Verdammt in alle Ewigkeit: die Kritik und der Brennende Dornbusch. Im Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 8. August 2013.


Immerhin, man kommt >>>> drin vor,
und durchaus angemessen.


8.36 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
„Aus der Ribbentrop-Familie zu stammen und sich dennoch nicht öffentlich in Schuld zu wälzen, sondern ein Dandy zu sein, der auch noch den Mund aufmacht, wenn ihm was nicht gefällt, anstelle, daß er sich bescheiden dem Betrieb anpaßt, sondern im Gegenteil seine Lust an Frauen zeigt und, als wäre das alles nicht schon schlimm genug, auch noch ein Buch wie >>>> Meere schreibt – finden Sie nicht, daß das bis über den Tod hinaus ein wirklicher Verdammungsgrund ist? Zumal seine anderen Bücher auch noch kompliziert sind?“ Wobei >>>> Schnell das Allerschlimmste noch nicht einmal nannte: daß ich den Fußball nicht mag, und auch Die Dschungel erwähnte er nicht… – also so gesehen, ist meine heikle Position in der Menagerie der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur absolut nachvollziehbar, ja geradezu ein Gebot der konventionellen Logik. Ich konnte also nicht umhin, ihm zuzustimmen, das heißt auch: zu verstehen, weshalb da immer irgendwer an den Halteseilen meiner Trapeze herumschnibbelt, meine Sprungbretter ansägt oder meinen Pferdchen Streu in ihre Augen und nur deshalb keine Schlangen vor sie wirft, weil man sich nicht traut, die anzufassen. Man traut sich ja überhaupt wenig. Dazu kommt auch folgendes (so setzte ich das Schnell auseinander): Es ist nicht so, daß Kritiker nicht gute Bücher, bzw. gute Literatur erkennten. Bewahre! Das tun sie, und oft auf erstes Hineinschnuppern schon. Aber sie überlegen sich gut, ob sie das so auch sagen. Nämlich hängt ihre Karriere davon ab.
Sie müssen sich das so vorstellen: Herr, sagen wir, Eckermann entdeckt einen großen Text. Wenn er jetzt in der, sagen wir, Großdeutschen Allgemeinen das so auch schreibt, aber niemand kauft das Buch, dann hat seine Aussage nicht unbedingt Wirkmacht. Sowas kann man sich zweidreimal leisten, aber danach wird das bekannt, und er gilt nichts mehr. Also überlegt man sich sein Lob sehr gut und erstattet es dort, wo man mit Gründen davon ausgehen kann, daß das Buch von vornherein einen guten Markt hat. Wird das Buch zum Renner, gilt der Kritiker was. – Diese Dynamik reicht bis ins Ausland; wird er dort zitiert, lassen Einladungen, etwa an Universitäten, nicht lange auf sich warten – vorausgesetzt eben, daß seine Stimme im Markt auch Gewicht hat. Deshalb bedeutet, sich eines solchen Meisterromans wie >>>> Fahlmann anzunehmen, öffentlich, mit Meinungsstärke, daß man an Ansehen verlieren wird. Und das möchte niemand. Ach, wer würd’ das nicht verstehen? Aber uns wird nun klar, weshalb es in den Betriebsdiskussionen und also der verkaufbaren Ästhetik nicht wirklich Überraschungen geben kann und weshalb es so leicht ist, 2012 die Figur des wichtigsten Autors/der wichtigsten Autorin des Jahrhunderts durch eine andere wichtigste Autorin des Jahrhunderts/einen anderen wichtigsten Autor des Jahrhunderts 2013 zu ersetzen. Nein, es geht nicht darum, daß man nicht wüßte: ah, man weiß sehr wohl! Aber man schweigt, weil in der sterbenden Buchwelt Vorsicht die Mutter aller Königsmacher ist; hüte sich wohl, wer brüchig ist wie Porzellan, es Erschütterungen auszusetzen.

Ich verließ den Pratergarten im guten Gefühl, alle Prozesse verstanden zu haben, und deshalb ohne Goll, sondern milde, gütig und ein bißchen beschwipst. Obendrein hatte ich eine Begegnung der Dritten Art. Wem reichte je, zumal in einem Biergarten, ein Alien seine Hand? Das war wie ein brennender Dornbusch ohne Pfingsten. Doch dieser Griff war gut, war männlich, und er senkte nicht mehr klebrig den Blick. Insofern war ich einverstanden.

9.10 Uhr:
Ein so gewaltiges Wettern donnerte über den Prenzlauer Berg, und solche Schütten prasselten vom Himmel, daß ich nicht aus dem Bett kam, nicht vor halb acht, sondern lauschte und in meinem Wohlfühl schwamm. Dann war die Löwin zu wecken.
Latte macchiato, Morgenpfeife, Nibelungen. Hebbel seit gestern. Laufen werde ich mittags. Bis dahin weiterlesen. Ich mußte sogar – leider – den Fahlmann unterbrechen, kam gestern an nicht eine Zeile dieses Romans, aber wurde durch Hebbels wirklich großartige Sprache entschädigt. Ich hab seine Nibelungen in der >>>> Wolpertinger-Zeit schon einmal gelesen, aber erinnere mich nicht, derart berauscht von der Sprache gewesen zu sein, zumal Hebbel die schreiende Primitivität des Epos (ich meine Handlung und Motivation) zurücknimmt und ein, vor allem in der Figur des Tronjers, politisches Spiel daraus macht und Brunhild der Allmachtsfantasie des Diktators die folgenden Verse spricht:

Er sammle sich von allen Königen
Der Welt die Kronen ein, um eine einzge
Daraus zu schmieden und die Majestät
Zum erstenmal im vollen Glanz zu zeigen,
Denn, das ist wahr, solange auf der Erde
Noch mehr als eine glänzt, ist keine rund;
Und statt des Sonnenringes trägst auch du
Nur einen blassen Halbmond auf der Stirn!

Hebbel, Siegfrieds Tod III,1
Überdies läßt sich hier deutlich erkennen, wie der Anspruch des Einzigen aus dem Einzigen GOttes rührt, und zwar für alle drei monotheistischen Religionen; die Anspielung auf den Halbmond ist sicherlich nicht zufällig.
Also: Heute vormittag den Hebbel zuendelesen, dann noch mal in >>>> Alte Meister schauen, danach Lauftraining, dann mit meinem eigenen Nibelungen-Text beginnen. So ist der Plan. Kann aber sein, daß ich zwischendurch noch mal für ein pikantes Treffen vom Schreibtisch geh. Und eben kommt die Sonne durch.

3 thoughts on “Verdammt in alle Ewigkeit: die Kritik und der Brennende Dornbusch. Im Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 8. August 2013.

  1. “Alle Prozesse verstanden zu haben” – dazu gehörte auch das Verstehen der Leser in ihrer Rolle als unkritische Masse, die sich nur zu gern von einem “Königsmacher” leiten lässt, weil eben sie es ist, die einen König will, dem sie die Füße küssen kann. Ob er’s verdient hat, fragt sie nicht, prüft sie auch nicht, sie vertraut blind dem Kritiker und lässt sich mitreißen vom Mainstream, entmündigt sich nur zu gern selbst. – Das ist natürlich überspitzt, aber dennoch Teil einer traurigen Wahrheit, wie ich sie tagtäglich bei meiner Arbeit in der Buchhandlung erlebe. Die wenigstens Kunden stöbern einfach herum, lassen sich intuitiv leiten und einfach so von Büchern verführen, selbstbewusst und im Vertrauen auf das eigene Gespür.. Sehr viele steuern leider die Bestseller an, haben sich vorab informiert, was “man” gerade so liest, was Kritiker A und B empfehlen, was Mainstream ist, in dem man mitschwimmen will. Zum Glück gibt es aber auch noch die Schatzsucher, die sich weder von Autorenname noch von renommiertem Verlag noch von angesagtem Kritiker an der Nase rumführen lassen, sondern sich ein Buch quasi ohne Ansehen der Person(en dahinter) ansehen und sich allein vom Text zum Kauf verführen lassen. Oder von der Buchhändlerin, die ebenfalls eine Schatzsucherin ist und der es nicht in erster Linie um Teilhabe am Hype und um Verkaufszahlen geht, sondern eben auch ums Buch, um die Geschichte, um die Sprache, darum, ob man persönlich etwas damit anfangen kann und nicht nur einen populären Buchrücken aus dem Bücherregal zuhause rausblitzen lassen will. UND – um noch eins obendrauf zu setzen: “persönlich etwas damit anfangen zu können” halte ich für wichtig, und in meinen Augen gilt ein Leser/ eine Leserin dann als souverän, wenn sie liest, was sie will, egal, weshalb sie es will. Ob sie seicht unterhalten sein möchte oder herausgefordert oder etwas lernen möchte oder Bestärkung sucht, ob sie Geschichten erzählt bekommen möchte oder sich an exklusiver Sprache berauscht … Genau diese Souveränität wünsche ich mir, die keine Könige braucht und damit auch die selbsternannten Königsmacher überflüssig macht.
    Und jetzt muss ich zur Arbeit. Mit genau der richtigen Einstimmung.

    Herzliche Grüße!

    1. @Iris: Welch schöne Hommage an die Möglichkeiten Ihres Berufsstands! (Aber Sie wissen selbst, wie anders es oft aussieht und wie selten Buchhändler:innen ins Obligo gehen mögen – oder gar “dürfen”,. etwa, wenn sie in großen Ketten angestellt sind).
      Ja, es gibt diese Schatzsucherinnen und -sucher; nur, weder Verlage noch die Autor:inn:en können von ihnen leben, wenngleich sie genau für diese schreiben oder doch schreiben sollten: sie alle sind, auf die eine und/oder andere Weise Variationen des idealen Lesers, der Innenstimme, mit der sich Autorin und Autor, wenn sie schreiben, quasi unterhalten, bzw. der sie die zu erzählende Geschichte erzählen. Das Bizarre hieran ist, daß die Erzählung von denen, die sie möglicherweise gar nicht verstehen und auch nicht wollen, finanziert werden muß, weil wir ja nicht für Fürstenhäuser schreiben, die sich noch ihre Sänger halten. Unser Fürstenhaus ist die Menge – womit die Problematik des Verhältnisses von Kunst und Demokratie direkt bezeichnet wäre.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .