III,84 – Die Gegenstände nähern sich in der Entfernung

Die Oberarmmuskeln anspannen, die Finger an den knapp nach vorn in Brusthöhe geworfenen Händen auseinanderspreizen und verkrampfen, ein paarmal mit den Muskeln zucken: es bedarf solcher Übungen, um sich darauf vorzubereiten, etwas Unwichtiges zu schreiben. Wir sehen gerade durch, und die Gegenstände reihen und ordnen sich von selber. Wie zu Beginn meines mittäglichen Ganges zur Apotheke: eine Jemandin von hier geht vor mir und mir wird das Entgegenkommen der Ukrainerin willkommen, da konnt’ ich dann stehenbleiben und verhindern, die Einheimische, die vom Sehen ich sehr wohl kenne und der ich auch mal gegenübergesessen beim jährlichen Nachbarschaftsessen in der Gossen, im Zeitlupentempo zu überholen, denn ich ging nur ein ganz klein bißchen schneller, weil ich nicht gewußt, was sagen. Wir sehen das Entferntere nicht unmittelbar, sondern durch das Nähere. [Was die Bürgermeisterkanditaten von Rom und Mailand am liebsten lesen… solch ein Betreff jetzt: amazon-Mail]. Kurz, in der Nähe erweist sich die Ferne. Mich der Apotheke nähernd winkt von Ferne dann l’ami belgique, der frische Vater. Komisch, daß wir beide das gleiche Ziel hatten: die Apotheke. Das Entferntere scheint uns nur klein in Vergleichung mit dem Nähern – oder, in so fern wir es uns, wie auf der Fläche eines Gemäldes, eben so nahe wie das Nähere denken; oder es mit dem Nähern gleichsam in eine Reihe stellen. So daß wir, nachdem wir uns einander genähert, in der Apotheke in eine Reihe stellten. Man wolle nächste Woche für drei Wochen nach Belgien fahren: gut, also dann morgen die der Mutter versprochene Teatime. Daher kommt es, daß die Ferne zusammendrängt. Gut, daß er nach der Erledigung in die andere Richtung mußte, ich hatte es eilig, war unter Arbeitsstreß heute. Auch am Zweithandklamottenladen ging ich vorbei. Auch da war ich froh, daß L. zwar in der Tür stand, die linke Hand mit der Zigarette nach draußen haltend, aber sich ansonsten einem Herrn im Innern zuwandte, sonst hätte ich kurz stehenbleiben müssen. Die Gegenstände nähern sich in der Entfernung immer mehr der bloßen Idee von den Gegenständen; das Gesicht nähert sich immer mehr der Einbildungskraft, je weiter der Gesichtskreis wird. Am Metzgerladen vorbeigehend, wunderte ich mich, daß diesmal keine Porchetta im Schaufenster zu sehen war, schlug dann wie üblich den Panoramaweg ein. Daher sind wir im Stande, uns die Gegend wie ein Gemälde, und das Gemälde wie die Gegend zu denken. Grün indes die Suppe des weit unten stille stehenden Wassers mit dem Namen ‘Rio Grande’ inmitten der Baumreihen. Wir wandeln die Allee hinunter; das Zusammengedrängte erweitert sich, wie wir uns nach und nach ihm nähern; die Wirklichkeit tritt wieder in ihre Rechte. Aber dann wieder die Gasse, die sich scheinbar nach außen wölbenden Mauern. Wo das Auge durch nichts gehindert wird, da sehen wir Wölbung und Fläche. – Und wieder angekommen in der sich kurz wölbenden Erschöpfung wurde vorm Wiedereinstieg ins Wörterproduzieren die Zigarette zum Platzhalter der Nichtlust. Das Höchste, was uns erscheinen kann, ist die Wölbung – über diese kann uns nichts erscheinen; denn die Wölbung ist über allem. – Die sich tatsächlich arg in den Tag hineinwölbte. Aber auch Deutschland und Polen haben hart aneinander gearbeitet. Um es mal so zusammenzufassen. Heute aber ist kein Fußball vorgesehen. Das Kursive gibt vollständig wieder: K. Ph. Moritz, —> Grundlinien zu einer Gedankenperspektive, in: Magazin für Erfahrungsseelenkunde, Siebenten Bandes drittes Stück, 1789, S. 81 f.

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