cello besorgen konnte. Die ganze Geschichte können Sie >>>> dort lesen.
Die Aufführung gestern war ohne Zweifel der Höhepunkt des Abends. Messiaens Quartett galt und gilt seit seinen ersten Interpretationen außerhalb des Lagers als ein Schlüsselwerk, mythisch fast, der Neuen Musik. Das war auf das unheimlichste spürbar, und zwar gerade nach Sciarrinos ständig verebbenden, aus völliger Stille anhebenden, zu Stille werdenden Klanglinien, die leider, ihre Semantik, ein wenig unter der Inszenierung der einzigen Menschenstimme, einer Sängerin, litten; sie sang vortrefflich, und wäre, was das Programmheft Librettopart für Librettopart tut, auch im Bild der Aufführung realisiert worden, der Eindruck ingesamt wäre ein anderer, sehr viel noch intensiverer gewesen als nun, da die großartig intonierende Rowan Hellier als eine Mischung aus Weibsclown und Marionette ihren Part statisch-manieriert vorführen mußte, in am Anfang permanenter, wie mein Freund G. das nannte, Kackstellung (er meinte die auf, z.B., süditalienischen Stehklos) bis zur dreifach fett dem Publikum aufs Brot gestichenen Vegetierung am Boden – als Figur eine rein seelenlose Behauptung, die der Szene selbst jede Kraft absaugte, die sie gehabt haben könnte: nämlich eines alten stummen Paares Schauen in den Spiegel (worin nichts ist, das wir sehen) und Betrachten der eigenen Bilder als zweier beklemmender Videoinstallationen auf Leinwand; man hält sie anfangs für fotografierte Portraits, die sich aber unvermerkbar, anfangs, rühren, dann schon den Kopf drehen, zueinander und zur Szene selbst der Marionette hinunter. Das, in der Tat, ist von enormer Eindringlichkeit. Es wäre diese Schlichtheit aber auch der Sängerin zu geben gewesen, ihr im Zusammenspiel mit Cello und Klavier, ja vielleicht wäre es besser gewesen, man hätte Frau Hellier g a r nicht inszeniert, sondern als Instrument unter Instrumenten vortragen lassen und alles Szenische auf den Lebensrückblick der beiden Alten konzentriert, hätte einfach der Leere einmal vertraut, die das Geschwundene hinterläßt – vanitas, Eitelkeit, h e i ß t eben eigentlich „Leere“ – und das in seiner Schlichtheit vorzügliche Programmheft weiß das auch. Überhaupt ist i h m viel mehr als der tatsächlichen Inszenierung zu entnehmen, wie das Stück hätte aussehen können: Etwa, indem man die auch italienischkundigen Hörern nicht durchweg verständlichen Barocktexte, alle sind sie nur kurz, tatsächlich auf die Wand projeziert hätte. Das Programmheft folgt hier einsichtig einer Ästhetik, die wir aus einigen Filmen Syberbergs kennen; davon bleibt im Raum nicht die Spur. Statt dessen werden auch die beiden stummen Alten in Übermondänes hineingesteckt und gleichsam travestitisch, aber statisch, vorgeführt, obwohl doch, wovon intensiv die Musik erzählt, auf jeden Menschen zutrifft – viel beklemmender von Gregor Fuhrmann verkörpert, seiner strengen, konzentrierten Erscheinung, der Feinheit seines Cellospiels, während Jenny Kim als Person nicht aufgefaßt werden konnte, weil sie ganz hinter dem Flügel verschwand. Musikalisch beide großartig, so, wie Hellier, für die aber außerdem unklar bleibt, weshalb man ihrer Frisur zu allem personal-Clownesken noch das „Saubere“ eines BundDeutscherMädchen-Mädchens verpaßt hat. Gerade für Sciarrino, der auf Konzentration des Klanges aus ist, auch auf Ausdünnung, nur das Nötigste zulassend, scheint Manierismus mir so wenig passend zu sein wie die Äshetik des Absurden oder Bizarren Theaters. Wahnsinnig schön dafür – Klaus-Heinz Metzger schrieb einmal von wahrer Musik, allerdings meinte er Webern – der Cello-Kantilene völlig schnörkellose Lobpreisung Jesu im Quartett.
Dennoch gab es auch im Sciarrino immer wieder Momente, die sich direkt ums Herz, wie zu eng angezogene Schlösserketten, legten: etwa der Blicke halber, mit denen die Alten ins Publikum schauen, oder in der quasi Rührlosigkeit, mit der sie vor dem (für uns) leeren Bild stehen. Das hätte, auch in Alltagskleidung, völlig ausgereicht, ja hätte diese Inszenierung enorm angehoben. So aber wurde sie selbst, die Leere, zur Angst vor der Leere: Angst, daß die Musik vielleicht doch nicht trägt, wenn man sie alleinläßt. Eine grundlose Angst. Sie trägt sogar derart, daß jederlei theatralischer Firlefanz ihr furchtbar abträglich ist. Musiktheater muß nicht mehr „agieren“, wir leben im 21. Jahrhundert und haben eine differenzierte Operngeschichte durchlebt; freilich kann und soll sie agieren, wo die Musik den Raum gibt oder sogar dazu auffordert.
Da war dann nach der Pause die für mich unerwartete Aufführung von Messiaens Quartett die eigentliche Oper – allein dadurch, daß Geige, Cello und Klarinette extrem eng aufeinandersaßen, hinter ihnen das Klavier, und um die Musiker herum Sessel frei, ohne Regel, im Raum verteilt, auf die sich setzen konnte, wer mochte; ebenso auf die lange, niedrige Holztribüne. Hier wurde man nun Teilnehmer-selbst an einem Stück. Unglaublich, wie zugleich konzentriert und gelassen das war, wie einbezogen und dennoch bequem: Kammermusik im allerbesten Sinn des Wortes, intime, so intim, wie auch Sciarrino es verlangt hätte. Zumal wir so wenige waren. Ein Häuflein wie zufällig aus dem hohen Schnee draußen hier Hineingeschneiter, kaum mehr als bei der Lesung eines unbekannten Lyrikers, ja, geradezu familiär, und das in einer Millionenstadt an einem ihrer allerbesten Häuser mit allerbesten Musikern zu einem der berühmtesten Stücke der Welt. Das eigentlich Besondere war daran aber, wie unversehens der Sciarrino mit Messiaen legierte, wie unfaßbar das zusammenging – als würde sich der eine im andren nun erfüllen. Toll. – Ach! A r m, wer nicht dabeiwar.
Doch gibt‘s noch eine Chance: Am 28. März, in also sieben Tagen, wird genau diese Konstellation wiederholt werden. Zwei Tage vorher allerdings wird die „Kleine Nachtschicht“ im Anschluß an Sciarrino Morton Feldmans, eines seinerseits Meisters der Stille, Crippled Symmetrie zur Aufführung bringen. Das könnte eine sehr ähnliche Wirkung entfalten.

Salvatore Sciarrino
VANITAS

Natura morta in un atto
Inszenierung Beate Baron
Stimme Rowan Hellier – Violoncello – Gregor Fuhrmann
Klavier – Jenny Kim
Frau Friederike Frerichs – Mann Hans Hirschmüller

Die nächsten Aufführungen:
26., 28. März
2., 3. April.
Je um 20 Uhr.
>>>> Karten.

Olivier Messiaen
QUATOUR POUR LA FIN DU TEMPS
Tibor Reman – Petra Schwieger – Gabriella Strümpel – Günther Albers

Die nächste Aufführung:
28. März, 21.30 Uhr.
>>>> Karten.

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