Mit Henning Bobzins Pentalogie von Herbst. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 22. Juni 2015. Und Schirmbeck, ff., daz u.


[Arbeitswohnung, 9.33 Uhr]

Langsam gewöhne ich mich an die neue Tastatur, tippe freilich immer noch Fehlbuchstaben, weil die Tasten so klein sind und für meine Fingerkuppen zu eng beieinanderstehen, so daß ich dauernd zurückspringen und herauslöschen muß; dennoch beginnen sich einige Shortcuts nun zu automatisieren, so daß ich, während ich Voriges schreibe, schon Weiteres so vorandenken darf, wie ich es gewöhnt bin und brauche, um in dem mir wichtigen Prozeß des Fließens zu sein und zu bleiben.
Völlig überraschend für mich gestern die Entdeckung >>>> dieser fundierten, sorgsamen Arbeit. Es ist die wohl erste Dissertation über das, was sich mein Hauptwerk nennen läßt, wobei mich daran – unabhängig davon, ob ich mit allen Urteilen, bzw., Einschätzungen darin glücklich bin – bestätigt, daß ich schließlich, nach den langen vergeblichen Versuchen, in meiner Gegenwart akzeptiert zu werden, um von „begriffen sein“ ganz zu schweigen, recht damit gehabt habe, es müsse eine nächste, vielleicht sogar übernächste Generation herangewachsen sein, die ein gänzlich anderes, ein modernes Verständnis dessen habe, was sich an Entwicklungen in meiner eigenen Zeit vollzog, um überhaupt erst einmal den Ansatz zu verstehen, der vor allem meine Romane prägt. Daß für den Zyklus, der mit der Verwirrung des Gemüts begann und mit Argo zum Abschluß kam, sogar der Begriff „Pentalogie“, und zwar expressis verbis, herangezogen und daran auch Die Dschungel assoziiert wird, macht mich geradezu glücklich – auf eine etwas melancholische Weise freilich, weil ich weiß, daß dieser Strang meiner Arbeit und eben auch meines Lebens wirklich zuende gegangen ist. Es wird in den kommenden Büchern keinen Hans Deters mehr geben, allenfalls noch, in dem „anfantasierten“ Dominantenroman, Daniello. Daß ich das Kupferschild an meiner Wohnungstür, Herbst & Deters Fiktionäre, noch nicht abmontiert habe, hat schlichtweg sentimentale Gründe.
Wiederum. Daß Bobzins, nunmehr Dr. Bobzins, Untersuchung ganz offenbar nicht als konservatives Buch, sondern bei der >>>> Universität Göttingen im Netz erschienen ist, dünkt mich ein treffendes wie treffliches Zeichen. Zum einen ist wirklich nicht einzusehen, weshalb sich Wissenschaftler, um ihre Arbeiten in zumal sowieso immer nur geringem Ausmaß zugänglich zu machen, bisweilen sogar verschulden müssen – entsprechend teuer, fast unerschwinglich sind diese Bücher dann –; eine Netpublikation sichert ihnen zum anderen die sogar denkbar größte Distribution; sie müssen halt nur, wie aber die konservativen Bücher auch, bekanntgemacht werden. Dafür, wenn auch nur nebenbei, dient dieser Beitrag, den ich hier schreibe, mit. Bei wikipedia, wo er unter „Weblinks“ eingetragen werden soll, obwohl er seinem Character nach in die Rubrik „Literatur“ gehörte, ist er noch nicht freigeschaltet. Das wird, denke ich, noch kommen; ich habe das Glück, daß meine Site dort ziemlich sorgsam betreut wird.
Jedenfalls habe ich mein ganzes Gestern damit verbracht, in dieser Doktorarbeit herumzulesen. Nein, ich war nicht immer verzückt, darum geht es auch gar nicht, doch unterm Strich beeindruckt. Und mit mancher Kritik hat Bobzin schon recht, etwa daß die für meine Arbeit grundlegenden Begriffe „Wirklichkeit“ und „Realität“ immer mal wieder durcheinandergehen und der eine benutzt wird, wo der andere zu stehen hätte, und auch an meiner, ebenfalls grundlegenden, Verwendung des Begriffs „Kybernetik“ läßt sich manches kritisieren: Dumm daran ist, daß ich nun nicht mehr zurückkann. Ich werde mir vielleicht etwas überlegen, wie ich ihn in späteren poetologischen Arbeiten gegen seinen objektiven, den quasi längst gesetzten Sinn poetisch umdefiniere. Aber Bobzin erschließt, was ich meine, sehr gut aus dem Kontext -. was freilich nicht bedeutet, andere könnten das, oder wollten es auch nur, ebenso wie er.
Da hat sich also einer über Jahre, die ja doch L e b e n sind, mit meiner Arbeit beschäftigt; das ist schon allerhand, das ist nicht „normal“, und ich kann weder, noch möchte ich‘s, darüber schweigend hinweggehn: Das wäre arrogant. Zudem gehört es zum „Wesen“ der neuen Medien, daß reagiert, auch daß Danke gesagt werden kann. Das möchte ich jetzt gerne tun, zum einen, zum anderen aber auch ein paar kleine Revisionen, bzw. Ergänzungen anbringen.
Zu diesen gehört die Geschichte des falschen Passes, die von der Verwirrung bis sogar noch Thetis durchläuft. Aus verständlichen, interpretationsimmanenten Gründen weicht Bobzin vor der autobiografischen Deutung zurück und zieht sie erst bei Der Dschungel hinzu, wo es eben unumgänglich ist; im übrigen deutet er allenfalls an. Doch für die Geschichte des falschen Passes ist sie unerläßlich, also für ihr Verständnis. Denn nicht nur ein Reflex auf sie, sondern ihr dauerhafter Anlaß und währender Grund war die Notwendigkeit, daß ich – ich persönlich – meinen Herkunftsnamen ablegen mußte, wenn ich denn publizieren wollte. Es wäre anders nicht möglich gewesen, objektiv nicht. Bobzin erwähnt den Vorgang zwar, nennt auch Arno Münster, aber hält den persönlich-existentiellen Aspekt, den so etwas hat, methodisch aus seiner Untersuchung heraus. Wobei mir auffällt, an mir selbst, wie ich noch vor zehn Jahren, darüber verstimmt gewesen wäre, hätte er das nicht so getan. Erst heute sehe ich es anders – was ebenfalls mit dem Abschluß der, gerne, ja!, Pentalogie zusammenhängt und damit, daß sich seit den Bamberger Elegien meine Perspektiven mehr und mehr verschoben haben. Auch daß ich seit 2006/07 wieder mit Alexander v. Ribbentrop „firmiere“, hat ganz persönliche Gründe; daß ich es in den Büchern schließlich doch nicht tue, hängt mit Überlegungen zum Markt zusammen und einer entsprechenden Scheu vor Label-Diskontinuitäten. Bobzin irrt aber in der Meinung, mein „wahrer“ Name sei zur Zeit meiner ersten Veröffentlichungen nicht bekannt gewesen; dem Betrieb war er es sehr wohl. Ihm, Bobzin, sind wahrscheinlich ein paar Rezensionen entgangen, etwa Heiko Postmas, der seinerzeit vorauswähnte (seiner Zeit voraus wähnte), ob mit dem falschen Paß „gar eine großformatige Mystifikation“ ihren Anfang genommen habe. Nachherige Rezensionen sprachen noch in den Neunzigern mehr oder minder hämisch von meinem „pikanten Pseudonym“. Letztlich ist das subkutan nie abgerissen, wirkt bis heute nach, allerdings nicht mehr oder kaum noch in der Generation, der Bobzin angehört. Auch darauf mußte meine Arbeit warten.
Spannend ist etwas anderes, ein tatsächlicher Irrtum Bobzins, weil er ihn dennoch zu völlig richtigen Schlüssen führt: nämlich geht er davon aus, daß die gleich anfangs der Verwirrung des Gemüts erzählte Filmszene, die eines der thematischen Hauptmotive dieses Buches bestimmt (und derethalber sich, übrigens, bayerische Buchhandlungen weigerten, es offen auf den Verkaufstisch zu legen), aus Pasolinis Salò stammt. Tatsächlich ist sie aber in >>>> Tinto Brass‘ „Caligula“ von 1979 zu sehen, mit Peter O‘Toole, dessentwegen ich hineingegangen war, als Tiberius. Es hätte Salò aber sein können. Das für mich eben Spannende ist, daß sich in Bobzins Arbeit also eine Möglichkeit eingeschlichen hat, die den Autor zurselben „Realität“ führt, als wenn er sich hätte auf etwas Gesichertes, also Faktisches, gestützt. Insofern schmiegt sich seine Dissertation ohne sein Wissen in meine Möglichkeitenpoetik geradezu ein. Übrigens ist er der wohl überhaupt erste, der begriffen, jedenfalls es geschrieben hat, wie sehr meine literarästhetischen Überlegungen zum „Privaten“ und wie sehr also ihre literarische Umsetzung in Der Dschungel durch den Buchprozeß um Meere bestimmt sind, zumindest es waren.

So weit erst einmal dazu.
Ich muß jetzt dringend mit der Niederschrift des Schirmbeckvortrages beginnen, nachdem sich das, was ich erzählen und erklären möchte, einigermaßen in meinem Kopf geformt hat. Das Wochenende stand im Zeichen eines Freundesbesuchs, bei dem wider meine Absicht dann doch noch reichlicher Alkohol floß. So wenigstens in dieser Woche sowas nicht mehr trinken; gestern ging‘s schon gut. Dann noch mal Abstinenzaussetzerei von nächstem Montag bis Mittwoch, veranstaltungshalber, dann aber wieder ohne Alkohol bis zum 3. August, wenn‘s nach Paris geht und direkt darauf nach Italien.

Wer immer hier mitliest, habe einen guten Tag.
ANH

2 thoughts on “Mit Henning Bobzins Pentalogie von Herbst. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 22. Juni 2015. Und Schirmbeck, ff., daz u.

  1. Doktorarbeit Na bitte, über das Werk welches Zeitgenossen wurde denn schon eine Doktorarbeit geschrieben! Glückwunsch! Back in BB grüße ich Sie.

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