Das fünfte ArgoFahnen-Journal. Mittwoch, der 5. Juni 2013.

13.24 Uhr:
[Arbeitswehnung.]
Nach dem Essen mit Ralf Schnell gestern abend und einem an sich wieder sehr schönen Gespräch, überfiel mich dann doch Düsternis zur Nacht: zu grau die Aussichten, Argo irgendwie in den Markt zu bekommen, was eben heißt: an die möglichen Käufer und damit Leser über den bisherigen Kreis meiner Rezipienten hinaus. „Es wäre eine Katastrophe“, sagte Schnell, „wenn das nicht gelingt.“ Dieser Satz ging mir die ganze Nacht nach, die mich überdies mit einer Magenattacke überfiel; ich bin es aber auch schon nicht mehr gewöhnt, derart viel zu essen. Der Riesenberg aus Joghurt, geschnittenen Früchten, Nüssen und Haferflocken, den ich nachmittags einnahm, hätte völlig genügt. Ich wußte das auch, aber es siegte dann doch der Lustappetit. Immerhin bin ich gegenüber dem Alkohol fest geblieben, was aber ganz leichtfällt. Morgens wurde ich mit erneuten 80 kg bestraft, statt der schon erreichten 78. Aber der Leib gibt von dem Essen auch überhaupt nichts mehr her. Außerdem muß ich hinzurechnen, daß der Zuwachs an Muskelmasse auch Gewichtszunahme, nicht etwa -verlust bedeutet.
Um fünf hoch, um 23 Uhr hatt’ ich im Bett gelegen. Geschlafen vielleicht drei Stunden. Latte macchiato und gleich an die Fahnen; auf S. 552 bin ich jetzt und brächte diese Tranche eigentlich gerne heut noch zuende. In einer dreiviertel Stunde muß ich aber zur Fußpflege los; nach meiner Rückkehr wieder an die Fahnen, und wenn mein Sohn herkommt, wird wieder gelaufen und die Kraft trainiert. Es ist nicht nur, daß ich das Bäuchlein loswerden will, das übrigens auch kaum noch zu sehen ist; sondern es ist, als stählte ich mich, bereitete mich auf einen harten Zweikampf vor. Sowas. Momentan habe ich wenig Lockerheit, auch wenn die Löwin heute früh, am Telefon, sagte: „Aber es kommt auf das alles doch gar wirklich nicht an. Worauf es ankommt, ist, daß du sagen kannst: Ich habe mein Bestes gegeben.“ Aber die Menschengeschichte ist grausam, ist unerbittlich. Ich fürchte, es kommt sehr wohl darauf an. Damit ein Kunstwerk „gelingt“, muß es gesehen werden; gesehen zu werden, ist eines seiner innigst zu ihm gehörenden Teile. Fehlt es, gibt es das Kunstwerk nicht, egal, was der Künstler auch tat. Ich kann mich nicht betrügen.
(Es wird aber besser, wenn ich arbeite, auch jetzt mit den Fahnen. Wenn ich tief in ihnen drin bin, ist tatsächlich das andre egal, jedenfalls fast.)

Am Sonntag, dem 16., werde ich in Frankfurtmain – zum Bloomsday des >>>> Literaturforums im Mousontourn>>>> Helmut Schulzes und meine Übertragungen des Giacomo Joyce erstmals in einer öffentlichen Lesung vorstellen. Da wird das Buch selbst leider noch nicht da sein. Aber auch aus >>>> Reicherts Übersetzung aus dem Jahr 1970 wird dazu vorgetragen werden. Das verspricht deshalb sowieso einen spannenden Abend, auch wenn nicht er selbst lesen, offenbar – entnahm ich einer Nachricht – auch gar nicht anwesend sein wird. Sondern diese Passagen wird Daniel Jurjew lesen.

Weiter mit den Fahnen. Es ist doch immer noch einiges, was ich ändere in dieser letzten Phase. Der Verleger hat schon etwas gestöhnt. Aber wann immer ich Texte von mir in einer mir bislang unbekannten Formatierung lese, zumal als Buchblock, bekomme ich einen distanzierten, noch einmal besonders kritischen Blick.

22.09 Uhr:
Bis eben durchgearbeitet – abgesehen von einer Stunde Mittagsschlaf, einer dreiviertel Stunde bei meiner Fußpflegerin und anderthalb Stunden Training – und die ganze fünfte Tranche fertigbekommen; die Seite 639 ist erreicht und damit der Sechste große Abschnitt des Romans.
Ich mampf mal ein paar Haferflocken. Gearbeitet wird erst wieder morgen früh; wenn nicht heute nacht noch die sechste Tranche ankommt, geht es bis dahin wieder an das Neapel-Hörstück. Genießen Sie die knapp zwei Stunden Resttag.

9 thoughts on “Das fünfte ArgoFahnen-Journal. Mittwoch, der 5. Juni 2013.

  1. Mit dem eigenen Besten im Gepäck womöglich erneut vor dem verschlossenen Zug zu stehen – das ist haarig. Ich kann Ihrer Löwin auch nicht ganz zustimmen: Klar kommt es zunächst darauf an, zu versuchen, alles in die Waagschale zu legen, doch eine künstlerische Arbeit sollte sich auch ausbreiten können, ihren Platz einnehmen unter ihresgleichen, ohne diesen Wunsch ständig erklären oder sogar rechtfertigen zu müssen.
    Das Wahrgenommenwerden ist wichtig, um nicht nur an sich selbst, sondern auch im Widerstreit mit Anderen wachsen zu können.
    Sorry, dass ich hier Dinge sage, die eh auf der Hand liegen – es war mir gerade danach.

  2. Ihre Ankündigung der Stuttgarter Lesung bedarf einer Adresskorrektur.
    (Was Sie sicherlich auch noch selbst gemerkt hätten, aber wenn ich´s schon mal sehe)

    1. Oh ja@Gast, danke! (Wahrscheinlich hätt ich’s erstmal n i c h t gesehen – so tief, wie ich jetzt in den Argo-Fahnen stecke. Klasse, daß jemand aufpaßt. Wird sofort geändert.)
      (19.33 Uhr: I s t geändert. Nochmals danke.)

    2. Stuttgart Das ist ja ganz wunderbar, dass Sie mit Argo nach Stuttgart kommen. Und Florian Höllerer spricht die Begrüßung- Herz, was willst du mehr? Ich freue mich und werde dort sein. Das Literaturhaus Stuttgart hat einen sehr guten Ruf. Es ist dies alles ja auch vor allem eine Sache der Werbung. Ich hoffe, dass Sie Menschen finden, die Ihre Leistung so präsentieren können, dass weiteres Interesse geweckt wird.

    3. @Cellofreund: “Trotz alledem und alledem!” Wir werden dann auf Holmboe anstoßen. Versprochen.

      (Werbung ist in der Tat der Schlüssel. Ihre Kosten können selbst große Verlage kaum tragen, weshalb sie nur konzentriert auf einzwei Bücher eingesetzt wird und eingesetzt werden kann; so kommt es zu den sogenannten Stapeltiteln – solche, die palettenweise bestellt und palettenweise auch verkauft werden. Für kleine Verlage ist solche Werbung jenseits jeder Möglichkeit. Genau das erhöht die Macht des Feuilletons, vor allem des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, extrem; alle Publizisten hängen wie an der Nabelschnur dran. Sind sie mit ihr nicht verbunden oder wird sie zu früh gekappt, sterben sie. Es sei denn, es finden sich andere Versorgungskanäle. Das Netz hat sich leider, nach meiner Erfahrung, dafür als ungeeignet erwiesen, jedenfalls bislang. Wenn in den vergangenen Jahren die Leser Der Dschungel allein nur meine Neuerscheinungen erstanden hätten, sähe es völlig anders aus. Dem ist aber nicht so, auch wenn ich das einst gehofft habe. Indes muß das niemanden wundern: Auch das Netz ist ein “Spiegel der Verhältnisse”; es wiederholt sich drinnen, was draußen ist. Überbau und Unterbau, Sie wissen schon. Und auch ich selbst hätte es wissen können. Trotzdem halte ich nach wie vor >>>> mein Trotzdem! dagegen.)

    4. E N D L I CH beehren Sie uns auch einmal in Stuttgart, lieber ANH, ich dachte schon, ich erlebe das ni[e]cht mehr 😉
      Den Termin – 22. Oktober – habe ich in allen Kalendern eingetragen!

      Die Veranstaltungen im Literaturhaus sind stets [sehr] gut besucht und werden lange vorher durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit begleitet.
      Schöne Location da. Gute Akustik! Es wird Ihnen gefallen!

      Vorfreudig, mit herzlichem Gruß vom Neckarstrand
      Teresa 🙂

    5. Holmboe Sie erinnern sich. Das ist ja nett- bei all den Kommentatoren hier und dem Vielen, mit dem Sie sich beschäftigen. Ich würde gern in Argo gelesen haben, wenn ich in die Lesung komme. Ab wann wird man es käuflich erwerben können?

    6. @Cellofreund. Selbstverständlich erinnere ich mich. Ihre Platte steht hier in Ehre. Und Sie bringen mich nun drauf, heute Holmboe mal wieder zu hören. Nein, bei wirklich Wichtigem bin ich nichtr vergeßlich.

    7. @Teresa HzW zu Stuttgart. Nun, es liegt nicht an mir, daß ich so selten in Stuttgart bin; ich muß halt eingeladen werden. Aber das Literaturhaus kenne ich, war ja >>>> bereits einmal da. Witzigerweise hatte ich damals, weil ich da an der Szene grad schrieb, ein Stückchen Argo in meinen Vortrag integriert, das Stückchen allerdings auf die Vortragsform hin modifiziert; Sie können den ganzen >>> dort nachlesen, in “Das Weblog als Dichtung”: ab S. 183:

      Aber ich zitier mal ein bisserl:
      Und während ich diesen Vortrag halte, wird das gesamte Stuttgart kybernetisiert. Es wird mit allen Gebäuden, Straßen und der kompletten Fauna und Flora aus der Realwelt gelöscht, um sich als und im Cyberraum und nur als solcher neu zu formen. Das ist an sich nichts Neues, für Stuttgart aber doch, zumal derart parallel mit diesem Vortrag. Ich habe die Arbeit an ARGO. ANDERSWELT für zweidrei Tage unterbrochen, um sie an diesem 10. November morgens im Stuttgarter Hotel wieder aufzunehmen: mitten in der Coda, eigentlich Stretta des Dritten Teils, der mit der physischen Vernichtung Stuttgarts endet, was allerdings von den Verantwortlichen mit der These gerechtfertigt wird, es handele sich um eine Befreiung Stuttgarts, nämlich der Erfüllung des alten Versprechens: ES SOLL KEIN SCHMERZ MEHR SEIN. Avataren läßt er sich hinwegprogrammieren. Sie sind ja reiner Geist. Seinetwegen erwarte ich jeden Moment diesen Lichtblitz, auf den ich zugleich Ihre Sinne zu sensibilisieren versuche. Darüber – und was dazu führte – berichtet das Literarische Weblog Die Dschungel auch, und zwar bereits seit seinem Entstehen; eingemischt sind wie in unser alltägliches Leben praktische Notwendigkeiten: Tagebuchaufzeichnungen Dokumentationen Korrespondezpartikel Polemiken Diskussionen und vieles mehr, das zusammengenommen ein Kontinuum ergibt, vermittels dessen in der flächigen Ausdehnung des Netzes die Tiefe hergestellt werde soll, von der ich bereits sprach. Denn es ist die Flächigkeit, auf die alle Kunst mit gesenkter Stirn zuläuft, durch die sie hindurchwill und der sie, gelingt es, eine weitere und einige Dimensionen mehr gibt: Dimensionen des Gefühlten Denkbaren Möglichen. Jedenfalls steht in eben diesem Moment Hans Erich Deters in Saal 32 der Neuen Staatsgalerie und versucht in der einen, eine Fremddiskette in den verborgenen Zentralcomputer zu schieben, um das Programm zu manipulieren, das die Welt im Innersten zusammenhält – und um damit eine gesamte n&nbspe&nbspu&nbspe ProjektionsWelt zu schaffen; in der anderen Dimension handelt es sich allerdings um einen Selbstmordattentäter, der jeden Moment die Zündschnur seines Bombengürtels ziehen wird, woraufhin zeitgleich wenigstens zweierlei geschieht: Die Staatsgalerie, unterirdisch verbunden mit dem Neuen Kunstmuseum, fliegt in die Luft und reißt das gesamte Stuttgart mit; dadurch aber initiiert sich in der ersten Welt ein Kybernetisierungsvorgang, der das RaumzeitKontinuum wie einen Atomkern spaltet: Als Druckwelle fliegt die Zeit nun ihrer eigentlichen Explosion v&nbspo&nbspr&nbspa&nbspu&nbsps. Ins&nbspofern werden wir alle von unserer physischen Dehydrierung nichts merken, es sei denn, wir sähen den Lichtblitz; und werden fortan als Avatare im Cyberraum weiterexistieren, als wäre überhaupt nichts geschehen. Kurz: Wir werden weder von der Explosion noch von unserem physischen Ende etwas mitbekommen. Dem geht die menschliche Fähigkeit völlig analog, hinter Computerbildschirmen stundenlang auszuharren, ohne das Vergehen von Zeit auch nur zu bemerken. Was daran liegt, daß ein von Screens emittiertes Licht in der Zusammensetzung dem Tageslicht homolog ist und das Gehirn diesen Umstand dahingehend interpretiert, es sei auch Tag. Die Wahrnehmung von Realität wird modifiziert wie unter Drogen. Auch das ist eine Wirkung des Cyberraums.
      ANH, Das Weblog als Dichtung, 2005.

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