III, 251 – Vivacizziamo!

Langsam fange ich an, eine künftige Gegenwart Ulpias in Amelia zu fürchten. Am Samstag kam sie wieder mit ihrem P. vorbei. Und mit all meinem Schleim und Husten mußt’ ich mich fast wehren gegen all die körperliche und verbale Aufmerksamkeit. Wer mich während der Grippe mit Arzneimitteln versorgt habe. Ob ich denn im Schlafzimmer nicht heizte. Alles so wirre Umsorgungsfragen. Erstens habe ich keine Medizin zugelassen, zweitens ist die Bettdecke selbst für Polarnächte ausreichend. Also Quatsch.
Es gab sowieso gleich ein Mißverständnis. Als sie tags zuvor anrief, war von Essengehen die Rede. Na gut, dacht’ ich, und stellte mir schon herrlich dampfende Bohnensuppen vor. Das Problem war, daß sie es zum Mittagessen vorhatten. Wo ich allerdings streike und streikte, ich hatte mein Rührei ja nun schon verdrückt. Außerdem heavy duty, was Arbeit betrifft.
Im Dunkeln kamen sie dann noch einmal mit Gebäck vorbei. Und zum Abschied: “Wenn ich dann hierher gezogen sein werde, machen wir bei dir eine Feier und laden alle Leute ein.” Ich sagte: Gar nichts zunächst.
Dann: das sei geradezu typisch für die Römer, denn als wir mal in Griechenland an einer kleinen stillen Bucht mit glasklarem Wasser ganz für uns gewesen, sei plötzlich eine Gruppe Römer mit dem lauthals erklärten Vorsatz “Vivacizziamo!” (svw. “Laßt uns Leben in die Bude bringen!”) gekommen, und da sei es mit der Stille vorbeigewesen.
Zwar protestierte sie. Von ihren Eltern her stamme sie eigentlich aus der Romagna. Was sich plausibel erklären läßt: die Urbarmachung der sumpfigen Gegenden im Latium unter Mussolini (= Poffarbacco. Gadda, Eros e Priapo; neulich abends für mich daraus deklamiert (ein Buch “contro i tiranni di ogni tempo” (wichtiger Text! jetzt erstmals erschienen in der Originalversion))). Viele kamen aus der Romagna dafür. Selbst mein ehemaliger Schwiegervater scheint solche Wurzeln gehabt zu haben: die Trockenlegung des Fucino, des zweitgrößten Sees in Mittelitalien, Ende des 19. Jahrhunderts in den Abruzzen. Auch das plausibel. Urbarmachung und Romagnoli. Und Mussolini kam ja tatsächlich auch daher.
Ich muß sie dennoch mittlerweile als Unruhestifterin bezeichnen und gewisse Abstandsstücke in die Beziehung einbauen. Nicht umsonst ließ ich heute im Geiste wieder die störenden Interferenzen der Jugendherberge gegenüber Revue passieren.
Der Humus des Humanen läßt sich nicht im Abfall einer Feier nieder. Bei einer solchen geistert einem bestenfalls vor, daß sich eben doch alle nur so unbeholfen bewegen, wie’s ihnen der Takt vorgibt und die eigenen Spannungen bzw. Verspannungen vorschreiben.
Hinterher wundert man sich ganz ohne das Gefühl, sich wirklich zum Ausdruck gebracht zu haben. Das geht nur in Gedichten, die in einem die Frage nach dem Sinn hinterlassen, wo das Gedicht aber selbst der Sinn ist. ”Mein Gehirn ist in Satz gegangen.” Bernhard, Frost.

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