Nach Wien! PP84, 15. Jänner 2014: Mittwoch. – I n Wien.

[ICE Innsbruck-Wien;
11.44 Uhr, Wörgl Hbf.]

Man fährt, seiner östsüdlichen Ausbuchtung wegen, ein Stück durch Deutschland. >>>> Schütte, der bereits einen früheren Zug nahm, war schon unterwegs, als ich den ICE bestieg, wobei mir schleierhaft ist, wie es >>>> die Alte Schmiede hinbekommen hat, mich für einen Preis, um den man in Berlin nicht einmal ein Ticket nach >>>> Braunschweig erhält, in die Erste Klasse einzubuchten; es ist, glaube ich, in meinem Leben das überhaupt erste Mal, daß ich Erster Klasse reise, zumal heut vormittag in einem Abteil für mich ganz allein. Jedenfalls SMSte mir Schütte kurz nach zehn, er fahre bizarrerweise durch das trübe Land seiner Kindheit, ich möge bitte schauen. Mein Bruder wurde in Traunstein geboren, so wär‘ denn auch Kindheit für mich? Zwei Erinnerungen, nur, sehr alte, von denen ich nicht weiß, ob sie nicht spätere Fantasie, Konstruktion also, sind. In >>>> Meere kommt Fichte, der Maler, auf sie zu sprechen.
Weißbestäubter Wald auf den bereits wieder kleinen Bergen, die Lichtungen beschneet wie in Märchen. Kufstein. Der schmale Fluß türkis, so sauerstoffgereichert.
*****

Es war ein konzentriertes von, abgesehen von einem Hörer, Vorurteilen ganz freies Publikum gestern abend, wie insgesamt da alles so, wie ich‘s vorhin, als ich noch Netz hatte, >>>> dort kommentiert hab. Insgesamt erweist sich als klug, als aus herzliche entgegenkommend, den Hörern, bevor man zu lesen beginnt, causierend von dem Vorhaben zu erzählen, das schließlich zu diesen Romanen geführt; ihnen die Blicke erst einmal zu öffnen, so daß sie nicht verlorengehen oder, wenn sie den Anschluß gefunden haben, ihn zugleich wieder verlieren, weil der Vortragende schon so viel weiter ist unterdessen. Kleine Befreiungen. Wie gestern dort, so dampfe ich hier meinen eCigarillo, hier vor mich hin: meditative Akte. In Wien erwartet mich die Löwin. Wir haben es aber bei dem Hotel gelassen, damit auch sie das Gefühl hat, auf Reisen zu sein. Aber in die Alte Schmiede will sie nicht mit. „Da sind zu viele, die mich kennen, werden zu viele sein, denen ich erklären müßte. Ich möchte die nicht in eine Situation bringen, die heikel und vielleicht sogar peinlich für sie ist.“ Immerhin, sie ist verheiratet, und durchaus nicht mit mir. „Es wäre auch unfair ihm gegenüber. Man führt nicht vor, wen man liebt.“ Großartige Frau, fürwahr. Und andere Frauen werden dort sein, die ich seit langem nicht mehr oder noch nie, real, gesehen, mit denen ich aber teils intensiv korrespondiert habe, intensiv sinnlich. Das verpflichtet uns auf Balance. Ich habe das Gefühl, auch der Männer wegen, die hinkommen werde, in die Konkretisierung von Geschichte zu fahren, einer, die mit Der Dschungel beinahe ganz identisch ist.
Heumilch. Der Riese Haymon. Sankt Leonhard. Das aus Tirol nehme ich als Märchen mit: kleine Mären, also Geschichten. Maria im Walde. Der Baum ein Totem des Votivs:

Jeder Roman, der erscheint, sagte ich vorgestern früh den Studenten, ist bereits Geschichte – jeder ein historischer Roman, auch dann, wenn er sich als Science Fiction verkleidet und damit in der Zukunft spielt.
Sind graue Gänse Graugänse? Zwei vor dem Hof auf der Wiese. Drei Schafe, eines braunzottlig. Die Berge liegen zurück. Deutsche Nummernschilder an den Autos. Ich solle bitte aufpassen, hat Uwe Schütte geschrieben. Rosenheim. Das Netz hat für die Dichtung die Gegenwart möglich gemacht. Das ist, von hinten betrachtet, ein Schritt in die Zukunft. Eine Schienenkurve, und die Berge sind wieder zu sehen, Alpenpanorama. In jedem Haus davor wird gevögelt. Grad das Bild im inneren Kino, wie sie alle ineinanderstecken, winselnd, grunzend, brüllend, ächzend. Gut, ich nehme die Kirchen aus, und die Kirchlein, Kapellen, obwohl gerade das bedauerlich ist. In jedem Waldstück wird gevögelt, im Wortsinn tierisch. Das Leben findet einen Weg. Geschlechtsnah leben: use it or lose it. Zentrale Kategorie der Poetik. Des eigenen Körpers eigen werden als dem Fundament jeglichen Geistes. Eine einfache „Rechnung“: Ohne Körper kein Geist; Körper aber sehr wohl ohne Geist. Wenn es Mösen und Schwänze nicht gäbe, gäbe es auf keinen Fall Gott. Um das zu begreifen, genügt es, in ein Stückchen Wiese zu gucken. Sehen wir nur „den Text“, begreifen wir n i c h t s. Das gilt auch für diesen hier. Die Berge kehren zurück. (Ich fragte gestern mittag: „Gibt‘s hier denn keine Folletti?“)

[12.29 Uhr.]

*******

Traunstein. Hagen. Hier ganz in der Nähe auf einer Alm, deren Schräge ich sehe (nur Gras sehe ich und herum dichte Baumsilhouetten, deren Arme mir lockend, Folletti. winken), haben wir einmal gelebt, meine Mutter, mein Vater, mein KleinkindsIch und mein Säuglingsbruder. (Aber ich erkenne nichts). Nahezu vier Jahre lang haben wir hier gelebt. Dann die Scheidung, und mein Vater, für uns Kinder, verschwand: für mich, bis ich siebzehn wurde, für meinen Bruder, bis er, der Vater, tot war; und er, der Bruder, folgte schon bald.

Jetzt lauter Höfe, die es gewesen sein könnten. Mit den Augen die Landschaft befragen. Die ungefähre Antwort gibt. „Denk‘s dir!“

Rehe, im Gatter. Der Hirsch trägt, noch filzig, Geweih.

Zu dösen beginnen. Das erste, wieder, Massiv. Man findet hier einen Stein, mit dem man sich den Riesen zu erschlagen traut. Trautestein, Traunstein. Salzburg erstmals ausgeschildert (Landstraßenkreuzung). Aus Österreich durch Deutschland nach Österreich hinein. Der Hut, den ich trag, ist von Biber.

[12.55 Uhr.]

*******

Angekommen. Gregorio Allegri, Cantata domino à quattro. And The Black Grouse, vom zollfreien Einkauf des Innsbruckfluges. Eine Seltenheit zudem: Ich darf auf meinem Zimmer rauchen, es steht ein Aschenbecher da.

[17.10 Uhr
Ins Bad.
Während der Zugfahrt in Napel gewesen: Gedicht III, der Langzeiler; Rhythmusarbeit.]

*******

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .