Untriest 73. Freitag, der 24. April 2015. Mit, in absentia, Rolf Dieter Brinkmann.


Arbeitswohnung, 7.06 Uhr


Stilles Leben mit Witzel,
>>>> Thetis und Ror Wolf


Es wurde, Geliebte, (bevor ich „schließlich“ schreiben kann),

ein ziemlich ausgelassener Tag, nachdem wir doch noch einmal, nun aber die allerallerallerletzten Korrekturen in den Druckfahnen angebracht hatten, des >>>> Taumschiffs; auch ging es um einen Zitatsatz auf der U4, für den sich meine Lektorin mit >>>> mares Cheflektorin und Verleger sofort einig war; nur ich hatte, habe sie weiter, mein Bedenken. Doch tut und tat es nichts, sondern wir verfielen – während zugleich sehr konzentriert auf letzte Korrekturen gelesen wurde – in eine Art schriftlich ausgetauschtes Kichern: scherzten, fanden ständig Bonmots – und alberten uns so durch die Anspannung. Alles war leicht und, ja, es hüpfte. Schließlich begann ich eines meiner Ulkgedichte, augenzwinkernd meiner Lektorin zu Ehren, und setze es hier nun auch Dir hin:

Für Elvira M. Gross, mit Zwinkern

Es war einmal ein Lektorat
auf einem ziemlich schmalen Pfad,
der sich durch Seiten schlängelte
auf denen es sich drängelte

vor Neolo- und Gismen,
Anachronismen, Phrasen,
die sich nur mühsam lasen
all die verqueren Schismen

aus falschen Traditionen,
zu schweigen von Diktionen,
die links und rechts aufragten,
um es dem Besagten

schwerer noch zu machen
mit all den schlechten Sachen
der Stilverherdulei —-

Da konnten wirklich nur herbei,
um über Sinn und Form zu wachen
(weil‘s das ist, was Lektoren machen),

die Axt in einer Hand – und schlag!
das Gröbste schon am Boden lag –,
und in der andren die Machete:
nur die noch, und wie Knete

ward unter dieser Knute
(der Autor zog ‘ne Schnute)
ganz weich der ganze lange Stieg,
auf daß ein jeder Leser lieg‘

endlich im Sonnenglanz der Gipfel,
auch wenn man meint, ein Zipfel
nur von dem früheren Gedichte
hätt Teil noch an dem Lichte.

Später, bevor ich in die >>>> Literaturwerkstatt aufbrach, legte ich noch nach, aber das Dingerl war vielleicht etwas zu zweideutig. Jedenfalls kam keine Reaktion mehr, aber ich war auch schon fort

zu einem Brinkmann-Abend mit Maren Kames, Dieter M. Gräf und Jan Volker Röhnert, ausgezeichnet von Jörg Sundermeier, dem >>>> Verbrecher-Verleger, moderiert. Ich fand insbesondere Kames’ Einlassungen interessant, diese sehr, wie ich fühle, weibliche, Herz, Amivalenz aus Abstoßung und hoher Attraktion besonders gegenüber dem, was ich einen Modus männlicher Selbstdarstellung nennen möchte. Sie fungiert ja nicht nur, vielleicht sogar am wenigsten, gegenüber anderen und einer größeren Öffentlichkeit, sondern vor allem intim, gegenüber sich selbst. Das hätte ich gerne angesprochen, aber zu einem Publikumsgespräch kam es nicht mehr; die Veranstaltung überzog eh, doch ohne daß es auch nur einmal langweilig wurde.
Von Kames, nachdem ich mich heute früh ein bißchen umgesehen habe, gibt es im >>> Poetenladen übrigens ein kleines Hörstück: >>>> against: blank. Am Abend trug sie ebenfalls eines vor, zu Brinkmann, aber es krankte an, denke ich, mangelnder Probezeit; die Schnitte zwischen „In“ und „Off“ hakten – was sich hätte als eine Performance inszenieren lassen, doch wäre für so etwas erst recht Probezeit nötig gewesen. Schade also. Jedenfalls fand ich ihre Einlassungen ausgesprochen erfrischend. Dir wäre es, glaube ich, ähnlich gegangen. – Interessant auch die Differenz in den Enschätzungen: Was von Brinkmann „bleiben“ werde? fragte Sundermeier. Röhnert sprach sogar von „Haltbarkeit“ – einen Begriff, den seltsamerweise niemand aufnahm. Durchaus klassizistisch votierte er für die fest notierten Gedichte, während Gräf und Kames sehr klar die subjektivistischen, nichtgeformten Materialhalden, die eben auch Haltungshalden sind, als „Bleibendes“ benannten, Brinkmanns Furor, seine Unbedingtheit usw. – woran etwas sein kann; nur daß die, die es anginge, wenn etwas von vorher geblieben ist, nämlich die Jungen, im Publikum völlig fehlten, von Kames einmal abgesehen und von den Mitarbeitern der Literaturwerkstatt. Stärker als je hatte ich, Du Sehnsuchtsfrau, den Eindruck eines Schnitts, wenn nicht sogar Risses durch die Autor:inn:engenerationen.
Dazu paßte dann das kleine Hickhack zwischen Renate von Mangold, Rainer G. Schmidt und mit über >>>> Witzels Roman, den die beiden unerträglich finden, während ich ihn – mehrfach nun schon fast bekennenderweise – für ausgezeichnet halte. Beide haben aber nicht gelesen, sondern nur Lesungen gehört. Was nun aber meine eigene Haltung zu Brinkmann anbelangt, so hat er mich nie erreichen können. Ich schalte bei permanenten Schmähtiraden ab, auch wenn Gräfs Idee, sie als quasi negative Mantras zu verstehen, einiges für sich hat. Doch mich lockt der Hymnos, lockt die Verwandlung; mich lockt das Wunder und, wo keines ist, es hinzuerfinden. Das weißt Du, Liebste, doch, wie so gerne ich preise – und eben nicht nur Dich. Doch dieses, anima mea, in unverbrüchlicher Stete.

Dein
Alban

P.S.: Soeben geht auf dem zweiten Hinterhof eine Motorsäge los; es werden da wohl die Bäume und Büsche gestutzt. Keine Dschungel nirgends.


2 thoughts on “Untriest 73. Freitag, der 24. April 2015. Mit, in absentia, Rolf Dieter Brinkmann.

  1. Und soeben schickt mir Gräf, den ich drum bat, weil mich der Text beeindruckt hat, seinen “Nachtrag, Rolf Dieter Brinkmann betreffend”; er, also Gräf, wird mir verzeihen, wenn ich Dir aus dem ausgezeichneten Gedicht zitiere – in Form eines Scans, weil ich’ Gräfs Setzung der Verse nicht ins html bekäme:

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