Vierter Tag vor der Großen Fahrt. PP131, 25. März 2014: Dienstag. Wie macht denn das der liebe Gott?

(9.30 Uhr.
Bohuslav Martinů, Julietta (Traumbuch), Vinyl.)
Nun ist alles erledigt, und ich bin bereits mitten in den Vorbereitungen zur Großen Fahrt. Während meiner Abwesenheit wird ein Bekannter hier wohnen, damit die Arbeitswohnung nicht unbeaufsichtigt ist; außerdem besorgt ein Freund die Post, ebenso zuweilen mein Sohn. Vollmachten sind zu schreiben, damit gegebenenfalls Verfügungen getroffen werden können. All das braucht seine Zeit.
Zur poetischen Arbeit komme ich derzeit kaum:ein bißchen weiter >>>> Joyce übersetzen, in die eigenen Gedichte schauen, das war‘s denn auch schon. Meine Lan-Verbindung funktioniert nicht, indes WLan anstandslos operiert. Seltsam. Aber darum kann und mag ich mich erst nach meiner Rückkehr kümmern.
Ein neues Engagement, für den Juli, trudelte ein, ein Essay ist zu schreiben; aber auch das erst im Mai/Juni. Ende Mai geht es noch einmal für eine Woche nach Paris, wofür ich gestern schon den Flug gebucht habe. Meine erste Lesung in Paris wird dann stattfinden; ich hoffe, daß >>>> Prunier dabeisein wird. Naheliegenderweise, weil das Buch eben ins Französische übersetzt und in Frankreich auch erschienen ist
, wird >>>> der New-York-Roman (im Link die deutsche Fassung) im Zentrum stehen, auch wenn ich etwa >>>> Die Fenster von Sainte Chapelle sehr viel passender fände:
Vielleicht übersetzt Prunier ein paar Passagen, ich werde ihm schreiben und fragen.
Daß wir Frühling haben, ist ganz offenbar, auch wenn es noch, bzw. wieder sehr kühl geworden ist, vor allem frühmorgens. Ich hab den Sport wieder aufgenommen.

Die Löwin hat das Typoskript meines alten Romanprojekts „Die Liebe in den Zeiten des Internets“ mit nach Wien genommen und gestern in einem Zug gelesen, fast 300 Buchseiten immerhin. Und sie war ziemlich benommen nach der Lektüre; wir „facetimeten“ gegen Mitternacht. Der Text scheint Grundfragen zu stellen; heftig war ihre nicht ganz ungeschockte Wähnung, es gebe imgrunde gar keine Individualität, sondern das, was uns bewege, habe einen allgemeinen Charakter. Ich kann mich an meinen eigenen Text gar nicht mehr genau erinnern, aber was sie, die Löwin, aus ihm herausliest, entspricht tatsächlich meiner Meinung über die Angeblichkeit der Willensfreiheit. Jede/r von uns ist Realisierung einer auch in vielen anderen Menschen enthaltenen Struktur. Diese selbst nenne ich Allegorie, ihre Umsetzung in den Einzelnen ein Muster. Vielleicht nehme ich diesen Gedanken im Sterbebuch wieder auf, dort dann ohne Aufbegehren, vielmehr als schlichtes Akzeptieren, als ein friedliches Annehmen, vielleicht sogar friedvolles Wollen. Bevor Gregor Lanmeister auf dem Schiff in einem anderen Meer als dem versinkt, auf dem es fährt, im kosmischen Meer, das alle Meere und jegliches Land in sich beschließt.- Ich hatte uns neulich als ein sinnliches, geradezu unmittelbares Bild vor Augen: nämlich wie die Nebelkammer in >>>> Argo
: – wie wir erstehen, uns kurz blähen, dann zergehen, aber zeitgleich erstehen und blähen Andere, etwa mein Sohn, und auch er zergeht und die Andren zergehen, aber immer folgen neue Blasen nach. Daß sie denken und fühlen können, macht, daß ihre Zeit ihnen lang vorkommt, und erst, wenn sie vorüber, wird sie plötzlich kurz gewesen sein, sehr kurz und Vergangenheit so lange her, wie mir kaum mehr wahr ist, daß mein Sohn einmal ein Kind, sogar ein kleines Kind gewesen -. Eltern – alle, glaube ich, Eltern – kennen dieses Gefühl. Und wie alt man geworden ist, ist an der Entfernung zu dieser vergangenen Kindheit zu erkennen, viel weniger an der zur eigenen, weil man selbst das Gefühl hat, man sei identisch geblieben. Was aber auch ein Irrtum ist:

Aber wie kann das wirklich sein,
daß ich die kleine Resi war
und daß ich auch einmal die alte Frau sein werd! …
Die alte Frau, die alte Marschallin!
»Siehgst es, da gehts’, die alte Fürstin Resi!«
Wie kann denn das geschehen?
Wie macht denn das der liebe Gott?
Wo ich doch immer die gleiche bin.

Hofmannsthal/Strauss, >>>> Der Rosenkavalier, I.

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Kann es sein, daß ich “Die Liebe in den Zeiten des Internets” werde wieder aufnehmen müssen, sollen? Hatte ich dieses Projekt nicht schon für immer beiseitegelegt, nachdem es seinetwegen diesen Krach bei Random House gegeben hatte? „Was machen deine Texte mit den Menschen?“ hatte KS geschrieben, der dortige Lektor. „Ich habe meine Kollegen noch nie so außer Beherrschung erlebt.“
Nach meinen Erfahrungen mit >>>> Meere
war dieses Buch für mich damit tot. Aber, andererseits, ich habe es nie vom mittleren Arbeitstisch genommen, auf dem die je derzeitigen und späteren Vorhaben liegen. Eben dort hatte es die Löwin auch entdeckt. „Ob ich das wohl mitnehmen darf?“
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7 thoughts on “Vierter Tag vor der Großen Fahrt. PP131, 25. März 2014: Dienstag. Wie macht denn das der liebe Gott?

  1. Individuell Während aber dem Tiere die Reihe der Wiederholungen unabänderlich vorgegeben und auch ausnahmslos vollzogen wird, und dies ad infinitum, inhäriert die Geburt eines jeden konkret einzelnen Menschen, wo immer dies auch geschehe, die Möglichkeit der Veränderung der ganzen Welt.

    1. Wenn es anders wäre, wenn einem jeden Menschen n i c h t im Kern die Möglichkeit zur Veränderung der ganzen Welt inhärierte, dann läge die Kritik an einer zweiten Natur, die den Menschen geworden, mehr als daneben.
      Als der große Adorno zu gab, vom Standpunkt der Erlösung aus zu philosophieren, als er dies zugegeben, da war er augenblicklich über die Verlegenheit jeglichen in mechanistischen Strukturen verbliebenen Denkens hinaus.

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