… und das Genie als autarke Erscheinung. PP71, 30. Dezember 2013: Montag. Mit sechs nachträglichen Sätzen zu Peter O‘Toole.

[Pettersson, Violakonzert.]

Von 5.40 bis knapp 7.40 Uhr trainiert.
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Es ist eigenartig, mit dem mir oft vorgeworfenen Öffentlichen Privaten: Eine entfernt lebende Freundin hat nun die, sagen wir, „Schlüssel“einträge gelesen – und versteht nicht, ahnt nur. Einer zweiten, noch entfernter lebenden Freundin erging es ähnlich damit. So öffentlich scheint also gar nicht zu sein, was ich schreibe. Wider all die Vorhaltungen scheine ich die nötige Diskretion genau so zu wahren, wie ich es wollte; ihre, der Vorhaltungen Substanz, zerploppt ganz einfach und erweist sich als mir allein von jener Bösartigkeit entgegengeschleudert, mit der ich es im öffentlichen Raum auch anderwärts zu tun habe und immer schon hatte. Ich dachte auf dem Laufband: Es ist genug, es werde Zeit, klare Fronten zu schaffen, und wer mir nahzusein vorgebe, müsse sich entscheiden, wo er stehe, wo sie stehe; andernfalls entschiede i c h und zöge den Grenzstrich. Mit war nach Tabula rasa.
Jetzt allerdings bin ich schon wieder weniger hart. Hab mich halt ausgepowert, die Muskulatur zieht mit leichtem Kitzeln. So ist auch die Seele matt, und man dreht die Melancholie in Richtung auf das nächste avisierte Ziel. Das durchaus nicht nah gesteckt ist. Für wen ich indes, vielleicht, dennoch indiskret war, das ist der Kreis der ohnedies Betroffenen und, nun ja, „Eingeweihten“. Aber für die kann ich verschlüsseln, wie ich nur will, sie werden i m m e r erkennen. Genau das war auch schon bei >>>> Meere so. Wenn jemand dann daherkommt und ausruft: Aber das bin ich! – da haben es die Vorwürfler billig, sich eingeweiht zu geben und davon zu sprechen, ich hätte ungehörig Grenzen überschritten. Es kommt ihnen schlicht genehm, so aufwandslos einen Grund zu bekommen. Die Leute können auf eine nicht faßbare Weise mies sein. Ihnen muß etwas fehlen, muß Substanz fehlen, und sie füllen die Löcher mit Dreck, den sie dann auf andere werfen – auf solche, denen die Substanz n i c h t fehlt oder von denen sie befürchten, daß sie nicht fehle. Substanz-selbst wird ihnen zum Haßobjekt.
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Wir lieben die hilflos Leidenden, weil wir über ihnen zu stehen meinen. Genau das war Nietzsches Kritik am „Mitleid“, seine „eigentliche“ Kritik. Das war auch seine Kritik am „Lob“. Es diene dem eigenen Machtzuwachs. Wo ich nämlich loben müßte, ohne in seinen, dieses Machtzuwachses, Genuß zu kommen, da stoße ich weg. Eine unterm Strich höchst widerliche Dynamik. (Ich drücke das moralisch aus, weil sich das Wegstoßen so moralisch kleidet).
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[Pettersson, Erste Sinfonie (nach Christian Lindberg).]
Auch das Genie soll ein Produkt des Marktes sein, also gemacht sein, worden sein; erscheint es von sich aus, rein als Phänomen, ist es nicht lenkbar und muß zertreten werden. Das Autarke widerspricht der Konsensgesellschaft, die Rede von Emanzipation ist falsch: gewollte ist eine, einzig, die sich einfügt.
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Ich hatte über Peter O‘Toole schreiben wollen, gleich, nachdem ich von seinem Tod erfahren habe. Das ist meiner gegenwärtigen Dschungelscheu wegen liegengeblieben. Er ist am 14. Dezember dieses Jahres gestorben, einundachtzig Jahre alt. Wenn ich ihn spielen sah, ihm in das Gesicht sah, war ich wie Hunderttausende, war auch ich Pop. Daß er erst im, vergleichsweise, Alter wirklich geehrt wurde, gehört zu dem, was ich eben übers Genie notiert habe.
Ich kannte ihn nicht, darum ist in diesem Fall ein Nachruf unangemessen. So lasse ich‘s bei >>>> dem da bewenden. Aber er war, T.E. Lawrence durch ihn, meine wahrscheinlich wichtigste Identifikations- und Leitfigur, derart, daß ich als Junge mich fragte, ob auch ein drittes Leben möglich wäre.
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[Pettersson, Zweite Sinfonie.]

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