Dieses hier ist nicht Sizilien! Das zweite Sizilienjournal im Oktober 2016, nämlich des Dienstags, dem 4., auf Mittwoch, den 5. Oktober 2016. Mazzarò unterhalb Taorminas, sowie die Flucht im Regionale über Messina nach Palermo.


4. Oktober
[YHA >>>> Cohen Hostel, 22.31 Uhr]


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Das hier ist n i c h t Sizilien. Dies ist Betrug, zumindest Nepp. Was gewiß nicht an der Bulgarin liegt, die das Haus, im Auftrag, betreut und dafür, so glaube ich, frei darin wohnen darf oder gegen eine geringe Miete.
Es liegt an der Lieblosigkeit. Daran, daß Menschen wie Melkvieh angesehen werden, die Deutschen und Österreicher (es ist voll mit ihnen zur Zeit) möglicherweise besonders.
Ich war für dieses Haus der Super-GAU. Habe gerade den schönsten Schreibplatz, der sich nur denken läßt; auf einem Balkon mit Blick auf die (jetzt im Dunkel des Nachtmeers versunkene) Isola bella und nach Taormina hinauf; futtre, nach dem guten Mahl, einen für die hiesigen Bauern typischen so hartscharfen wie salzigen Pecorini pepato zum (extrem überteuerten) Wein, könnte also zufrieden sein, wäre dem allen nicht eine Art Kampf vorausgegangen

5. Oktober
(Regionale Taormina-Giardini/Messina/Palermo, 11.40 Uhr]


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Jugenstilbahnhof Taormina-Giardini


… „vorausgegangen.“ Also ich kam an, hinten am Rucksack baumelte der (offene) Beutel mit den noch auf Catanias Fischmarkt erstandenen Calamari (wo ich zudem eine wirklich riesige Auster gegessen hatte)



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, und ging die knappen drei Kilometer auf der die scharf eingeschnittene Küste entlangführenden Strada statale zu Fuß, erst in den vorgeschobenen Berg hinauf, dann wieder hinunter – als Isola bella bereits zu sehen war. Googlemaps behauptete, alles sei leicht. „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Fein, dachte ich. Nur wo ist es? Kein Schild, kein Pfeil, kein Nichts. Hotels freilich eines neben dem anderen.
Man wird sich wohl kennen, dachte ich.
„Cohen Hostel? Nie gehört?“
Dann steh dann mal da mit 20 Kilo auf dem Rücken.
Auch die nächste Empfangsdame kannte sowas nicht; sie sah mich an, als hätte ich eine unsittliche Bemerkung von mir gegeben. Ich revanchierte mich und dachte: Weniger essen, Signora. Oder doch wenigstens jeden Tag ein- bis anderthalb Stunden schwimmen. Wenn man das Meer schon vor der Tür hat. Und in welch prächtigem Türkis!
Wie heiße die Straße? Ah! Bongiovanni, da müssen Sie hier ein paar Schritte weiter das Treppchen hinauf.
Eine in den Fels gehauene Steintreppe, schmal, gut zu übersehen, aber auch da kein Schild. Nr. 29, wo sind verdammtnocheins die Hausnummern. Ich stieg an der richtigen einfach vorbei, hielt dann fast ganz oben eine herabsteigende junge Französin an. Aber auch die hatte von einem Hostel Cohen nie was gehört, kramte indessen ihren Plan heraus, fuhr mit dem Finger die Wege nach.
Gut, ich suchte nun, wirklich bereits völlig in Schweiß, die Telefonnummer des Hostels und rief an.
Niemand nahm ab. Erst Freizeichen, lange, dann die italienische Nachricht, daß besetzt sei.
In jedem Fall wieder herunter, meinte Googlemaps. Aber dann stehe ich abermals vor Kennenwirnicht. Und ich ahnte bereits, wie teuer hier eine „normale“ Unterkunft käme.
Wieder runter, ganz, und abermals ein Stückchen hinauf.
Konnte das sein?! Da! Ja, dort: ganz klein „Cohen“. Der zugehörige Klingelknopf allerdings angebrochenm die ganze vordere Schale abgebrochen. Dennoch, es gab eine zweite Klinge. Die ich drückte.
Es tat sich aber nichts. – Ich drückte mehrfach. Kein Husten von drinnen, keine Schritte, kein Summen des Türöffners. Also noch mal telefonieren. Wieder nahm niemand ab.
Es war wirklich heiß. Die Tinenfische fingen an zu riechen. Außerdem näßten sie durch den Beutel. Ich sah’s, als ich den Rucksack vorübergehend vom Rücken auf die Steinstufen wuchtete. – Tintenfische nässen schwarz, jedenfalls schwarz verschliert. Gut, daß ich sie nicht i n dem Rucksack verstaut hatte. Andererseits platschte mir diese Tüte hinten immer mal wieder gegen die Oberschenkel. Das bliebe, auf einer weißen Hose zumal, kaum ohne Spuren, hatte sie sicher schon eingefeuchtet.
Nächstes Klingeln, nächster Telefonversuch. Ich wurde langsam sauer, wollte doch ein neues Kapitel hier skizzieren, außerdem schwimmen. Und wo würde ich schlafen?
Mit der Contessa Kontakt aufgenommen, die Situation erklärt. „Entscheide D u, Du wirst das Richtige machen.“
Okay, okay.
Neu abgestiegen, im kleinsten der Hotelchen gefragt. Alles ausgebucht, „neinnein, überall. Das brauchen Sie gar nicht erst zu versuchen.“ Nicht ohne Abweisungsrhetorik, durchaus auch Arroganz. Klar, mein Rucksack. Solche, die mit sowas reisen, haben kein Geld. Die wollen wir hier nicht. (Später: der 99ct-Wein von Penny kostet hier fünfdreißig, ein Liter Milch fast drei).
Gut, gegenüber am Abstieg zum Strand, mich aufs Emporchen setzen und mal gucken, was Hostelworld so sagt. Wo gibt es noch freie Unterkünfte sonst.
Ich will schon bei einer anrufen, zu der ich aber erneut ganz den Berg hinauf hätte müssen (20 Kilo, erzählte ich das schon?), da — klingelt mein Ifönchen. Italienische Nummer. Sowas erkenn ich an der Landesvorwahlzahl. – Ob ich eben angerufen hätte? Worum gehe es denn? – Eben!
Allmählich fing ich zu kapieren an. Siesta. Die wollten sich in ihrer Siesta nicht stören lassen.
Frau Soundso habe mein Klingeln nicht gehört, da tue ihr, der Anruferin, leid.

(Zwischenblick: rechts, das heißt nördlich, das Tyrrhenische Meer



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links, das heißt südlich, die Nebroden. An jeder Station – dieser Regionale hält quasi überall – steigen Schuljungs hinzu, steigen aus, andre steigen zu; es wird gerannt und gelacht. Klar, vierzehn Uhr unterdessen: Schulschluß.)

Jedenfalls. Es werde mir nun geöffnet werden, ich möge einfach wieder die Stufen nehmen.
Immerhin.
Erleichterung, trotz meines Ärgers, d o c h.
Denken Sie aber nicht, es hätte das Mißliche damit sein Ende gefunden. Selbstverständlich kann ich das aber nicht wissen.
Erstmal hört nämlich wieder niemand die Klingel. Mit steigt die Galle, obwohl ich sie, die Klingel, ebenfalls nicht höre. Gewiß kaputt. Die Tür ist eine nicht durchsichtige Glastür. Wenn man dagegenklopft, scheppert das Metallgitter, das sie stabilisiert. Nun, das muß doch zu hören sein.
Ich warte, scheppere erneut. Und endlich, endlich schlurfen Schritte. Drinnen wird hantiert.
Ein freundliches Frauengesicht, ein wenig verwirrt. Es tue ihr leid… sie habe nicht… sie wolle doch… Ob ich denn Italienisch spräche.
Die Räume: drei, davon zwei mit mehreren Doppelbetten. Eines ein Ehebettzimmer. – Welcher Raum sei denn der meine? Oh, das wisse sie nicht. – Und nun? Ich solle einfach warten, bis der Vermieter komme. – Sei der schon auf dem Weg? Das wisse sie ebenfalls nichts. Normalerweise komme der gegen fünf. Es war knapp vier. Sie wollte mich ernstlich warten lassen.
Draußen wartete das Meer auf mich. Einmal um die Isola bella schwimmen…
„Dann rufen Sie ihn doch bitte an.“
Was sie tat, wenn auch zögerlich.
Auch er wußte nicht, welches Zimmer meines sei. Das war sein Glück, denn eigentlich wollte er es mir auch nicht sagen, tat, als würden noch riesige Einquartierungen erwartet; ich sollte irgendwie zwischen die geschoben werden.
Ich fuhr aus der Haut.
Ich solle mal wieder herunterkühlen: So er.
Ich wolle jetzt mein Zimmer!
Fragen Sie die Signora.
Die zuckte mit den Achseln. Sie hatte überhaupt nicht mit Gästen gerechnet.
Immerhin waren die Calamari unterdessen im Kühlschrank…
Dann nehme ich das matrimoniale. Perchè no, sagte sie, weshalb auch nicht?
Ein bißchen hilflos sah sie zu, wie ich den Rucksack hineinwuchtete und meinen Schriebtisch aufbaute. Ein Kommode, es gab keinen Tisch. Also >>>> über Eck arbeiten. – Wobei, die Küche ging zur Bucht hinaus, und sie hatte nicht nur einen Balkon, sondern drauf auch ein Tischchen mit Stuhl.
Außer mir niemand sonst in dieser an sich sehr schönen, meeresprächtig gelegenen Wohnung. (Dies blieb so, ich also allein.)
Wenn etwas sei, möge ich nicht zögern, mich bei ihr, in der Wohnung nebenan, zu melden. Den Schlüssel solle ich aber immer abgeben, wenn ich das Haus verließe. Die Haustür selbst ist codegesichert.
Damit ging sie, und ich richtete mich ein.
Ich brauche noch Wein für den Abend, sowohl für die Calamari als auch für mich.
Auch Gewürze hatte ich in Catania gekauft, auf der Piazza Carlo Savoia, auch Knoblauch, auch Tomaten – alles sehr weise, wie sich erwies. Denn entweder gibt es sowas hier nicht, oder es kostet das drei- bis fünfzehnfache, siehe oben. Doch erstmal kam noch mein eigentlicher Wirt, der, mit dem ich am Telefon schon herumgestritten hatte.
Er überprüfte meine Buchung sehr genau, nahm den Fuffi aber gerne. Schrieb meinen Reisepaß ab. Ich fragte nach einem Super mercato. Da unten, der Minmarket (99cent-Wein für fünfdreißig, ein Rapitalà nicht unter fünfzehn Euro; hier nehmen sie’s selbst von den Toten, dachte ich, Petunen tun nicht stinken).
Immerhin, ich konnte schwimmen gehen. Das zog ich dem Schreiben vor. – Ich solle nicht immer fragen, whatsappte die Contessa; sie lese über dumme Fragen hinweg. „Du sollst dich nicht unwohl fühlen.“
Kurz mit der Löwin in Facetime, bescheidgeben – dann hinab ins Meer.
Fünfundfünfzig suppenwarme Minuten, durch die glaskalte Strömungen fuhren. Viel Gefisch vor der Schwimmbrille. Aufpassen bei den Felsen, vor allem auch wegen der Motorboote.
Gutes Gefühl.
Zum Tauchclub, den es ebenfalls gab (gibt). Man sah mir quasi verödet entgegen: Was wollnse? Hamse überhauptn Tauchschein? – Ob es eine Prospekt gebe mit den Preisen. Diese Frage war ganz offenbar eine Zumutung. Sich für Touristen bewegen? Ganz sicher nicht.
Fünfzig Euro ein Tauchgang plus Miete für das Equipment. – Wie hoch sie sei? Keine Ahnung.
Absolut keinen Bock vielmehr.
Das Mädel sah mir stumpf hinterher, sah ich im Augenwinkel. Es hatte einmal eine Hand bewegt, sonst nix. Er dagegen nur den Kopf: verneinend.
Die Bucht der Isola bella ist ein Traum. Ich meine das völlig unironisch. Aber die Menschen.
Außer denen gab es eine Flut von Östereichern, wenigen Deutschen, paar Brexit-Emigranten.

Und nun ging der Spaß aber erst los. Denn jetzt das mit dem Super-GAU.
Ich hatte ja alles beisammen, was man für ein gutes Essen braucht, war bereit mir Mühe zu geben, auch ohne daß ich Gäste hatte. Fing den Knoblauch zu schneiden an, schnitt schon mal die Chilies, gab Öl in die Pfanne…. Nur daß die Flamme nicht anging, keine. Die Calamari waren schon ausgenommen und geputzt:

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Mit Fischfingern bei der Hausdame klopfen. – Oh der Herd! Der gehe nicht…
Und wie koche ich jetzt?
Hm. (Seit wann kochen Touristen? die sollen essen gehen. Ich hatte mich schon gewundert, weshalb man hier keine Gewürze bekam.)
Sie sah auf meine mitgebrachten Zutaten. Ich würde mich nicht abbringen lassen.
Und wie komme ich morgen um fünf an meinen Kaffee?
Es gebe doch eine Kaffeemaschine. Und echt stand da so ein Ding für Melitta-Filter.
Jetzt war ich es, der angewidert schaute. Sie schaute mehr erschreckt, weil sie meinen kleinen Espressokocher entdeckt hatte, den ich auf Reisen mitführe. – Um ehrlich zu sein, hatte ich den meinen vergessen, aber mir darum in Catania schnell einen neuen besorgt, um drei Euro. Hier, wenn ich ihn überhaupt bekommen hätte, hätte ich dreißig dafür bezahlt. – Ja dann, wenn dem so sei, dann dürfe ich gerne bei ihr drüben kochen. Aber es gehe da nur eine Platte. Für den Kaffee reiche die.
Die Elektroplatte. Die drei Gasflammen waren wie in der Hostelwohnung unversorgt.
Ich meine, es ist in Ordnung, wenn in einer Unterkunft nicht gekocht werden kann. Aber wenn man mit der Küchennutzung wirbt, muß ein Herd funktionieren.
Hier wurde einfach gegeizt, und der Vermieter geizte sogar gegenüber seiner Angestellten. Die au Bulgarien kam, wie ich später erfuhr. Vielleicht wohnt sie für ihre Dienste mietfrei. Doch einen funktionierenden Gasherd ist sie ihm nicht wert.
Dennoch zog ich mit meinen Zutaten jetzt in die andere Küche um, bekäme das schon hin mit nur der einen Platte; Pasta läßt sich vor-bißfest kochen und dann weichziehen, während der Sugo wieder erwärmt wird.
Der bei Calamari Zeit braucht. Ich will kein Gummi essen. Dazu die mitgebrachte Tintenfischtinte. Es duftet. Anderthallb Stunden Garzeit. Der Duft geht in die Wände.
Der Vermieter kam wieder, sah höchst irritiert auf meine Beschäftigung, äußerte sich aber nicht. Einen Super-GAU kann man nur hinnehmen, sich zu wehren, hilft nicht. Insch’Allah.
Später sah ich ihn und sie rein vegetarisch essen, einen seltsamen Brei, der entfernt an Chili con carne erinnerte, indessen ohne Carne.
Jedenfalls begriff mein Vermieter die Welt nicht mehr. Ein Deutscher, der, ohne sich neppen zu lassen, gut ißt und auch noch Zeit auf das Kochen verwendet. Der, übrigens, Bach hört nebenan (Goldberg), was ich fürs Kochen vorgesehen hatte. Doch ließ es sich wegen der fremden Küche nicht mehr realisieren. Der nicht zufrieden mit Pizzastück auf die Hand ist, dazu eine Cola. Wenn jemand in ein Hostel geht, ist es doch wirklich nicht zu fassen, daß der Kultur hat. Kultur braucht Geld, weil nach dieser Logik Geld Kultur ist. Und dann deckt der auch noch draußen den Tisch … deckt. Man grad, daß er nicht auch noch ‘ne Kerze hinstellt (wär in der Meeresbrise ausgeblasen worden). Ißt stundenlang und trinkt den Wein nicht aus der Flasche. Supergau, supergau.

Bis nachts um eins saß ich da. Die Isola bella versank in einem aus dem Meer gestiegenen Schwarz, und der unentwegt auf der Strada statale lärmende Verkehr fing einzuschlafen an. So ich dann paar Minuten später.

(Vom Mahl ist eine gute Portion über; ich habe sie für Palermo in ein gut schließendes Behältnis bekommen. So hab ich nun zweimal davon; alleine für den Wein muß ich mich um Nachschub kümmern. Und die zu schreibende Romanszene – sie steht nun in mir fest; es ist jetzt nämlich heraus, weshalb die Liebesvilla hier nicht stehen kann. Lösungen schreibt uns das Leben immer selbst.)

Cefalù.
Noch eine Stunde bis Palermo.

*

2 thoughts on “Dieses hier ist nicht Sizilien! Das zweite Sizilienjournal im Oktober 2016, nämlich des Dienstags, dem 4., auf Mittwoch, den 5. Oktober 2016. Mazzarò unterhalb Taorminas, sowie die Flucht im Regionale über Messina nach Palermo.

  1. (Im Regionale geschrieben, aus dem Regionale hochgeladen kurz vor Palermo. Deshalb etwas eilig. Verzeihen Sie, Freundin, mögliche Tippfehler. Ich werde heute nacht noch einmal Korrekur lesen.
    Dank Ihnen.
    ANH, hinter Termini Imerese)

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